Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Michael Eggenschwiler, Flughafenchef

Diese Wette hat er verloren. Der Mann, der alles andere als ein Zocker ist. Die 13-Millionen-Fluggäste-Grenze wollte er 2009 überspringen. So hat er es im Abendblatt zum Jahreswechsel verkündet. Wenn nicht, würde er eine Schulklasse persönlich über das Gelände führen. Das wird er jetzt wohl machen müssen. Bei dem Fluggästerückgang um 12 Prozent in den ersten beiden Monaten. Und ja, sagt er, das würde er auch richtig gerne tun. Michael Eggenschwiler, Vorsitzender der Geschäftsführung des Flughafens.

Er ist ein besonnener Gesprächspartner, mit dem ich mich im Mövenpickrestaurant im Terminal 2 treffe. Ruhig, gelassen, mit langen Pausen zwischen den Sätzen "wahrscheinlich meine Schweizer Gene". Der Rückgang der Fluggastzahlen also. Ein Albtraum? Nein, sagt er. Er habe Respekt vor solchen wirtschaftlichen Änderungen. Großen Respekt in seiner Position. Und 12 Prozent Minus sei eine Menge. "Aber wir wollen die Beschäftigung halten, und das wird uns auch gelingen."

Er benutzt gerne das Wort Respekt, wenn es um all das geht, was Albträume auslösen kann oder Ängste. Wie die Häufung von Flugzeugabstürzen in der letzten Zeit. Angst, sagt Michael Eggenschwiler, sei ein schlechter Ratgeber. Er selbst habe einige Unglücke erlebt in seiner Zeit bei der Crossair und Swissair. Wie den Absturz der Swissair Maschine im September 1998 über Halifax. Damals gehörte er zum Notfallteam. Führte Gespräche mit Angehörigen, hielt die Rede bei der Trauerfeier. So was geht unter die Haut, sagt er. Da lerne man Respekt vor Unwegsamkeiten zu haben. Und besonnen und verantwortungsbewusst damit umzugehen. Ein absolutes Muss in seiner Position.

Michael Eggenschwiler ist auf geradem Weg nach zwei Schweizer Fluggesellschaften auf dem Airport Hamburg gelandet. Halt, sagt er, da war noch ein kurzer Abstecher bei einer Beratungsfirma und das Sommerstudium in Stanford. Ein Executive Training. Aber ein direkter Weg sei es schon gewesen. Ohne Rütteln am Zaun? Ohne den Ruf nach einem eigenen Flughafen? Natürlich, sagt er und zeigt neben vielen Lachfältchen um die Augen herum auch zwei spitze Eckzähne. Ein verkappter Dracula etwa? Nein, sagt er. Blutrünstig sei er nicht.

Seine Diplomarbeit hat er über den Flughafen Basel geschrieben. Ohne zu ahnen, dass er mal selber einen dirigieren wird. Gleich nach dem Abitur, Matura auf gut schweizerisch, und dem Diplomkaufmann, dem heimischen Lizentiat Oeconomicus, sei er durch einen glücklichen Zufall zur Crossair gekommen. Ein kleines und ganz junges Unternehmen damals noch, mit 100 Mitarbeitern und Flugzeugen mit 18 Sitzen. Da habe er alles gelernt. Richtig von der Pike auf. Fit für den Sprung zur Swissair, bei der er erst europa- und dann weltweit Zusammenarbeitsverträge mit Fluggesellschaften betreut und Landerechte verhandelt habe. Sehr viel unterwegs gewesen sei. Fremde Welten, fremde Kulturen. Das Fernweh, diese innere Unruhe von früher, sei seitdem weg. Vielleicht möchte er noch mal nach Reykjavik, da gäbe es jetzt Direktflüge von Hamburg aus. Oder Südafrika. Pause.

So sind sie, die Basler. Ein bisschen schwergängig. Und sehr charmant, wenn sie denn den Schalter umlegen. Er ist gerade aus Florida zurückgekommen. Hat im Urlaub endlich den neusten Grisham geschafft. "The Associate". Und eine ganz tolle Erfahrung gemacht. Den Start der Space Shuttle Endeavour live. Absolut gewaltig. Die Zündung. Der Feuerschub. Das Verschwinden in den Wolken. Und dann zeitversetzt wegen des drei bis vier Kilometer Abstands zur Rampe, der Schall. Eigenartig. Eindrucksvoll.

Ins All würde er auch gern fliegen. Nur greifbarer sei wahrscheinlich der Traum vom Looping im offenen Doppeldecker. Einmal habe er das schon gemacht. Einen Flug. Nein, ohne Looping! Aber es sei ein ganz wunderbares Gefühl gewesen. In fast viertausend Meter Höhe über der Zentralschweiz. Vorne vor dem Piloten sitzend! Wie in dem Film "Jenseits von Afrika", in dem Robert Redford mit Meryl Streep abhebt und mit ihr händchenhaltend die Welt von oben genießt? Nein, sagt er leicht amüsiert, ich bitte Sie. Ich habe doch nicht mit dem Piloten Händchen gehalten.

