Das Fernweh trieb viele Deutsche einst ins Land der Mayas, Tempel und Vulkane. Heute sind ihre Nachfahren erfolgreiche Geschäftsleute. Wie viel Hamburg steckt in Guatemala?

Kaffeepflanzen, so weit der Blick reicht. Mit prallen Bohnen daran. Das Aroma des Heißgetränks liegt in der Luft. Besuch auf der Plantage von Hans Masch in Los Pastores bei Antigua in Guatemala. Die Finca ist 9000 Kilometer von Hamburg entfernt - und doch der Hansestadt irgendwie nah. Der 38-jährige "Fincero" bemüht sein Deutsch. Er lächelt, kramt in seinen Erinnerungen, und sagt dann: "Reeperbahn, das Rathaus, die Elbe, ich erinnere das noch sehr genau, als Kind war ich oft in Hamburg, bei meinen Verwandten." Er spricht Deutsch, aber mit starkem Akzent. Hans Masch ist in Guatemala geboren, aber seine Familie kommt aus Hamburg. "Mein Großvater war damals unter anderem in der Handelskammer Hamburg tätig", sagt Hans Masch mit Stolz. Er steht am Rande seiner Felder, um ihn herum hegen Arbeiterinnen in guatemaltekischer Tracht seine Kaffeepflänzchen. Das Journal hat sich auf Spurensuche begeben: Wie viel Hamburg steckt in Guatemala?

Die "Hamburg-Connection" von Hans Masch ist kein Einzelfall im Land der Vulkane, Mayas, Tempel - und des Kaffees. Seit Jahrhunderten bestehen die wirtschaftlichen, kulturellen und familiären Verbindungen mit Hamburg und Norddeutschland. Kaufleute und Hanseaten wie die Nottebohms, Dieseldorffs oder Sievekings, Banker wie Berenberg, Aussteiger und Lebenskünstler, sie alle pilgerten einst zu Tausenden in das mittelamerikanische Land und wurden dort sesshaft. Viele von ihnen haben heute noch Familienbande in Hamburg. Und liefern ihre Waren in die Heimat ihrer Vorfahren. Kaffee etwa oder Honig. Made in Guatemala, und meist fürs ferne Hamburgo.

Auch Hans Masch. Sein Vater Peter kam 1964 nach Guatemala. Als Kaufmann. Er jobbte auf einer Kaffee-Finca. Bis er die Tochter des Inhabers heiratete, eine Guatemaltekin aus einer wohlhabenden Familie. Fortan war er selbst "Kaffeebaron", Fincero. Hans Masch studierte Agrar-Ingenieur in Guatemala und in den USA, wuchs mit Kaffee auf und ins Geschäft hinein. "1992 habe ich die Finca übernommen", erzählt der Plantagenchef. Er hat drei Kinder, auch seine Frau ist Guatemaltekin. Die Besichtigung der Plantage Casa Pastores gerät zur kleinen Wanderung. 120 Hektar, auf jedem im Schnitt 3000 Kaffeepflanzen. Das Gebäude stammt aus der Kolonialzeit. 15 mächtige Zimmer auf 1500 Quadratmeter, mit Pool, sogar einer kleinen Kapelle. Ausblick auf den Park, auf Vulkane und eben Kaffee. 25 000 Kilo exportiert die Finca im Jahr, auch nach Hamburg. Für Tchibo, Eduscho, Darboven. Einst war Guatemala Weltmarktführer, heute bewegt sich das Land auf Platz vier in der Welt. "Allein mit Kaffee lässt sich nicht mehr so gutes Geld verdienen", sagt Masch. Aber: "Hier gibt es acht verschiedene Kaffeegeschmackssorten, das ist einmalig." Und der Kaffee gedeiht auf bestem Vulkanboden. Masch hat zudem eine Cafe-Shop-Kette und eine Rösterei. Und er bietet Touristen Unterkunft.

Es war das Fernweh, die Aussicht auf gute Geschäfte, die die Deutschen einst nach Guatemala trieb: Um 1828 kamen die ersten. "Die Deutschen haben das Land stark geprägt und beeinflusst, wirtschaftlich und kulturell", sagt die Historikerin Regina Wagner. Auch sie hat deutsche Wurzeln, studierte in Deutschland und promovierte über die Deutschen: "Los alemanes en Guatemala 1828-1944". Meist wurden die jungen Deutschen damals von hanseatischen Kaufmannsfirmen für ein paar Jahre entsandt. Viele blieben. Das Ehepaar Hanne und Hans Arnold Küstermann kam 1926 nach Guatemala. 1939 kehrten sie nach Deutschland zurück. Ihr Sohn Arnoldo Küstermann sagt: "Ich war damals neun Jahre alt, und Hamburg war mir ganz fremd." 1951 packte den Kaufmann, der dann weiter in Hamburg und Lübeck aufwuchs, wieder das Heimweh. Er zog nach Guatemala - und blieb. Der heute 78 Jahre alte Unternehmer betreibt im Land mehrere Hotels, Eisenwarenläden und seine eigene Stiftung Asies, für soziale und Bildungs-Projekte. "Ich wollte dem Land etwas zurückgeben."

