Im August beginnt für viele Jugendliche die Ausbildungszeit, Lehrlinge wagen den ersten Schritt in den neuen Job. Bis dahin testet Abendblatt-Redakteurin Anne Dewitz die beliebtesten Ausbildungsberufe im Selbstversuch. Heute: Was als Tierpfleger in Hagenbecks Tierpark zu leisten ist und warum Tierliebe allein leider nicht ausreicht.

Pünktlich um sieben Uhr morgens holt mich Volker Friedrich am Nordeingang zum Wirtschaftshof am Gazellenkamp ab. Der 47-jährige Tierpfleger arbeitet seit 30 Jahren im Tierpark Hagenbeck. Zu seinem Revier gehören unter anderem die Amerikanischen Bisons. Wotan, der Leitbulle, erwartet uns schon am Gatter seines Außengeheges. Der riesige dreieckige Kopf mit den kurzen, gebogenen Hörnern und dem kräftigen Bart flößt Ehrfurcht ein. Schätzungsweise 800 Kilogramm wiegt der zottelige Wiederkäuer. Sein dichtes, dunkelbraunes Fell löst sich an einigen Stellen vom Buckel. Überreste seines Winterfells. Mit einer Tierhaarallergie sollte man hier besser nicht anfangen.

Wotan schnaubt. Tief und lang. Regt er sich auf? Oder zeigt er nur seine Zufriedenheit? In freier Wildbahn wäre ich jetzt wohl ohnmächtig geworden. Bei näherer Betrachtung ist er doch ganz knuffig. Aus seinen braunen Augen verfolgt er jeden unserer Schritte. Friedrich und ich verteilen alte Brötchen und Kraftfutter-Pellets in den Boxen, um die Herde reinzulocken. Sonst können wir die Außenanlage nicht betreten, um sauberzumachen. Jedenfalls nicht, ohne damit rechnen zu müssen, dass wir um unser Leben rennen.

Das Futter ist verteilt, und ich halte mich im Verborgenen. Sonst würden die Bisons keinen Schritt in ihren Unterstand machen. Ich könnte ja auch Tierarzt sein und mit einer Spritze lauern. Es dauert trotzdem eine Weile, bis sich die massigen Tiere in Bewegung setzen. Zehn sind drin. Nur Montana bleibt stur vor dem Gatter stehen.

Ein großer Puter schleicht mir hinterher, plustert sich auf und zischt mich an. "Nun mach schon, Montana", denke ich. Waren Puter nicht eigentlich friedliche Tiere?

Auch Friedrich wird ungeduldig. Schließlich wartet noch eine Menge Arbeit auf uns. Genau genommen geht die meiste Zeit für das Reinigen der Gehege und Stallungen drauf. Etwa 80 Prozent seiner Arbeitszeit verbringt der Tierpfleger mit Schrubben, Harken und Fegen, erklärt er mir. Und jetzt, da Montana ihren Allerwertesten nun auch in Bewegung gesetzt hat, schnappen wir uns Schaufel, Besen und Schubkarre, um Stoffwechselendprodukte einzusammeln. Gerade mal ein Haufen passt auf das Schaufelblatt. Wir schaufeln vier Schubkarren Mist zusammen. Da kommt man ganz schön ins Schwitzen.

Ein paar frei laufende Hühner scharren nach Insekten. Mit aufgeblasenem Halssack zieht der Puter seine Kreise um mich, das Federkleid aufgeplustert, die Schwanzfedern in die Höhe gestreckt. Balzt er oder beißt er? Natürlich können Vögel nicht beißen, aber bedrohlich wirkt er schon. Und zu einem Tanz habe ich jetzt auch keine Lust.

Friedrich lässt mir eine kurze Verschnaufpause und hievt das frisch gemähte Gras schnell allein auf den Futterwagen. Eine Ausnahme. Normalerweise müssen Frauen in diesem Beruf die gleiche Arbeit verrichten wie ihre männlichen Kollegen.

Und es interessieren sich tatsächlich besonders Mädchen für den Beruf des Tierpflegers. 70 Prozent der Bewerbungen, die auf dem Schreibtisch von Hagenbecks Cheftierpfleger Walter Wolters landen, kommen von Frauen. Eingestellt werden aber hauptsächlich Männer - wegen der Kraftreserven. Wenn zum Beispiel ein betäubtes, 300 Kilogramm schweres Zebra verladen werden muss, geht das nur mit Muckis.

Aus dem gegenüberliegenden Gehege starrt Wapitihirsch Joshua gierig auf das Gras. Dabei hat er das gleiche Futter in seiner Krippe. Nachbars Kirschen schmecken eben auch für Tiere süßer. Nachdem wir zwei große Hümpel Grünfutter ins Außengehege gefahren haben, öffnet Friedrich über einen Riegel die Türen der Boxen. Wotan und Co springen ins Freie und stürmen das Büfett. Ein Kalb springt übermütig in die Mitte des Grashaufens, taucht mit dem Kopf ab und schlägt hinten aus. Ich freue mich mit ihm.