Michael Eggenschwiler stammt aus Basel. Aus dem kleinen Ort Riehen direkt nebenan. Mit dem bekannten Beyeler Kunstmuseum, ergänzt er. Sein englischer Großvater ist Pilot in der britischen Air Force während des 1. Weltkriegs. Schon früh fliegen die Kinder mit den Eltern zu den Großeltern. Beide Söhne träumen davon, Pilot zu werden. Der jüngere Bruder wird es, und wenn er jetzt am Flughafen mit der Swiss landet, geht Michael Eggenschwiler natürlich hin und begrüßt ihn. Dass er selber nicht Pilot geworden ist, habe er nie bedauert. Sein Leben sei bunt und bewegt genug gewesen. Nur den Flugschein, den wolle er schon noch machen.

Michael Eggenschwiler - der Name komme aus dem Solothurn, und da könne ihn jeder sofort richtig schrei-ben - ist sein Leben zügig angegangen. Auf die Primarschule "wozu ihr so langsam kommt, das gibt's in der Schweiz schon lange" folgt das Gymnasium, das Studium in St. Gallen. Eine Auszeit hat er sich nie gegönnt. Das passe nicht, sagt er. Bei ihm. Sich mal ziellos treiben lassen. So vor sich hin leben. Nein, das sei er nicht. Es müsse schon zielgerichtet sein. Und bereichernd. Und das hätte er auch seinen beiden Kindern vermittelt. Aus der Halle dröhnt plötzlich lautes freudiges Gejohle herauf. Das, sagt er, ist das, was den Wohlfühlfaktor ausmacht. Hier im Flughafen. Diese Abwechslung. Das Leben. Begrüßung, Abschied. Ankunft. Fernweh. Der Traum vom Wegfliegen. Und ja, das fühle er gern.

Michael Eggenschwiler, der von sich sagt, dass er nie ein Querschläger gewesen sei. Der sich im Werkstatttheater vom Konfirmandenunterricht nie als großer Schauspieler sah. Genauso wenig wie auf dem Gymnasium. Der die Organisation und Administration in die Hand nahm. Die Vermarktung, das Programmheft, die Ticketverkäufe, die Plakate. Er erzählt von einer Fahrt mit Schulfreunden. Eine Radtour quer durch die Schweiz ins Appenzell. Um vier Uhr los in Basel. Und um fünf nachmittags die Ankunft unterhalb des Säntis. In einer Berghütte. Ja, die Berge vermisse er schon hier im Norden. Sei in diesem Jahr auch zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt vor sieben Jahren endlich wieder zum Skilaufen gewesen. In Zermatt. In den Bergen. Und unser wunderbarer Berg hier, der Süllberg? Natürlich kenne er den, sagt er lachend. Etwas über 70 Meter. Aber immer ohne Schnee.

Michael Eggenschwiler ist ein durch und durch sparsamer Mann. Mit Worten, mit seinem trockenen Humor und - mit Geld. Das erste selbstverdiente als Schüler auf dem Bau legt er auf die hohe Kante. So sind wir Schweizer, sagt er. Wir haushalten mit den Mitteln, die man zur Verfügung hat. Damit sei er aufgewachsen. Könne Verschwendung nicht leiden, kein dauerhaftes Minus auf dem Konto und ärgere sich, wenn er am Wochenende im Büro ein unnütz brennendes Licht entdecke. Ein gläubiger Mensch auch. Protestantisch aufgewachsen, den Glauben in seiner eigenen Familie weiter gelebt. Das sei ihm sehr wichtig. Und ein Frühaufsteher sei er auch. Ginge morgens so gegen sechs mit dem Hund an der Elbe entlang und sortiere den Tag dabei schon mal vor.

Tja, was wollen Sie denn sonst noch wissen, fragt er. Alles. Nein, nein, sagt er. Und nein auch gleich noch mal zu dem, was Ihnen sicherlich auf der Seele brennt. Dunkle Seiten. Fehlanzeige. Er sei wirklich so. Kontrolliert, sicher, zielgerichtet. Immer mit den Füßen auf dem Boden. Wenig romantisch auch. Aber an die Liebe auf den ersten Blick glaube er schon, wenn Sie das beruhigt. So sei es bei ihm und seiner Frau gewesen. Damals auf der Skipiste. Und in wenigen Tagen feiern sie Silberhochzeit.

Dann bringt er mich zurück zum Parkplatz. Vorbei an dem Infoschalter mit den beiden netten Damen, die heute tatsächlich schon einen Fall gefühlter Mexiko-Grippe hatten. Bleibt an den Sicherheitsschleifen vorm Einchecken stehen. Erzählt von diesem furchtbaren Tag im September 2001. Dem Tag, den er in Zürich erlebte. Unendlich geschockt. Sein unfassbares Entsetzen. Und deshalb, sagt er, seien die Sicherheitsbestimmungen so wichtig. Ohne dass sie zur Last der Fluggäste werden. Wir sind ein Serviceunternehmen! Und ja, sagt er dann. Ein bisschen voller dürfte es hier schon sein. Selbst in der Ferienmitte. Und zwischen den Stoßzeiten frühmorgens und am späten Nachmittag. Und dann wird er geradezu verwegen, dieser Mann aus Basel. Er denke, das Fluggästeminus werde sich bis Ende des Jahres bei sechs Prozent einpendeln. Was heißt denken?! Er sei sich sicher! Und könne glatt darauf wetten. Und geht beschwingt zurück in sein Büro. An den Terminals vorbei. Hin zu dem silbergrauen Verwaltungsgebäude.