Für den Mimen ist sein Beruf eine Mischung aus Wanderzirkus und Gaststätte. Abendblatt-Redakteurin Heike Gätjen erlebt ihn in Hochform.

Hambure. Schmale Lippen haben was. Sie können einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Furchterregend starr wie bei dem Pastor in dem Oscar-nominierten Film "Das weiße Band", für den Burghart Klaußner als bester Schauspieler mit dem Deutschen Filmpreis 2010 ausgezeichnet wurde. Oder sie können zum Lachen gekräuselt für Heiterkeit sorgen. Wie in seinem musikalischen Programm "Zum Klaussner", mit dem er gerade in Berlin in der Bar jeder Vernunft agiert und am 18. September ins St.-Pauli-Theater kommt.

Ein Gespräch mit Burghart Klaußner ist kein leichtgewichtiges Ding. Er ist ein Seelengräber, ringt um jedes Wort, bis es druckreif herauskommt. Entwirft mit großer Geste Theorien. In dem vollgewuselten Büro von Intendant Ulrich Waller kommt Klaußner in Hochform. Mit Kaffeetassen auf der Obstkiste, Kanne und Zuckerdose auf dem Fußboden. Hüpft auf dem einzigen Sessel herum. Nennt diese Unruhe "den Verstand vom Körper befreien", greift zur nächsten Zigarette. Freut sich darüber, dass mich dieser bigotte Pastor aus Michael Hanekes eindrucksvollem Film so zornig macht. Mahnt an, dass bigott das falsche Wort sei.

Dass dieser Pastor jemand sei, der aus ehrlichem Herzen heraus glaube, dass ein "gerüttelt Maß an Gewalt und Härte" dazu diene, Kinder die Welt ertragen zu lehren. Erziehungsmaßstab einer nicht aufgeklärten Gesellschaft, sagt er. Jeder autoritären Gesellschaft! Verliert sich ein bisschen darin, dass dieser Pastor zugleich ein großer Liebender sei, der aus väterlicher Liebe heraus und aus der Verzweiflung dessen, der es nicht besser weiß, seine Kinder drangsaliert. Und dass er selbst nicht zu beurteilen wage, ob er seinen beiden Söhnen, Leonhard und Johannes, ein guter Vater ist. Dass er aber viel und gerne lobt, sich zwischen Laisser-faire und starrer Disziplin durchmanövriert.

Disziplin überhaupt. Ihm habe sie geholfen, die langen Durststrecken in seiner Karriere zu überstehen. Sonst gehst du vor die Hunde! Disziplin und seine Frau, sagt Burghart Klaußner.

Gerade sind die beiden von einem Segeltörn zurückgekehrt. Die Ostsee rauf bis nach Danzig. Segeln. Das Wasser. Dieser Ozean des Träumens. Der Gestalt hat, Geschichten erzählt, Erinnerungen wachruft. Ein Ort der schönsten Zweisamkeit auch. Mit seiner Frau Jenny, einer Holländerin. Seit 33 Jahren kennen sie sich. Seit 22 sind sie verheiratet. Bauerntochter und Gastwirtssohn. Eine handfeste Mischung.

Burghart Klaußner erzählt von dem 500-Seelen-Dorf bei Erlangen, aus dem sein Vater stammt und das er gerade in einer Drehpause zu dem Thriller "Das letzte Schweigen" besucht hat. Ein winziger Ort mit drei Gaststätten namens Klaussner, zurückgehend bis zum Ururgroßvater. Ein echtes Gastwirtsgen also. Das gleichnamige Berliner Lokal, das sein Vater bis 1965 führte, war ein bisschen so was wie heute das Borchardt. Keine Kneipe. Nein. Ein Platz zum Speisen und Schaulaufen. Willy Brandt kam vorbei und Curd Jürgens, Romy Schneider und Theodor Heuss.

Hier, sagt er und springt auf. Das müssen Sie sehen. Das alte Firmenlogo auf seinem Notebook, hergerichtet jetzt für die Bühne. Für diese Reisegaststätte mit dem bunten Programm. Mehr sei sie ja auch nicht. Die Schauspielerei. Eine Kombination aus Wanderzirkus und Gasthaus. Mit dem Intendanten als Gastgeber. Bei Applaus dürften die Gäste wiederkommen, fürs Buhen gebe es Lokalverbot. Etwa getreu dem Spruch, dass der Wurm nicht dem Angler, sondern dem Fisch gefallen müsse? Wo haben Sie denn das her?, fragt Burghart Klaußner. Ich muss passen. Also, sagt er streng, wie? Was nun? Wer ist der Wurm, wer der Angler? Und wer der Fisch? Sie haben's vertüdelt. Er kann sich ausschütten vor Lachen. Singt: Der Wurm dadada muss nicht dem Angler gefallen bumm bumm ... Schön. Ein typischer Brechtsatz eigentlich. Und schnell noch hinterher: Singen - das sei auf den Punkt gebrachtes Seelengefüge. Damit sei er aufgewachsen. Eine rheinische Mutter. Lachend und singend.

Wir kehren zu seiner langen Anlaufzeit als Schauspieler zurück. Bis er den Film und der endlich ihn entdeckte. Diesen Mann, der sich unauffällig ins Bild schleicht, es plötzlich ausfüllt und beherrscht. Den Klaußner-Moment nannte die "Frankfurter Rundschau" diese Sogwirkung.

Darüber freut er sich. Er liebe die Kraft des gebündelten Augenblicks. Die Reduktion als Aktionismus. Erzählt, dass seine schroffe Art ihm früher im Wege stand. Philosophiert ein bisschen über Choleriker - zu denen er sich auch zählte -, diese Lust, seiner verletzten Seele lautstark Luft zu machen, und den Genuss an dieser Explosion. Aber so was sei ja keine dauerhafte Lebenseinrichtung! Und dann landen wir wieder voll auf dem Boden. Bei so profanen Dingen wie Nase, Kinn und schmalen Lippen. Launen der Natur halt, sagt er weise. Und das hört sich doch richtig gut an.