Was mit einem Cocktail begann, wurde zu einem Weltimperium. Doch das Herz der Familie Cipriani schlägt immer noch in Venedig, wo ihr Hotel in diesem Jahr 50. Jubiläum feiert. Mariam Schaghaghi warf einen Blick in das Haus, in dem nicht nur George Clooney sein Haupt bettet.

Es war weit nach Mitternacht und die Bar voller Menschen. In der hintersten Ecke saßen zwei Paare und unterhielten sich angeregt. Lachten, gestikulierten, beugten die Köpfe vor. Vier ausgesucht schöne Menschen, das war selbst im Halbdunkel zu erkennen. Der Mann, der mit dem Rücken zum Raum saß, hatte seine Hand um die Schulter seiner Begleiterin gelegt. Mit seinem Daumen streichelte er ganz unauffällig die Innenseite ihres Oberarms - eine Geste voller Zartheit und Verheißung. Der Frischverliebte war George Clooney, an seiner Seite saß Sarah Larson, die er an diesem Tag in Venedig zum ersten Mal der Weltöffentlichkeit als neue Freundin präsentiert hatte. Ihnen gegenüber saß Richard Gere, der mit seiner Frau Carey Lowell, einem Ex-Bondgirl, einen anderen Anlass zum feiern hatte: seinen 58. Geburtstag. Draußen auf der Terrasse vergnügte sich der smarte Jude Law mit einer Gruppe von Freunden, und der immer noch schwergewichtige Harvey Weinstein bahnte sich mit ein paar Drinks den Weg durch die Menge.

Es sind Filmfestspiele, und diese Szene spielt sich in einem kleinen, länglichen gemütlichen Raum ab, der während der zehn Tage des Festivals zum Wohnzimmer der angereisten Hollywoodstars wird: die Gabbiano-Bar des Cipriani. Hier schlägt das Herz eines Luxushotels, das der Lieblingsort der Stars in der Lagunenstadt ist. Ihr Refugium, ihr Ersatzzuhause. Und eines der exklusivsten Hotels der Welt.

Das Cipriani liegt abgeschieden auf einer Landzunge der Insel Giudecca - gegenüber vom Markusplatz, inmitten der Lagune und doch unendlich weit weg von Talmi, Tand und Touristen. Hierhin zu gelangen, ist schon eine Reise für sich, ein Transfer in eine andere Welt. Man steigt in eines der schnittigen Privatboote aus Mahagoni - eine alte Riva - und ist wenige Minuten später am hoteleigenen Anleger, der sich mit schwarzweißen Pfählen schmückt. Eine Hand streckt sich dem dümpelnden Boot entgegen, hilft beim Aussteigen. Und schon atmet man Erholung, Eleganz. Das Cipriani ist eine Oase aus grünen Gärten und blühenden Geranien, in der ein lang gestrecktes rosa Landhaus steht. Früher erholte sich in den Gärten und Blumenfeldern die Aristokratie Venedigs von der Hitze. Und schon Casanova lustwandelte hier neben einer einheimischen Schönheit. Jetzt kann man Renee Zellweger am Pool planschen sehen. Und nächste Woche halten vielleicht Natalie Portman, Tilda Swinton und Charlize Theron ihre Zehen ins kühle Nass. Der Pool ist übrigens nur aus Versehen so riesig geraten. Die irischen Financiers waren von der Maßeinheit Fuß ausgegangen, Signore Cipriani baute jedoch in soliden Metern. Die Gäste werden es ihm danken.

Die Erfolgsgeschichte des Cipriani begann mit ein paar Cocktails. Giuseppe Cipriani, seines Zeichens Barkeeper, hatte immer schon einen guten Geschmack, nicht nur was Drinks anging, sondern auch bei Menschen. Einem seiner Stammkunden, Harry Pickering, lieh er mal 10 000 Lire - und bekam aus Dankbarkeit das Fünffache zurück. Mit diesem Kapital eröffnete Cipriani 1931 eine Bar und benannte sie nach dem Förderer, die legendäre "Harry's Bar". Legendär wurde auch seine köstliche Kreation aus Pfirsichmark und Champagner: der "Bellini", den er nach den Rosatönen des venezianischen Renaissancemalers Giuseppe Bellini benannte. Bald schlürften Ernest Hemingway, Ava Gardner und der Aga Khan seine Cocktails. Exzentriker wie Peggy Guggenheim und Truman Capote gingen bei ihm ein und aus. Und dann verwirklichte Cipriani seinen größten Traum - ein Luxushotel, das er im Mai 1958 eröffnete. Auch nach 50 Jahren ist das Cipriani noch die erste Adresse an der Lagune.

Warum ist gerade Hollywood so wild auf das "Cip"? Luxus satt bieten auch andere Herbergen. Für Einzigartigkeit aber sorgt die Lage: eine Insel, die den Promis ihre Privatsphäre und Schutz vor Neugierigen garantiert. Das Hotel ist eine Art behüteter Luxuskokon, in den nichts Unerwünschtes von außen eindringen kann. Hier kann man aufatmen. Hier ist man unter sich. Endlich Frieden.

Die Lage birgt aber noch einen zweiten Bonus. Vom Cipriani aus hat man einen Logenplatz auf die vielleicht schönste Stadt der Welt. Die Giudecca liegt genau gegenüber vom Markusplatz. Vom Hotelrestaurant und der Terrasse aus präsentiert sich "La Serenissima" wie auf einer Bühne: links das Halbrund der Kirchenkuppel von Santa Maria della Salute, der breiten Einfahrt in den Canale Grande, den Campanile-Turm, das geschäftige Treiben auf der Piazza San Marco, die Rundbögen und Zinnen des Dogenpalastes. Ab und an zieht ein großes Kreuzfahrtschiff an der Prachtkulisse vorbei. Was für ein Spektakel!