Allerdings vergeht mir das Grinsen, als ich Montana beobachte, wie sie flugs ihren eigenen großen Haufen produziert. Na ja, ein Tierpfleger muss auch damit leben können, dass es eine Viertelstunde nach dem Verlassen des Geheges schon wieder genauso aussieht wie vorher. "Ein ewiger Kreislauf", sagt Friedrich. Da kann Arbeit schnell zur Routine werden. Trotzdem muss sie immer wieder mit gleicher Sorgfalt erledigt werden. Denn eine offen gelassene Käfigtür könnte böse Folgen haben.

Als nächstes bereiten wir das Futter für Nandus, Präriehunde und Alpakas vor - die nächste Futterrunde steht an. Die Zutaten wurden von der Futterküche geliefert. Obst und Gemüse müssen gehäckselt werden. Friedrich weiß genau, wer wie viel wovon bekommt. Das Fleisch für die Chinesischen Leoparden ist zum Glück schon portioniert. Denn unter Umständen gehört auch das Töten von Futtertieren zum Job des Tierpflegers dazu. "Wer hier arbeiten will, muss auch eine Maus oder ein Kaninchen fachmännisch töten können", sagt Friedrich. "Sonst hat er den Beruf verfehlt."

Mit der voll beladenden Schubkarre geht es jetzt Richtung Leoparden-Gehege. Die Kätzchen empfangen uns mit ausgiebigem Fauchen. Shu Fei, einem der Jungtiere, geht es nicht schnell genug. Bevor ich die Futterklappe schließen kann, hat es sie schon von innen mit seiner Tatze zugehauen und sich den Fleischbrocken geschnappt.

Nachdem auch die anderen Tiere versorgt sind, setzen Friedrich und ich uns auf eine Bank und beobachten die Nandus. So überzeugen wir uns vom guten Gesundheitszustand der Küken. Schon kleinere Veränderungen könnten auf Krankheit oder Verletzung hindeuten. Und die entdeckt man am besten, wenn man sich ein bisschen Zeit zum Beobachten nimmt.

Zeit, über die Anforderungen, die an den Tierpfleger gestellt werden, zu plaudern. "Wer glaubt, Tierliebe allein reiche in diesem Beruf aus, liegt falsch", sagt Friedrich. Die Anforderungen sind vielfältig: Gehege müssen eingerichtet und instand gesetzt werden. Der Tierpfleger entwirft und bastelt auch Beschäftigungsmöglichkeiten für seine Tiere. Handwerkliches Geschick schadet also nicht. Außerdem müssen Ställe ausgemistet und im Winter die Anlagen von Schnee und Eis befreit werden. Mehrere Stunden draußen bei drückender Hitze gehören genauso dazu, wie solche bei klirrender Kälte oder Dauerregen. Regelmäßige Wochenend- und Feiertagsarbeit sind ein Muss. Und Tiere kennen keine Feiertage, sie halten sich auch nicht an Arbeitszeiten. Ungeplante Überstunden sind die Regel, weil kranke Tiere versorgt werden müssen, ein Jungtier per Hand aufgezogen wird oder ein Bewohner ausgebrochen ist.

Und genau das versucht jetzt gerade auch ein Kronenkranich, der mit den Nandus in Nachbarschaft lebt. Sein Pech ist, dass Friedrich ihn dabei beobachtet. Ohne zu zögern, greift er sich den Vogel und weist mich an, ihn an den Flügeln festzuhalten. Dann verschwindet er wortlos. Ich halte den schimpfenden Kranich fest. Zoobesucher bleiben neugierig stehen und fragen, was ich da mache. So genau, weiß ich das auch nicht. Doch da kommt Friedrich schon wieder zurück, mit einer Schere in der Hand. Nun muss das Tier ein paar Federn lassen. "Die wachsen nach", sagt Friedrich. Dann darf der Kranich wieder seiner Wege gehen.

Auf uns wartet die nächste Aufgabe. Eine Besucherin glaubt, eine der Riesenschildkröten liege tot im Wasser. Ich bin gleich ganz aufgeregt. Werden wir sie mit Erste-Hilfe-Maßnahmen wieder beleben können? Friedrich bleibt cool. Ein kurzer Blick auf das Reptil verrät ihm: Sie lebt und erfreut sich bester Gesundheit. Friedrich kennt eben seine Tiere und weiß, wann welcher Handlungsbedarf besteht und wann der Tierarzt informiert werden muss.

Ich blicke mich um und träume. Der Park, die Tiere - es ist schon idyllisch hier. Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, verschönt den Tag. Die frische Luft, die Sonne - herrlich. Ein Brummen dringt an mein Ohr. Handlungsbedarf: Die Leoparden haben ihre Mahlzeit beendet und können jetzt ins Außengehege. Und innen muss mal wieder geputzt werden. Der Puter übrigens, wartet derweil im Gebüsch.


Nächsten Sonnabend: Anne Dewitz als Bäckerlehrling