Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Joachim Lux, Intendant am Thalia-Theater.

Das macht neugierig. Oder auch einfach nur ratlos. Eine intellektuelle Aura soll er haben, so heißt es. Und darunter kann man sich alles Mögliche vorstellen. Ja, sagt er. Er wisse auch nicht genau, was das bedeute. Aber es solle wohl heißen, dass er als Theatermacher immer nach dem inneren Sinnzusammenhang suche. Oder simpler gesagt, dass er ein Vergnügen daran habe, die Welt zu verstehen. Joachim Lux, der neue Intendant am Thalia-Theater.

Einen Container hat man für ihn oben im 6. Stock drangesetzt. Der Boden warmes Holz. Die Wände noch weiß und kahl. Der Blick aus den Fenstern nicht gerade berauschend. Von seinem Büro am Burgtheater habe er aufs Parlament geguckt, das Rathaus, die Ringstraße. Und einen Balkon hatte er auch. Hier nur einen Blick aufs Dach und einen kleinen Austritt, sagt er lachend. Das Büro ist noch längst nicht fertig. Regale fehlen. Bilder. Und auch der Spruch, den er so gerne aufhängen würde, darbt noch in einer Plastikhülle vor sich hin. Er sei von Gert Jonke, einem seiner leider verstorbenen Lieblingsautoren: "Das, was man am Burgtheater macht, ist meistens Weltklasse, auch wenn's schiefgeht."

Das sollte helfen. Auch in Hamburg. Denn da tritt er mit einem umfangreichen Programm an. 15 Premieren am Thalia-Theater und noch vier dazu in der Gaußstraße. Und die beiden ersten waren durchaus keine Kracher. Aber das kann ja nur besser werden. Am Burgtheater habe es immer geheißen, man wisse ja nie was komme, sagt er. Aber gehe auf jeden Fall hin. Und das sei doch das Wichtigste überhaupt, dass die Leute das Theater nicht einfach nur absitzen. Es sei ja schließlich keine Fernsehunterhaltung. Die Leute sollten sich inhaltlich damit auseinandersetzen. Im positiven wie im negativen Sinn. So wie er damals bei einer Inszenierung von Peter Zadek, als einer der Akteure die ganze Zeit mit einem an Gummibändern umgehängten Bart herumlief. Und er, Joachim Lux, sich fragte, was denn der Quatsch nur solle. Aber es sei keine vergeudete Zeit gewesen. Und das sei für ihn das Schlimmste. Vergeudete Zeit im Theater!

Joachim Lux ist ein gelassener und heiterer Gesprächspartner, der sich - so scheint es - durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Ja, sagt er, das sei eine Charakterdisposition, kein Verdienst. Er sei nicht erschrocken oder verängstigt. Nicht wegen des Eklats in Hamburg bei seiner Wahl zum Intendanten, bei der er es mit acht von zwölf Stimmen schaffte. Nicht wegen des Spruchs von Jürgen Flimm, dass er als Intendant eigentlich eine Fehlbesetzung sei und erst mal woanders üben gehen solle. Die beiden würden sich lange genug kennen und so was einfach ad acta legen. Und auch der Schatten seines Vorgängers, Ulrich Khuon, laste nicht auf ihm. Sie hätten eine sehr gute Übergabe gehabt, und einen Brief mit allen guten Wünschen für den Start hat Khuon ihm auch geschickt. Hier, sagt er, und holt ihn vom Schreibtisch seiner netten persönlichen Mitarbeiterin Johanna Bauer.

Lux, das ist ein Name wie ein Peitschenknall. Schnell, scharf, wie aus der Hüfte geschossen. Finden Sie, sagt er. Und dann, na ja, es sei schon so gewesen. Früher in der Schule. Lux setzen, habe schon einen anderen Klang gehabt als Müller-Elmar bitte setzen. Und der Familienname komme nicht aus dem Lateinischen von Lux, das Licht, sondern väterlicherseits aus dem Schlesischen, die Kurzform von Ludwig.

So. Und nun machen wir uns mal ran an den Mann, der gesteht, noch ein bisschen zu fremdeln. Der nach zehn Jahren im Ausland zurück in seinem Heimatland erst wieder heimisch werden müsse. Der sprachlich noch nicht angekommen sei. Obwohl er kein bisschen "weanert". Ganz im Gegensatz zu seinen beiden Kindern, sagt er. Er sei dagegen völlig resistent. Aber nehmen Sie mal das Wort Mülleimer, sagt er dann. In Österreich heiße das Mistkübel. Das fand er erst lächerlich und dann höchst sinnlich. Mistkübel. Der Unrat als Ausdruck der bäuerlichen Gesellschaft. Genial. Tja, und jetzt müsse er sich wieder umstellen.

Also sagt er, und hebt leicht theatralisch die Hände, nimmt ein paar "Ähms" zur Hilfe. Es sei so mit den Wienern und den Hamburgern - eine große Affinität. Hier würden sie sagen, oh, du hast in Wien gelebt und dort, oh, du gehst ja nach Hamburg. Gegenteilig in allem, sagt er. Katholisch und protestantisch. Da die höfisch aristokratische Kultur, hier die bürgerlich demokratische. Da die Berge, hier das Meer.

