Studio-Hamburg-Chef Martin Willich wird im April 65. Mit Heike Gätjen sprach er über wahre Freunde, Notlügen und die schlimmsten Stunden seines Lebens.

Das hat er nicht so gern. Auch wenn er es manchmal selber sagt, dass er der kleine Dicke aus Wandsbek sei. Das hört sich schön gemütlich an. Und sanfte braune Augen hat er auch. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Denn hinter all dem steckt ein scharfzüngiger Mann, der ganz gut austeilen kann und in vielen Töpfen rührt. Ja, sagt er. Das mit dem Austeilen stimme. Das könne er besser als einstecken. Aber umtriebig sei er nicht. Er habe nur einen Beruf, in dem er ohne Netzwerk und viele Kontakte einfach nicht auskomme. Martin Willich, Chef von Studio Hamburg, Deutschlands führendem Produktions- und Dienstleistungszentrum für Film und Fernsehen, der am 1. März seit 30 Jahren in der Geschäftsführung sitzt.

Am 24. April wird er 65. Dann läuft sein Vertrag aus. Er wird länger bleiben. Ein bisschen nur. Man müsse loslassen können, sagt er. Und das könne er. Auch damals in der Politik schon. Als er stellvertretender Landesvorsitzender der CDU war und Bürgerschaftspräsident. Aber nicht in den Bundestag gehen und keinen Sitz im Senat haben wollte. Bei allem Spaß daran, sagt er. Berufspolitiker sei nie sein Ziel gewesen. Er kenne seine Grenzen.

Dann bestellt er sich erst mal einen Tee. Darjeeling First Flush. Diese Frühlingspflückung von höchster Güte. Schließlich sind wir ja im Hotel Vier Jahreszeiten. Er klaubt sich noch einen Keks von meinem Teller, sieht sich kurz mal um. Nein, niemand da, den er kennt, der unser Gespräch belauschen könnte. Also, los, sagt er. Wo fangen wir an?

Bei ihm natürlich. Dem Jüngsten von fünf Brüdern, der weg will aus Wetzlar, in dem die Familie nach einem Zwischenstopp in Kassel nach der Flucht aus Thüringen sesshaft geworden ist. Nach Hamburg will er. Sich eine Lehrstelle als Außenhandelskaufmann suchen. Außerdem ist er HSV-Anhänger. Der Einzige in der Klasse. Der Jüngste auch, der durch unentwegte Zwischenrufe auffällt und an dem als rechter Verteidiger auf dem Rasen niemand vorbeikommt.

Das mit den Zwischenrufen ist geblieben. In der Bürgerschaft ausgefochten mehr mit dem Zweihandschwert als mit dem Florett, sagt er. Jede Steilvorlage dabei genüsslich auskostend. Beim Talent zum Reden habe der liebe Gott bei ihm eben kräftig zugelangt. Beim Zuhörenkönnen dafür weniger. Er sei undiszipliniert, müsse immer dazwischengehen. Ja, zum Leidwesen seiner Familie auch zu Hause. Und neige zur Rechthaberei. Dramatische Pause. Gelächter. Schließlich habe er ja immer recht.

Martin Willich ist ein hinreißender Erzähler. Voller Anekdoten. Wie die vom Skatspielen mit Schuppen- und Stauervizen im Hafen während seiner Lehrzeit. "Da hinten in dem Haus mit dem grünen Dach Ecke Glockengießerwall." Dem Pokerspiel während einer politischen Reise nach Taiwan. "400 Mark gewonnen bei geringem Einsatz." Voller netter kleiner Breitseiten Richtung Berlin. "Was da abläuft, ist nicht auszuhalten. Erhöht aber meinen Respekt für Angela Merkel." Und auf Sparflamme, wenn es allzu sehr ans Seelenleben geht. Wie die fast 40-jährige Ehe mit Ehefrau Angela, in die er sich am Strand des Schwarzen Meers verliebte. Es ist gut so, sagt er dann knapp. Und auch, wenn es um diese dramatischen Tage im Mai 2002 geht, wird er leiser, abwägender. Eine Rettung in allerletzter Minute. Eine verschleppte Darmentzündung. Der Zusammenbruch im Büro. Die Operationen. Das künstliche Koma. Vier Monate später ist er wieder da. Dankbar für die Familie und seinen Glauben, die ihn da durchgetragen haben. Für verlässliche Freunde, Weggefährten. Glücklich darüber, dass - als er die Spreu vom Weizen in seinem privaten Adressbuch trennen will - so wenig Spreu dabei ist. Er erzählt von Loki Schmidt, die seiner Frau in vielen Briefen beistand, und wie das Ehepaar Schmidt dann plötzlich zu der privaten Feier kam, die sein Freund Alfons Pawelczyk (SPD) für ihn gab, als alles überstanden war - Motto des Abends: "Martin Willich ist wieder da".

Wir reden noch ein bisschen über Orden und Ehrungen, die er ablehnt. Für sich. Der Mensch wird nackt geboren, sagt er. Und auf dem letzten Hemd sei für so was eh kein Platz. Dass er ein großer Anhänger von diesem Satz aus dem Alten Testament sei - der, den Bismarck auch immer genutzt habe - niemals hassen, immer verzeihen, aber nix vergessen. Das halte er durch. Aber ja.

Es gebe eben Leute, bei denen sein Lebensbedarf an Kommunikation mit ihnen für immer gedeckt sei. Was für ein Satz! Er sei eben ein Mann der ehrlichen offenen Worte. Und bilde sich ein, nur im äußersten Notfall mit der Wahrheit fahrlässig umzugehen. Ein bisschen verklausuliert, oder? Für Gelegenheitslügen? Nein, sagt er, das sei zu hart. Aber man müsse nicht immer alles sagen. Wenn, müsse es auch stimmen. Und manchmal sei Schweigen einfach besser. Auch in der Ehe? Was beide berührt, da sollte Offenheit herrschen, sagt er knapp.

Seine goldene Taschenuhr mit den Initialen HW des Großvaters auf dem Deckel zeigt an, dass es langsam Zeit wird, aufzubrechen. Martin Willich läuft kurz noch mal zur Hochform auf. Erzählt die Geschichte von seinem ersten Tag im Büro vom Studio Hamburg. Als dieser kleine wirre Eindringling ihn spät abends mit einem Messer bedroht. Und mit einem Briefbeschwerer von ihm erledigt wird. Schließlich sei er nicht umsonst bei der Bundeswehr einer der Besten im Handgranatenzielwurf gewesen.

Was für ein gekonnter Abgang! Ja, sagt er lachend. Und ich habe Sie nicht einmal angeschwindelt mit meinen braunen Augen, oder? Eigentlich nicht. Aber manchmal sah der warme Vollmilchschokoladenton schon verdächtig nach Zartbitter mit Chili aus.