Keine Chance, in den ersten Septembertagen noch ein freies Zimmer zu ergattern. Das Cipriani ist natürlich ausgebucht, wenn Stars und Sternchen ihren Reigen um den Goldenen Löwen aufführen. Das Interieur ist weder durchdesigned noch overstyled, sondern besticht mit gelassener, altmodischer Eleganz. Für das einfachste Doppelzimmer muss man schon 690 Euro auf den Tisch legen. Clooney, der auch dieses Jahr mit einem Film am Lido ist, aber ohne Freundin, könnte sich mit seinem Kumpel Brad Pitt eigentlich die "Palladio"-Suite teilen. Mit Marmorbädern, eigenem Esszimmer für kleinere Gesellschaften, Privatgarten mit Terrasse, eigenem Pool und einem 180°-Panoramablick über die Lagune. Ach, und eigenem Butler, nicht zu vergessen. Zu zweit tun dann auch die 8500 Euro am Tag nicht so weh. Apropos Schmerz: Wenn Anne Hathaway oder Natalie Portman nach ihrer Anreise im Privatjet der Rücken plagen sollte, würde Direktor Natale Rusconi - wohl der einzige Hotelchef der Welt, der in lateinischer Literatur und Wirtschaftsgeschichte promoviert hat - ihr vielleicht zu einer "Gondola Massage" zu 240 Euro raten. Das sanfte Schaukeln auf dem Wasser, in einer echten Gondel, soll die entspannende Wirkung der Massage noch positiv verstärken.

Hier darf man alles. Aber mit Stil. Es mag Gäste geben, denen das eine oder andere im Cipriani etwas altmodisch vorkommt, zum Beispiel, dass von den Herren erwartet wird, abends zum Dinner im Jackett zu erscheinen. Und sollte tatsächlich einmal ein Gast ohne ein solches Kleidungsstück kommen, stehen ihm fast alle Größen leihweise zur Verfügung. Unentgeltlich natürlich.

Die Traditionen von Giuseppe Cipriani führt nach seinem Tod 1980 dessen Sohn Arrigo weiter. Arrigo ist übrigens die italienische Variante des Namens "Harry". Der studierte Jurist hat seitdem bienenfleißig ein kleines Imperium aufgebaut. Erst eröffnete er Mitte der Achtzigerjahre "Harry's Bar" auf der anderen Seite des Atlantik, in New York, an der Fifth Avenue. 1988 gründete er seinen Delikatessenvertrieb und beglückt seitdem Fans in aller Welt mit Köstlichkeiten der venezianischen Küche: mit deftigen Sugos, Pfirsichmark für Bellinis und natürlich Pasta. Die Klasse seiner Papardelle, Tagliatelle und Tagliolini erkennt man schon an den luxuriösen, länglichen Pastellkartons, in denen sie verkauft werden.

Mittlerweile ist auch Arrigos Sohn Giuseppe in das Familienunternehmen eingetreten und hat die kulinarischen Missionsstätten vervielfacht. In Manhattan gibt es mittlerweile vier Ciprianis - das "Downtown" in Soho, den "Rainbow Room", das pompöse "Cipriani 42nd Street" in der Bowery Bank und das "Bellini". In Hongkong den exklusiven "Cipriani Club", auf Sardinien das "Cipriani Porto Cervo". Der neueste Zuwachs liegt im eleganten Londoner Westend, wo Madonna, Elton John und Kate Moss regelmäßig schlemmen. Bis heute schaut Arrigo Cipriani, mittlerweile selbst 76 Jahre alt, in allen Restaurants immer wieder nach dem Rechten.

Legendär ist an allen Orten das "Carpaccio" - eine Kreation, die Giuseppe Cipriani höchstpersönlich erfand. Eine Contessa, die einst im Hotel residierte, litt unter Magenproblemen. Der herbeigeeilte Dottore verordnete ihr eine Diät, die ausschließlich aus ungekochten Speisen bestand. Mit größtem Mitgefühl für die darbende Kranke eilte der Hoteldirektor selbst in die Küche, zerlegte ein Filet Mignon in hauchdünne Scheiben, richtete es fächerförmig an und kredenzte es der Contessa.

Für die Gäste lässt man sich im "Cip" gern etwas einfallen. Auch Stammgast George Clooney hinterließ hier Spuren. Vor drei Jahren kam er wohlgelaunt nach der Weltpremiere seines Regiewerks "Good Night, and Good Luck" in die Hotelbar, der Film war am Lido stürmisch beklatscht worden, und George war nach Feiern zumute. Ob der Barkeeper ihm etwas ganz Besonderes mixen könnte, fragte er. "Ma certo!", na klar, antwortete Walter Bolzonella, mixte Wodka, Angostura und Cranberrysaft zusammen und taufte die Kreation zu Ehren von Clooneys Film "Buena Notte". Es blieb nicht nur bei einem Cocktail, den Clooney und seine Crew an jenem Abend tranken. Seitdem ist der Drink ein neuer Klassiker auf der Barkarte des Cipriani. Und George Clooney wird ihn auch dieses Mal genießen, in seinem Lieblingshotel an der Lagune. Ob mit oder ohne Dame.