In seiner Zeit in Bremen hat er das Meer lieben gelernt. Die kilometerlangen Strände vor St. Peter-Ording und auf Sylt. Kann dort stundenlang herumlaufen. Laut geträumte Gedanken haben und ja, auch mal schimpfen. Selten allerdings. Ehekräche gäbe es bei ihm - noch - nicht. Er sei ja erst zehn Jahre verheiratet. "Auch wenn das heutzutage schon fast Goldene Hochzeit bedeutet." Und aus der Ruhe bringen könne ihn eigentlich nur zu viel Penetranz - "nein, nein, dieses Gespräch mit Ihnen gehört natürlich nicht dazu" - und eigenes Versagen. Massiertes Versagen auch von anderen. Wenn man die Chance hätte, was hinzukriegen "und kriegt und kriegt es nicht hin, dann wird man so wütend ...!

Seine Liebe zum Theater hat ein bisschen schräg begonnen. Oder auf Joachim Lux: Die innere Berührung mit dem Theater habe erst spät in der Pubertät angefangen und nicht beim Krippenspiel in der Schule. Eine Zufallsbegegnung. In den Schulferien. Als Statist in der Rossini-Oper " Die Italienerin in Algier". Da habe er als Sklave das Mühlrad gedreht. Lacht in sich hinein. Ja, so habe es angefangen. Das sei der Urpunkt. Mühlrad, Sklave, Oper. Für ganze zehn Mark. Er wird Regieassistent am Theater in den Semesterferien, leitet Kulturfestivals in Tübingen. Große Nummern gleich, mit zwanzig-, dreißigtausend Besuchern, hat viel "Seherfahrungen" in Stuttgart, in Bochum. Rutscht eher rein in diese Welt, diesen Sog, der ihn nicht wieder loslässt. Wird in Münster Dramaturg für eine Spielzeit. "Learning by doing." Schläft in leeren Apartments auf Matratzen. In WGs mit 24 Leuten. Irgendwo. Notfalls im Kinderbett. Tübingen, Bielefeld. Überall die gleiche Chose. Einfach so rum- und reingeschlittert. Er habe genommen, was er gekriegt habe. Ganz ohne Anspruchsdenken. Nach dem Motto: Es wird schon zu was führen. Und so sei es ja auch.

Die beiden Stücke, die er im September präsentiert, die Kennedytrilo-gie und der große Monolog der Jackie O. mit Katharina Matz - ein bisschen viel Kennedy auf einmal. Eine leichte Manie gar? Nö, sagt er, das habe der Regisseur Luc Perceval schon lange mit sich herumgetragen, geprägt von einem Vater, der alles über die Kennedys akribisch gesammelt hat. Und auch er selbst habe da so einen seltsamen Zusammenhang in sich aufgetan. Eine Erinnerung an Familienfeste Anfang der Sechzigerjahre. Als er noch viel Haar und einen geraden Seitenscheitel trug. Du siehst aus wie ein richtiger Kennedy, hätten die Großeltern gesagt. Und er habe nicht einmal gewusst, von wem die Rede war.

Wir reden noch ein bisschen über seinen Hang, aus Hotelzimmern immer die Proben mitzunehmen, wie diese Bodylotion auf seinem Schreibtisch. "Ein typisches Nachkriegskind. Man weiß ja nie, was noch kommt."

Seine ungebrochene Liebe zur "sehr elaboraten Wiener Küche." Zu Süßspeisen, Tafelspitz. Seiner Abneigung gegenüber elektronischen Geräten wie dem Blackberry. Dass er nur wegen des Ständig-erreichbar-sein-Müssens am Burgtheater kapituliert habe. Ein Holztelefon mit zwei Knöpfen hätt's für ihn auch getan. Und jetzt sei er zum Sklaven von diesem Ding geworden. Dass er gern mal wieder aus reiner Lust lesen möchte. Zauberberg. Der Mann ohne Eigenschaften. Dostojewksi. In einem 800-Seiten-Roman in eine andere Welt abtauchen. "Lesen ist jetzt für mich Beruf." Dass es natürlich ginge, wenn Mann und Frau, er als Intendant, sie als Dramaturgin, zusammen am selben Theater arbeiten. Man dürfe es nur nicht mit nach Hause tragen, müsse seine private Sphäre schützen. Und umgekehrt auch. Private Zwiste im Theater? Ich bitte Sie, haben wir doch nicht!

Vom Turm der Petrikirche schlägt es Zwölf. Drei Zigaretten sind aufgeraucht. "Das ist doch noch keine Kette!" Der nächste Termin steht an. Ja, sagt er nach einem Blick auf dieses geheimnisvolle technische Gerät. Er müsse los. Und dann schlägt er noch mal kurz den großen Bogen. Also, sagt er, wegen der intellektuellen Aura noch mal. Er habe sich ganz am Anfang seiner Karriere gegen eine bereits begonnene Promotion entschieden und für die Praxis. Das sei der Knackpunkt gewesen.

Elegant abgerundet. Irgendwie. Aber nicht sehr plausibel. Darüber muss er dann selber lachen, geht mit durch das Gewirr der Gänge bis vor sein neues Haus. Steht da ganz zufrieden. Und bar jeder Aura. Was immer das auch sei.