Vom strengen Patriarchen bis zum Ende der bürgerlichen Familie: Die Rolle der Väter war 200 Jahre lang ein Experimentierfeld. Jetzt haben zwei Autoren das männliche Ego in unserer Zeit untersucht.

Die große Wohnküche der Habecks in Großenwiehe bei Flensburg sieht verdächtig aufgeräumt aus. "Sie waren ja auch noch nicht oben", sagt Robert Habeck beim Kaffeekochen. Oben im ersten Stock wohnen seine vier Söhne Jakob (12), Oskar (6) und die Zwillinge Konrad und Anton (9), und da sieht es aus, wie es eben aussieht, wenn Sportsachen, Spielzeug, Klamotten und Hefte in Ablage F (wie Fußboden) landen. Das Playmobil-Alter mit überall verstreuten Kleinteilen haben die Jungs zur Erleichterung ihres Vaters fast hinter sich. Aber Habeck hat vom Dachboden der Großeltern seine alte elektrische Märklin-Eisenbahn abgeholt, verpackt in zehn Saftkartons. Die bergen das nächste Chaos.

Ein paar Mal in der Woche fährt Habeck als schleswig-holsteinischer Grünen-Landesvorsitzender nach Kiel, ansonsten arbeitet er als freier Autor zu Hause und schreibt zusammen mit seiner Frau Andrea Paluch Bücher und Theaterstücke. Im Frühjahr 2008 lehnte er den Bundesvorsitz ab. Mit der Begründung: "Man kann nicht vier Kinder zeugen und sich dann in die Politik verabschieden." Wenn seine Kinder aus der Schule kommen, ist er da. Davon können die meisten Väter nur träumen. Aber es käme ein Zug in Bewegung, sagt Habeck. Quasi eine Art Märklin-Bahn des Bewusstseinswandels. "Die alten Klischees, was Männer wollen, stimmen nicht mehr."

Inzwischen beantragt jeder sechste Vater Elterngeld, nach den Worten von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) eine "leise Revolution". Neun von zehn jungen Männern antworten in Umfragen, sie würden gerne eine Familie mit Kindern haben und sich auch intensiv um sie kümmern.

Aber sie stecken in der Falle. "Das Zeitfenster für die Familiengründung ist heute sehr schmal", sagt Habeck. "Zwischen Ende 20 und Ende 30 soll alles gelingen: Karriere machen, Eigentum anhäufen, Kinder in die Welt setzen." Mehr als die Hälfte der jungen Männer wollen Kinder erst, wenn sie genug Geld verdienen. Sobald sie aber Väter sind, arbeiten sie sogar mehr als vorher, fühlen sich stärker unter Erfolgsdruck - und sind unzufrieden.

Davon handelt Habecks jüngstes Buch "Verwirrte Männer". "Für das männliche Ego ist beruflicher Erfolg wichtig. Aber es geht darum: Wird das Leben von Vätern weicher und langsamer oder wird es noch schneller, härter, erfolgreicher? Diesen Widerspruch können viele Männer nicht lösen. Daher die Verwirrung."

Auch andere treibt das Thema um. Väter diskutieren in einer Fülle neuer Internet-Foren, Kabarettisten greifen es auf, wie Christian Pape ("Schief ge-wickelt") und David Leukert ("Männer und Kinder zuerst"). Oder der Philosoph und Buchautor Dieter Thomä in seinem Buch "Väter. Eine moderne Heldengeschichte".

"Wir haben ein Kalkül, das zu unserer wirtschaftlichen Leitidee passt, aber nicht zu einer guten Gesellschaft: Wir werden alle zu wettbewerbsfähigen Individuen, aber keiner bekommt mehr Kinder", sagt Thomä. Gerade den Männern kämen innere Stolpersteine in die Quere. "Man ist gewohnt, alles im Griff zu haben, wenn man wettbewerbsfähig bleiben will. Die Familie hat aber sehr viel mit Unerwartetem zu tun, mit Dingen, die man nicht planen kann."

Die Verwirrung der Väter hat nicht erst die Frauenbewegung verursacht. Thomä beweist, dass sie im Grunde schon mit der Aufklärung und der Französischen Revolution einsetzte. Der Siegeszug der Demokratie begann mit der Emanzipation von großen Vaterfiguren. Gottes Existenz wurde bezweifelt, der König in Frankreich geköpft. "Damit ist schon mal ein großes Vorbild weggebrochen, an dem sich die kleinen Despoten, die Mini-Könige in den Haushalten, orientiert hatten", sagt Thomä.

Einige Aufklärer priesen schon damals den milden, sanften Vater. Andere, wie der berühmte Jakobiner Danton, forderten rigoros, die Erziehung den egoistischen Vätern zu entreißen. Die Kinder gehörten der Republik. Damit waren die groben Linien der modernen Väter-Debatte schon vorgezeichnet. Wie soll ein guter Vater sein? Hat er auch weibliche Eigenschaften oder ist das unmännlich? Wirkt er intensiv an der Erziehung seiner Kinder mit oder soll das der Staat übernehmen? Alles ungeklärte Fragen.

