Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Boris Entrup, Make-up Artist.

Diese Stadt ist gnadenlos. Rein vom Licht her. Es ist hart, klar und ehrlich. Zeigt jedes Detail, jeden Pickel im Gesicht, jede Falte. Das sagt einer, der es wissen muss. Der in diesem Jahr schon mehrere Male in Los Angeles war, in New York, in Singapur auch und auf Hawaii. Der ständig durch die Welt düst. Boris Entrup, Make-up Artist und Deutschlands Top-Visagist. Oder auf Deutsch: ein Künstler in Sachen dekorative Kosmetik. Das hat er nicht so gern. Und klingt ja auch irgendwie sperrig.

Wir hätten uns ein paar Stunden später treffen sollen. Nicht wegen seines eng gedrängten Terminkalenders. Sondern wegen des Lichts. Das sei um 17 Uhr am besten, sagt er. Sanft und schmeichelnd, selbst in Hamburg. Zu spät. Und so sitzen wir hier um die Mittagszeit auf der Dachterrasse des George-Hotels an der Barcastraße. Mit diesem grandiosen Blick auf die Alster. Und mitten im grellen ungalanten Sonnenlicht.

Boris Entrup ist ein heiterer, unbelasteter Gesprächspartner, der seinen Beruf genießt und gern davon erzählt. Der bei "Germany's Next Topmodel" seit der zweiten Staffel dabei ist - das hat ihn bekannt gemacht. Die Leute drehen sich nach ihm um. Und ja, auch das genießt er. Oder besser gesagt, nimmt es gerne hin. Denn berühmt sein, was ist das schon, sagt er. Ein bisschen aus der Masse herausragen vielleicht. Ohne Bewertung. Nicht besser sein als andere, ergänzt er schnell, sondern einfach ein bisschen anders. Bewertungen hasse er. Ja und anders als der Durchschnitt sein, diese Formulierung allein könne er schon mal nicht leiden. Ach, diese Bewertungen, sagt er noch einmal. Also, Durchschnitt sei er nicht. Und besser auch nicht. Mehr gäbe es nicht dazu zu sagen. Absolut. Ausrufungszeichen.

Die vierte Staffel von Heidi Klums Suche nach Deutschlands Nachwuchs-Topmodel ist im Mai ausgelaufen. Jetzt ist Heidi Klum schwanger. Und was dann komme, werde später entschieden, sagt die Pressestelle von ProSieben. Das kann Boris Entrup nicht erschüttern. Er ist ein gut gebuchter Mann. Als Vertragsvisagist für eine weltweit agierende Kosmetikfirma, für Fashion Shows bundesweit, für Mode- und Kosmetikstrecken in Zeitschriften. Und auch als Buchautor. Zwei hat er bereits geschrieben. "Schön mit Boris Entrup" und "Make-up. Einfach schön aussehen!". Beauty-Tipps, die gut laufen. Also nutz ich mal die Chance. Falten kaschieren, wie geht das am besten? Ach, sagt Boris Entrup, Falten wegspachteln, das sei so eine 3-D-Kosmetik, die er nicht gut fände und die auch nichts bringe. Sobald das Licht anders falle, sähe man sie doch. Genau wie weggeschminkte Pickel. Man müsse einfach was anderes betonen, das den Blick ablenke. Schöne Augen etwa. Nun gut. Und umstylen, sagt er, es käme doch drauf an, wofür. Einmal Queen of the Day sein, für einen romantischen Abend, eine Hochzeit oder einen Businesstermin. Gut, dann Letzteres. Da können Sie so hingehen, wie Sie sind, sagt er. Und lacht. Mit diesem kicksenden, auf- und absteigenden Ton, der ansteckt und gar nicht enden will. Nur für die romantische Nacht mit Busseln und Knutschen, sagt er dann, da sollte man auf keinen Fall grellroten Lippenstift auflegen. Dann wär's aus mit dem Küssen. Die nächste Lachsalve folgt.

Boris Entrup, der Mann mit dem beneidenswerten Lockenkopf, dem Albtraum seiner Kindheit. Er fand ihn schlicht "grausam". Hat sich erst vor fünf, sechs Jahren damit arrangiert, als Laune der Natur akzeptiert und zu seinem Markenzeichen gemacht. "Eine Löwenmähne, ungestüm und vorwärtsstrebend." Fassen Sie ruhig mal rein, sagt er lachend. Alles echt. Aber so sei es nun mal, sagt er dann nachdenklich. Die Menschen auf der anderen Straßenseite sind immer die schöneren. Oh, sagt er schnell, jetzt wird's ja fast philosophisch

Der Dreitagebart gehört auch zu seinem Image. Nur länger dürfe er nicht werden. Dann rollen sich die Barthaare, bohren sich in die Haut, pieksen. Wir streifen noch kurz die Eitelkeit der Männer. Sie sind viel eitler als Frauen, sagt er. Und verlieren leider, leider den Faden, weil er gerade mal kurz auf italienisch mit der Kellnerin spricht, die seinen Maracujanektar bringt.

