Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Ulla Hahn, Dichterfürstin

Sie ist eine zweigeteilte Frau, könnte man denken. Eine, die oben im ersten Stock dieser Villa an der Außenalster schreibt. Total weg sei und absolut unsozial während dieser Arbeitsphasen, wie sie sagt. Und unten wohnt und lebt. Nein, sagt sie, so sei es eigentlich auch nicht. "Wenn Sie so leben wie ich, ist das Schreiben immer dabei." Ulla Hahn, eine der führenden deutschen Lyrikerinnen und erfolgreiche Romanautorin, deren zweiter Band mit dem Titel "Der Aufbruch" jetzt erscheint, die Fortsetzung von "Das verborgene Wort" - 2001 erschienen.

Das alles erzählt sie in ihrem wunderbar verwuselten Garten hinter dem Haus. Umringt von Phlox. Von Goldrute. Von der goldbraunen Sonnenbraut, die die 1,54 Meter große Frau weit überragt. Von Rosenbüschen. Und den Resten der Lieblingsstaude von ihr und ihrem Mann, dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister und SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi, der flammendroten "Brennenden Liebe". Sie sei leider verblüht, sagt Ulla Hahn und lacht, nein, nicht die Liebe. Die Staude natürlich. Diesem Garten, seinem Geruch, den Farben hat sie in ihrem Gedichtband "Epikurs Garten" ein Denkmal gesetzt. Und ihn damit auch ein bisschen abgehakt. Sie käme vor lauter Schreiben nicht mehr dazu, sich um ihn zu kümmern.

Zweigeteilt sei nicht richtig, sagt sie dann. Den Faden wieder aufnehmend. Schreiben sei ja auch Selbstversenkung, aus der dann immer wieder Bilder hervorsteigen. Überall. Selbst beim Joggen an der Alster und auch im gerade beendeten Urlaub in Bayern, auf Wunsch ihres Mannes hatte sie ihren Laptop zu Hause gelassen.

Wir sitzen im Wohnzimmer. Inmitten von Zeitungs- und Bücherstapeln. Ehemann Klaus von Dohnanyi bringt Tee, nickt kurz zur Begrüßung, macht sich schnell wieder davon. Hat ein Ehemann denn eigentlich noch Platz in diesem vom Schreiben beherrschten Leben. Aber ja, sagt sie. Wenn sie mit ihrem Mann rede, egal worüber, kämen ihr die besten Ideen. Da laufe im Unterbewusstsein etwas mit, das kreative Funken erzeuge. Eine Liebeserklärung etwa? Hhm, sagt Ulla Hahn. Bei Menschen, mit denen sie sehr vertraut sei, ihrem Mann, ihrem Bruder, der in Köln lebenden Schwägerin, da habe sie das Gefühl der vollkommenen Geborgenheit, da könne es mitlaufen, dieses unsichtbare Band. Sie rutscht runter von der weißen Ledercouch, macht es sich auf dem Fußboden bequem. Überlegt, wie lange sie eigentlich schon verheiratet ist, muss passen. Und lachen. Siebzehn Jahre seien sie zusammen. Das allein zähle. Der Gang zum Standesamt, nun ja, eine Formalität aus praktischen Erwägungen. Und eher beiläufig. An einem Tag im Dezember. Frühmorgens um zwanzig vor acht. Und von ihr aus nicht nötig. "Es war ja gut, wie es war." Thema durch.

Ein Gespräch mit Ulla Hahn ist eine ernsthafte Sache. Diese so weich und mädchenhaft wirkende Frau, die das Wort so sehr liebt, geht nicht leichtfertig damit um. Wägt Antworten vorsichtig ab, entzieht sich mit ihrer Hilfe spröde jeder Annäherung. Nein, sagt sie, das stimme nicht. Nur sei sie eben eine total langweilige Person. Ihre Bücher seien viel interessanter. Langeweile, sagt sie dann nach einer Pause, habe ja nicht immer diesen negativen Charakter. Langeweile könne auch ein ungeheures Privileg sein. Zeit haben, die man dehnen könne, ausfüllen mit dem, was man brauche. "Weilen können und nicht hetzen. Oder auf Neudeutsch: sich keiner fremdbestimmten Zeit unterordnen."

In ihren beiden letzten Romanen beschreibt Ulla Hahn stark biografisch geprägt, das Leben der Hilla Palm. In den Fünfziger und Sechziger Jahren. Ihren Ausbruch aus der wortlosen Welt eines kleinen Dorfes im Rheinland. Die weg vom Kölschen im Hochdeutschen ihre Zuflucht findet. In Büchern. In der Fantasie. In ihren Träumen. Ja, sagt sie, aber gleich mal vorab: Das heißt nicht, dass ich so wie ich hier vor Ihnen sitze, auch die Hilla in dem Buch bin.

Doch ganz ohne Hilla Palm geht die Ulla Hahn nun mal nicht. Auch sie hat es geschafft, sich ihre Geschichte selber zu schreiben, wie der Lehrer Rosenbaum der kleinen Hilla ans Herz legt. Ein schwieriger Befreiungsakt. Von Rückschlägen begleitet. Das alles wieder aufleben zu lassen sei schmerzhaft gewesen, habe sie einfach davongetragen. Ihr das Schreiben aus der Hand genommen. "Sie stellen eine alte Kaffeekanne auf den Tisch und schon rennen die Bilder mit Ihnen davon."

