Der Geschäftsführer der Theatergemeinde Hamburg kam aus einfachen Verhältnissen zu Doktorwürden. Seit 25 Jahren gibt es den Verein.

Hamburg. Der Treffpunkt könnte nicht besser gewählt sein: das kleine Restaurant Le Paquebot direkt am Thalia-Theater mit dem quirligen Gerhart-Hauptmann-Platz und der belebten Mönckebergstraße im Blick. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich sein Leben ab.

Dr. Josef Steinky, Geschäftsführer der Theatergemeinde Hamburg, die sich auch "das individuelle Abo für die ganze Stadt" nennt. Seit 25 Jahren gibt es diesen gemeinnützigen Verein, der in diesen Tagen mit einem rauschenden Fest auf Kampnagel das Jubiläum feiert.

Josef Steinky hat das Ganze im Griff und ist stolz darauf, dass das eigenständige Hamburger Segment das einzige der bundesweiten Besucherorganisation mit wachsenden Mitgliederzahlen ist. Das alles erklärt er mit einer volltönenden Stimme, die hautnah an Balladen deklamierenden Deutschlehrern entlangschrammt. Wenn das ein Kompliment sei, würde er es gern akzeptieren, sagt er und lacht. Schließlich gebe es eine Menge Lehrer unter den Abonnenten.

Und schnell noch erzählt er den Rest: 14.000 Mitglieder gibt es, die im Jahr zusammen mehr als 100.000-mal ins Theater oder Konzert gehen. Die Bandbreite ist riesig. Von Alma Hoppes Lustspielhaus bis zum Schauspielhaus vom Konzert der Hamburger Symphoniker in der Laeiszhalle bis zur Johnny- Cash-Hommage in den Fliegenden Bauten. Alles sei einfach drin. Und das sei auch ihr Reiz. Ein breit gefächertes Angebot, das jeder nach privatem Gusto und Terminkalender nutzen könne, ohne an ein bestimmtes Haus gebunden zu sein.

Wir rätseln noch ein bisschen daran herum, warum wohl heute verstärkt Anfang 30-Jährige dieses Abo nutzen trotz der Möglichkeit, Karten übers Internet bestellen zu können. Und einigen uns darauf, dass es wohl die Bequemlichkeit sein müsse, die dazu verführt. Ein Anruf oder eine Mail ans Büro der Theatergemeinde, und der Rest wird dort erledigt.

Josef Steinky ist ein liebenswürdiger, unaufgeregter Zeitgenosse. Das Gespräch mit ihm eine runde, zu allen Seiten hin abgewogene Sache. Bei Milchkaffee und Cappuccino sitzen wir draußen auf den hölzernen Stühlen des Restaurants, in dem so frühmorgens noch eine schläfrige Ruhe herrscht.

Josef Steinky grüßt zu Frau Lux rüber, die schon seit vielen Jahren im Kartenbüro des Thalia-Theaters sitzt. Entschuldigt sich für seine tränenden Augen. Heuschnupfen. Wahrscheinlich Birkenpollen, sagt er, und beginnt von seinem Leben zu erzählen.

Einem Leben, in dem kulturelle Interessen zuerst so gut wie keine Rolle spielen. Ein echtes Arbeitermilieu, sagt er. Der Vater "malocht im Schichtdienst am Fließband", die Mutter zieht die sechs Kinder groß. Ein Hauptschulabschluss - mehr sei nicht drin gewesen. Selbst der jüngste Bruder mit einer Gymnasialempfehlung habe sich dem elterlichen Diktat fügen müssen. Mit 16 zieht Josef Steinky von zu Hause weg nach Schwäbisch Hall, macht eine Kochlehre. Hält sie durch trotz eines cholerischen Chefs, der nicht nur mit Töpfen und Pfannen wirft, sondern auch mal heiße Soßen durch die Küche schleudert. Am Ende der Ausbildung sei er für sich selber aufgewacht, sagt er. In einen sozialen Beruf will er gehen, bereitet sich akribisch ein Jahr lang auf die Anhörung zur Kreisdienstverweigerung vor. Meine Sternstunde, sagt er. Vor einem Richter und zwei Beisitzern. Da sei ihm klar geworden, er könne auch das Abitur nachmachen.

In Tübingen hört er während des Studiums begeistert den Literaturhistoriker Walter Jens, der damals den eigens für ihn eingerichteten bundesweit einzigen Lehrstuhl für Allgemeine Rhetorik innehat. Promoviert über Hamburger Kleinverlage in der Zeit der Weimarer Republik. Ist begeistert von seiner Recherche im SED-Parteiarchiv. Das war 1992, sagt er, und hochinteressant.

Fast beiläufig erzählt er von seinem Engagement in homosexuellen Studentengruppen, vom Flugblattverteilen auf Wochenmärkten. Von dem Gefühl auf dem Präsentierteller zu stehen, wenn man etwas so Privates nach außen trägt, sich zum Schwulsein bekennt. Und dass er es einfach tun musste, weil es ihm so wichtig gewesen sei. Heute lebt er mit seinem langjährigen Lebenspartner, einem Theologen, "partnerschaftlich verheiratet" zusammen. Mit Standesamt und allen Pflichten, aber noch immer nicht mit allen Rechten, sagt er.

Seine große Liebe zum Theater erwacht spät. Als 22-Jähriger ist er Beleuchter am Theater, bekommt irgendwann eine winzige Nebenrolle und weiß, oben auf der Bühne zu stehen sei es nicht. Aber unten im Parkett sitzen, sich in andere Welten hineindenken, sich von Schauspielern dahin mitnehmen lassen. Eine ganz eigene Magie habe das. Genau wie das Cellospielen, seine andere große Leidenschaft.

Und dann landen wir bei diesem großen Lustgefühl, das ihn überkomme, wenn er so in der Morgensonne, aus Neugraben kommend, über die Elbbrücken auf die Elbphilharmonie zufahre. Ein tolles Projekt, sagt er. Trotz der unseriösen Art der Kalkulation. Und, nein, korrigiert er sich, nicht auf den Elbbrücken fahre er. Sondern mit der S-Bahn direkt daneben. Seine Welt ist eine ohne Auto, ohne Führerschein, das war zu Hause nicht drin, und später sei es ihm nicht mehr wichtig gewesen. Ein Leben ohne "Glotze", aber mit Konzerten im Deutschlandfunk und Filmen auf DVD. Dann steigt ihm leicht die Röte ins Gesicht, er habe einen "trashigen" Geschmack, gesteht er, und liebe Science-Fiction.

Von der Petrikirche beginnt es, 12 Uhr zu schlagen. Josef Steinky muss zurück. In seine Welt des Theaters - wie passend - am Ida-Ehre-Platz.