Wo der Vater abgeschafft wird, entsteht eine Lücke, eine Beziehungs-Unordnung. Wir haben 200 Jahre Vater-Experimente hinter uns, wie Thomä zeigt. Im Biedermeier kehrte der alte Patriarch "reloaded" als strenger Hausvater zurück. Jugendbewegung und Reformpädagogik opponierten gegen ihn. Der Faschismus sah den Vater als Soldaten und Erzeuger, aber nicht als Erzieher der "nationalsozialistischen Jugend". Die 68er wollten die Nazi-Väter abschaffen und schütteten gleich die ganze bürgerliche Familie mit dem Bade aus. Bloß kein Eigenheim-Spießer werden!

"Es gab ein ewiges Hin und Her zwischen Vatermord und Vatersuche, das eigentlich bis heute andauert", sagt Thomä. Stimmt. In Filmen und Literatur - überall Vaterkonflikte. "The Day After Tomorrow" - Vater und Sohn finden erst in der Klimakatastrophe zueinander. Goethes "Erlkönig" - ein Vater will sein Kind retten, redet aber nur von Wind und Wetter. Stephan Puchners hoch gelobtes Romandebüt "Nebelheim" - eine verzweifelte Vatersuche bis ans Ende der Welt.

Müssen Väter mit ihren Kindern öfter angeln gehen? Freut sich der Sohn wirklich über Vaters alte Supertramp-Alben? Kann man per Blackberry fragen, wie die Mathe-Arbeit ausgefallen ist? Neue Vaterbilder werden nicht auf dem Silbertablett präsentiert.

Auch nicht von der Familienpolitik. Die belohnt in Deutschland traditionell das Ein-Ernährer-Modell, mit dem Ehegattensplitting. Wie sich nun der erfolgreiche Ernährer und der Familienmensch vereinbaren lassen, wird von Vätern einzeln im Selbstversuch getestet. Achim Exner (SPD) in Wiesbaden ging als erster deutscher Oberbürgermeister während seiner Amtszeit in den Erziehungsurlaub. Stefan Rössle nimmt gerade als erster CSU-Landrat zwei Monate Elterngeld in Anspruch.

Das Elterngeld sei für Väter das "Einfallstor in die Familie", heißt es. Nach der jüngsten Statistik haben es bisher etwa 103 000 Männer beantragt, davon 20 Prozent Erwerbslose und 21 Prozent Teilzeitarbeiter. Die Masse der hart arbeitenden Väter in der freien Wirtschaft stößt nach eigenen Angaben im Job auf wenig Verständnis für Babypausen. Die meisten entscheiden sich beim Elterngeld deshalb nur für die beiden "Papa-Monate". Erst 13 304 Männer bleiben ein ganzes Jahr bei ihrem Kind, 46 Prozent von ihnen Erwerbslose.

Robert Habeck wünscht sich einen "alternativen Familienminister", natürlich grün. Warum haben wir den nicht? "Weil Grüne und SPD gewohnt sind, über Familienpolitik als Frauenpolitik zu reden", sagt er. "Als Mann reüssiert man da eher mit Themen wie Steuern oder Hartz IV - so war dieses rot-grüne Schröder- und Fischer-Männerbild. Aber das waren unaufgeklärte Machos, die mit immer jüngeren Frauen auftauchen."

Die Grünen hätten nur auf den Kita-Ausbau geguckt und nicht gemerkt, dass Frauen und Männer auch mehr private Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. "Damit wir Väter unsere Kinder sehen, müssen wir um Entscheidungsmöglichkeiten in der Arbeitswelt kämpfen. Wir müssen Familienpolitik endlich auch als Männerpolitik definieren."

Dieter Thomä glaubt, "dass hier in der Gesellschaft wirklich ein Zielkonflikt besteht. Die einen sorgen sich um den sozialen Zusammenhalt und wollen die Familie stärken, die anderen sorgen sich um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Aber man kann nicht mit dem Argument 'Wir müssen mit China mithalten' einfach wegwischen, dass junge Eltern Zeit für ihre Kinder haben wollen." Er selbst wurde schon mit 25 Vater, "das war günstig, denn ich war noch nicht richtig im Beruf drin. Meine Frau hat in der ersten Zeit das Geld verdient." Und wie wollte er als Vater sein? "Ich benutze gern das Wort Kniebeuge", sagt er. Einerseits: groß und stark sein, Rückhalt und Orientierung geben. "Aber das darf nicht zu einer Autorität werden, die etwas Bedrohliches hat. Ich habe versucht, immer wieder in Augenhöhe mit den Kindern zu kommen, um sie zu verstehen und zu begleiten. Deshalb die Kniebeuge."

Für Robert Habeck ist Vaterwerden "wie ein Sprung von Bord in der Hoffnung, dass sich unter einem ein Meer befindet". Dann stelle man fest, dass das Meer erst beim Schwimmen entsteht: Wenn das Kind schreit, helfen keine Ratgeber, man muss selbst entscheiden, ob es müde ist, Hunger hat oder Aufmerksamkeit will. Dazu braucht man Zeit. Und Ruhe zum Ausprobieren.

"Ich glaube nicht, dass ich der strengste Vater bin", gibt er zu und grinst. Das mit dem Aufräumen zum Beispiel, da müssten er und Andrea jetzt mal eine pädagogische Offensive starten.