"Das verborgene Wort" schaffte es auf Anhieb in die Bestsellerlisten. Trotz der Proteste von Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki, der das Buch im Literarischen Quartett als Frauenliteratur verdammte. Als infantil und pubertär. Und als Beweis dafür, dass Lyriker keine Romane schreiben könnten. Ach dieser Streit, sagt, Ulla Hahn, lange schon beigelegt. Sie habe Reich-Ranicki kürzlich in Frankfurt besucht und ihm auch das zweite Buch geschickt. Seine Reaktion? Die stehe noch aus.

An den Film nach ihrem ersten Buch der Hamburger Regisseurin Hermine Huntgeburth, "Teufelsbraten", habe sie sich nur langsam herangeschlichen. Hat erst ihren Bruder vorgeschoben, dann ihren Mann. Und erst als beide ihn gelungen fanden, habe sie es auch gewagt. Ein Buch ist ein Buch, sagt sie zögernd. Ein Film ist ein Film. Aber der Geist des Buches, das soziale Milieu, sei gut getroffen.

Wir verlieren uns ein bisschen in den Schwierigkeiten, den eigenen Weg zu finden. Erinnerungen nicht zur Last werden zu lassen. Dass das nur mit der nötigen Distanz möglich sei. Die Frage zu beantworten: wie bin ich geworden wie ich bin. Wenn sie in im kleinen Dorf Monheim geblieben wäre, sagt sie, oder in dem größeren Kosmos, dem Raum Köln, hätte sie das nie geschafft. Und, sagt sie nach einer Pause, aus einem Milieu rauszuwachsen, es hinter sich zu lassen, sei ja auch mit Trauer und Abschied verbunden. Es werde nicht immer nur weiter und besser, man verliere auch etwas. Die Enge, aus der sie geflüchtet sei, bedeute ja auch eine gewisse Geborgenheit. Darüber, sagt sie, könnten wir noch lange philosophieren. Vielleicht aber nur das noch, die Menschen fingen jetzt in ihrem zweiten Band an zu sprechen. Öffneten sich, würden menschlicher. So wie im Parzifal, den sie so liebe. Der lernen muss, Amfortas zu fragen, woran er leide. Sie habe ihren so brutal zerstörerischen Vater verstehen gelernt. Ihm jedes Wort noch vor seinem Tode verziehen. Er konnte nicht anders, sagt sie.

Wir lassen die Hilla mal Hilla sein. Wenden uns Ulla Hahn zu. Die gerade an einem Amulett an ihrem Hals herumzwirbelt. Ein Geschenk ihres Mannes nach dem ersten Buch. Eine alte Münze, 600 vor Christi. Von der Insel Lesbos. Der Pegasus ist drauf. Das davonstürmende Pferd der Dichter, sagt sie. Schön nicht?

Wir reden noch ein bisschen über die katholische Kirche. Dass sie dabei sei, sich ihr wieder anzunähern, "als gläubige Zweiflerin". Den Hamburger Erzbischof Werner Thissen einfach besonders finde, faszinierend. Nur die Dogmen, das Kirchenrecht würden sie fuchsig machen. Ihr Mann sei geschieden. Und so seien sie rein kirchlich zur wilden Ehe verdammt. Auch die Politik kommt noch dran. Dieses wunderbare Streitthema im Hause Hahn/von Dohnanyi, bei dem die scharfen Abgrenzungen rund geschliffen sind. Sie hätten beide ein parteiübergreifendes Herz, sagt Ulla Hahn. Auch wenn ihres für Angela Merkel schlage, die sie in ihrem letzten Wahlkampf unterstützt hat, und das von Klaus von Dohnanyi, leicht altersmilde geworden, immer noch klar rot sei. Aber richtig streiten, nein, das sei eher spielerisch. Und manchmal schieße sie auch einfach nur so zum Spaß einen Pfeil ab.

Sie erzählt, dass in ihrem Heimatdorf Monheim die Stadt ihr Elternhaus, "ein Häuschen nur", gekauft und ein Ulla-Hahn-Haus daraus gemacht habe. Ein Haus für lesende Kinder. Dass ihr Herz schon sehr am Rheinland hänge. Dass es ein "Sehnsuchtsort" bleiben müsse. Zum Drüber-Schreiben, um diese Sehnsucht zu erhalten. "Wenn man sich nicht mehr sehnt, ist man doch tot, oder?"

Zum Abschied gibt sie noch eine Probe Kölsch zum Besten, dieser Sprache der Kindheit, die viel mehr als ein Dialekt sei. Ein langsam leider verschütt gehender Rest des Ripuarischen: Denn dat verlirste nit, dat häste a Leben lang druff - oder so. Ihr Mann würde sich dabei immer schlapp lachen. Wir gehen vorbei an dem Stapel Post, der sich während ihres Urlaubs aufgetürmt hat. Auch ein Stein ist dabei. Ein Buchstein. Das Geschenk eines Lesers. Ein Kiesel wie die am Rhein, mit denen der Großvater im Roman ihr hilft, dem Alltag den Schrecken zu nehmen. Ja, wem denn nun. Hilla oder Ulla? Na beiden, sagt sie lachend.