Boris Entrup reist mit großem Gepäck um die Welt. Rein beruflich. 14 Koffer in zwei Taxen können es schon mal sein. Der Kosmetikkoffer von mehr als 30 Kilo noch dazu. Boris Entrup privat reist mit wenig Gepäck. Ein Koffer und ein Kulturbeutel mit Zahnbürste, Zahnpasta, Feuchtigkeitscreme, Deo und Duft. Ich brauch einfach nicht mehr, sagt er dann, denn auf ihm läge schließlich nicht der Focus.

Die Hotelfachschule hat er damals nach dem Abi abgebrochen. So in Hemd, Weste Fliege und Sakko - da sei zu viel Rolle drin gewesen. Wie das? Ausgerechnet bei ihm! Nein, sagt er, er spiele auch jetzt keine Rolle, sei so wie er ist. "Authentisch in dem, was ich tu. Dienstleistungen erbringen, schminken." Nöö wirklich, sagt er dann noch einmal. Relativ wenig Rolle.

Boris Entrup geht aus seiner Geburtsstadt Memmingen "da unten im Allgäu zwischen München und Lindau" weg, um Friseur zu werden. Seine Eltern lassen sich sicherheitshalber den Ausbildungsvertrag zeigen. Das war ihnen halt wichtig, sagt er. Eine richtige Lehre, egal was. In München entdeckt er schnell, nach Beendigung der Lehre, dass er lieber noch als mit Haaren mit Gesichtern arbeiten möchte. Und vor allem direkt mit den Händen. Unterstützt von Pinseln, Schwämmen und Stiften zwar. Aber dann doch direkt und hautnah. Er habe immer alles über seine Sinne erfahren wollen, sagt er. Sei schon in der Schule kein Auswendiglerntyp gewesen. Habe über Riechen, Schmecken, Fühlen leben gelernt. Ein haptischer Typ, sagt er, und visuell. Und das könne er jetzt voll ausleben. Einfach wunderbar! Mit mehr als fünfzig verschiedenen Hauttypen arbeiten, immer dicht dran an den Frauen und Mädchen sein.

Hat er jetzt den Dauerschminküberprüfblick drauf, bei jedem, der ihm begegnet? Oh nein, sagt er, er renne doch nicht mit einer Liste durch die Welt, kreuze an, was richtig oder falsch sei. Er trainiere sich darauf, die Leute so sein zu lassen, wie sie sind. Auch wenn er sie schminke. Und das sei harte Arbeit. Sich zu bremsen. Nicht zu viel verändern zu wollen. Harte Arbeit, genau wie das ewige in der Welt Herumjetten. Ankommen, auspacken, arbeiten, zack, zack, zack. Und wieder los. Das Privatleben bleibe dabei auf der Strecke. Du kommst nach Hause zum Umpacken, schickst ein paar SMS los: wieder da. Wollen wir einen Kaffee trinken? und dann musst du schon wieder los. Irgendwann bleiben die Anrufe aus, sagt er, weil die denken, du bist ja doch unterwegs.

Wir reden noch ein bisschen darüber, dass er gern im Hier und Jetzt lebe, nicht zu lange vorausplane, "sonst hältst du das gar nicht durch". Dass er nicht immer so gut drauf sei wie heute. Aber halt ein fröhliches Naturell habe. Hey, sagt er, das Ergebnis meiner Kindheit. Selbst die Fehler meiner Eltern haben mich doch zu dem gemacht, der ich bin. Oder?

Boris Entrup engagiert sich gemeinsam mit Eastpak für "Gangway" und den Verein Dunkelziffer. Nicht weil es gerade dazugehöre, sondern aus Überzeugung. Dafür hat er sich unter anderem bei Ebay ver- und ersteigern lassen. Und auch für die Maybach-Stiftung. Ja, sagt er, das habe eine ganze Menge Geld gebracht. Jedes Mädchen wolle sich doch mal von einem Make-up-Profi schminken lassen. Auch bei einem Wahlspot in Kino und Internet ist er dabei. Würde er denn, wo wir gerade beim Thema Politik sind, unsere Kanzlerin kosmetisch aufpeppen? Oh nein, sagt Boris Entrup, er würde sie so lassen, wie sie ist. Sie habe optisch ihren Auftritt gefunden. "Den Rest lassen wir offen." Aber er gehe auf jeden Fall zur Wahl.

Dann erzählt er noch ein bisschen von seinen Träumen. Den Kleinen. Vom noch perfekter Werden in seinem Metier. Und den Großen. Einem kleinen Haus in den Abruzzen, wo er Urschweine , -hühner, und -rinder züchten möchte. Mit einem offenen Haus. In dem sich Menschen zusammenfinden könnten. Ein Treffpunkt für interessante Menschen, sagt er.

Langsam naht die Rettung. Rein lichttechnisch gesehen. Es geht auf fünf Uhr zu. Dem sanfteren Licht entgegen. Der schönste Platz in Hamburg, sagt Boris Entrup plötzlich, sei nachts um drei bei Vollmond in einem Paddelboot auf der Alster. Eine unendliche Stille, das silbrige Mondlicht, das tiefschwarze Wasser wie ein Spiegel. Das sei das Allerschönste überhaupt. Und wahrscheinlich verboten, sagt er dann schnell. Damit es nicht zu pathetisch klingt. Denn auch das hat er nicht so gern, dieser nette junge Mann mit den gepflegten Händen.