Heute leben in Guatemala 4000 Pass-Deutsche, 19 000 mit deutschen Wurzeln. Ein paar Autostunden von Antigua und der Hauptstadt Guatemala-City entfernt, am idyllischen Atitlan-See in der Touristenstadt Panajachel, ist auch ein Stück Hamburg zu Hause. Im Restaurant von Axel Mull. Draußen tragen die Guatemalteken Trajes, ihre bunten Trachten. Drinnen gibt es auch Hamburger Küche. "Chez Alex" heißt der Laden von Axel Mull. Eine Hamburger Admiralsflagge ziert sein Speiselokal in der Hauptstraße. "Ich kam in der Eppendorfer Uni-Klinik zur Welt", sagt der Globetrotter. Nach seiner Ausbildung zum Hotelkaufmann in Hamburg reiste er bald quer durch Lateinamerika, seit 27 Jahren lebt er in Guatemala, war mit einer Guatemaltekin verheiratet, hat mit ihr eine Tochter.

"Wer will, bekommt von mir heimische Matjes, Bratkartoffeln", sagt Mull. Ihm gehörte schon fast jede Diskothek und jedes Lokal in der Straße, erzählt er. Und denkt gerne zurück an die Hamburger Szene-Disco Madhouse. Von dort habe er Musik bekommen, zum Beispiel von Udo Lindenberg und der Neuen Deutschen Welle. "Die Gäste hier waren verrückt danach."

Ganz so friedlich wie in Hamburg geht es in seiner Wahlheimat indes nicht zu. "Einmal wollten ein paar Herren Schutzgeld von mir haben. Da habe ich mit einer Pistole in die Luft geschossen - und das Thema war vorbei. Ich habe die Leute nie wieder gesehen." Manchmal sehnt er sich nach Hamburg zurück. An die Elbe, in die Elbvororte, wo er aufwuchs. Wenn er seinen Vater in Nienstedten besucht, bringt er von dort Krebs- und Suppenpaste und Matjes in Dosen mit. "Hamburg ist eine Traumstadt", sagt er, "aber für mich zu teuer, hier lebe ich besser." Die Spiele seines geliebten HSV schaut er per Satellit. Mull blickt auf die Straße, wo einheimische Händler ihre Waren anpreisen. "Der Ort ist voll mit Deutschen, viele kommen aus Hamburg." Oder aus Berlin wie Hans Jürgen Katt, der hier unter anderem ein Restaurant am See betreibt - ein "Aussteiger", der Mitte der Achtziger hier hängen blieb. Inzwischen ist er erfolgreicher Unternehmer und Deutschlands Honorarkonsul.

Erfolgreich ist in Guatemala auch ein Hamburger mit einem berühmten Namen: Henneke Sieveking, Neffe des früheren Hamburger Bürgermeisters Kurt Sieveking. Er residiert mit seiner Frau Imogene in Guatemala-City, im 16. Stock, gut bewacht. Er ist Geschäftsführer der Firma "Transmares", die Transport mit Frachtcontainern anbietet, unter anderem mit Hapag-Lloyd nach Hamburg. Jeden Morgen geht der 78-Jährige um Punkt sieben Uhr ins Büro, bleibt bis spätabends. Seine Frau handelt von zu Hause aus mit Honig, den sie auch nach Hamburg exportiert. Jahrzehnte zog der Unternehmer beruflich durch Süd- und Mittelamerika, seit 1982 lebt er in Guatemala.

"Natürlich erinnere ich mich noch an Hamburg, die Alster, die Elbe, dort bin ich oft gesegelt. Manchmal besuche ich meinen Bruder und meinen Neffen", sagt der Hanseat im klassischen Outfit, graue Hose, maritimes Sakko. Die H-Frage, die nach seiner Heimat, hat Sieveking geklärt. "Meine Wurzeln sind in Hamburg, meine Heimat ist jetzt hier." Hamburg und Heimat, das sind auch Themen im Deutschen Club in Guatemala-City. Jeden Montag treffen sich dort die Deutschen. Auch gut bewacht. Zum Anwesen gehören Tennisplatz und Pool. Drinnen, im gediegenen Ambiente eines deutschen Klubhauses, bei Sauerkraut, Würstchen und gezapftem Bier, werden im Dschungel der mittelamerikanischen Großstadt Erinnerungen wach. Auch an Hamburg. "Ich möchte mal wieder in aller Ruhe über den Neuen Wall schlendern, mir Schaufenster anschauen", sagt einer. Natürlich, überlegt ein anderer, habe er mal Gedanken, zurückzukehren. Aber "noch mal einen Neuanfang wagen, jetzt als Rentner? Das würde finanziell schwer." Für manche unmöglich. Ein Pastor, der für die evangelische Kirche schon sieben Jahre in Guatemala lebt, weiß: "Viele, die in Hamburg geboren sind und bald sterben werden, wollen in Hamburg beigesetzt werden." Ein anderer Hamburger sagt nachdenklich: "Wir sind hier die letzte Generation, die die deutschen Traditionen hochhält."

Die Kinder, die hier aufwuchsen, mit der Sprache, mit dem Leben, sie sind längst "chapin", wie die Einheimischen sagen, sprich: Guatemalteken. Doch zu Besuch nach Hamburg reisen, das wollen viele. Sieveking, Küstermann und Masch.

"Nächstes Jahr", sagt Fincero Hans Masch, während er die Tore seiner Finca am Abend schließt. "Meinen Onkel besuchen, die Tradition wachhalten für unsere Kinder. Denn Hamburg ist ein Stück meines Lebens."


Videos von den Hamburgern aus Guatemala können Sie sich im Internet anschauen unter www.abendblatt.de/guatemala-videos