Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Bernd Hoffmann, HSV-Vorsitzender.

Sein Name allein bringt schon das Blut zum Kochen. Bei mehr als 60 000 Hamburgern, die die Raute im Herzen tragen. Und bei zigtausend anderen, die genau wissen, was da alles schiefläuft. Im Fußball, des Deutschen liebster Sportart. Nur er scheint es nicht zu wissen. Der Mann, der "unseren Didi" rausgemobbt hat. Der plötzlich doch Millionen locker machen kann, um den Kader aufzustocken. Der als Alleinherrscher gilt, als Sonnenkönig, als knallhart und unberechenbar. Der mit dem B wie Boss und H wie Hoffmanns Sportverein im Namen: Bernd Hoffmann, der Chef des HSV.

Für Fußballfremde wie mich ist er einfach nur ein wirklich netter Mann, der da morgens zum Frühstück ins Café Funk-Eck an der Rothenbaumchaussee kommt. Mit Boxernase - "ein Familienerbstück" - und unergründlichen graublauen Augen. Lächelnd, gelassen, heiter bis wolkig, wie er sagt. Wolkig, weil es mit dem Einkauf des Tschechen Rozehnal lange nicht so recht klappen will. Aber das haben wir schon im Griff, sagt er. Bestellt erst mal zwei Schnitten Schwarzbrot mit Honig, Kaffee und Wasser.

Was hat er eigentlich nicht im Griff? Dieser Mann, der im HSV "Chef von dat Janze" ist, wie er auf gut rheinländisch sagt. Von 32 Abteilungen dieses Universalportvereins. Von der Rhythmischen Sportgymnastik bis eben hin zum 99 Prozent des Umsatzes bringenden Fußball. Den die abgebrannte "Tennishütte" in Norderstedt genauso angeht wie die neue Bodenmatte für die Turner. Nur das, was letztlich da unten auf dem Rasen abläuft, das habe man nicht im Griff, sagt Bernd Hoffmann. Bei noch so guten Vorarbeiten. Die elf Jungs und die drei, die noch eingewechselt werden. Den Spielverlauf, den Trainer, die Emotionen auf den Rängen. Neunzig Minuten lang. Da müsse man dann loslassen können, sagt er. Und ja, die Sache mit der Bundesliga-Uhr im Stadion könne er mir auch noch kurz erklären. Diese Uhr, die anzeigt, wie lange der HSV schon in der Bundesliga ist. Seit deren Gründung 1963. Bernd Hoffmanns Geburtsjahr. "Sollte das ein Zeichen sein?" An diesem Morgen also seit 45 Jahren, 302 Tagen, 17 Stunden, 18 Minuten und 6 Sekunden oder so ... Ein Alleinstellungsmerkmal für den einzigen ewigen Bundesligisten. Doch manchmal möchte er sie am liebsten abmontieren. In dieser Stadt, sagt er, mit diesem Stadion, in diesem Verein, mit diesem Potenzial dürfte das In-der-Bundesliga-sein nur das "Minimalziel" bedeuten. Es muss endlich ein Titel her. Daran mangelt es dem HSV seit 22 Jahren.

Hoffmann ohne Fußball geht kaum. Trotz Honigbrot. Auf der Positivseite seit seinem Amtsantritt 2003 steht immerhin, dass er den Umsatz des HSV fast verdreifacht, ihn finanziell stabil und wirtschaftlich fit gemacht hat. Eine Staubsaugerfirma sei mit acht Prozent Mehrumsatz top in der Branche, sagt er. Aber hier zähle nur, was unterm Strich übrig bleibt. Die Tore. Die Siege, die Pokale. Das ist seine Crux. Da führt kein Weg dran vorbei. Schon morgens früh beim Bäcker nicht. Da trifft er häufig den Manni Kaltz, den Urvater der Bananenflanke, der schon mal ein paar Takte dazu sagt. Beim HSV, sagt Bernd Hoffmann, gäbe es noch Generationen von Spielern, Funktionären, Journalisten, die alle noch die Hoch-Zeiten miterlebt haben. Die alle noch wissen, wie man's genau machen sollte. Bei Schalke läge das mehr als fünfzig Jahre zurück, und da erinnere sich eben kein Mensch mehr.

Bernd Hoffmann ist ein Mann, der mit nüchternen Zahlen und Fakten gegen schnell entflammbare Emotionen ankämpft. Eine Sisyphusarbeit mit Dauerfrust? Nein, sagt er, auf keinen Fall. Das Tolle an dieser Stadt sei, dass sich beinahe jeder mit dem Verein beschäftigt. Gute Tipps zur Hand habe, so nach dem Motto: Eigentlich sollten wir ihn mal in den Arm nehmen, den Hoffmann. Sehr hanseatisch, oder?, sagt er. Er könne Kritik gut wegstecken. Selbst das Kesseltreiben der zurückliegenden Wochen. Nur sein Ältester, der Achtjährige, habe daran zu knacken. An Negativ-Schlagzeilen wie "Hoffmann versenkt den HSV" oder "Hoffmann tritt nach". Und käme erst abends im Bett damit raus, wie sehr ihn das bedrücke. Überhaupt die Familie. Die trage er im Herzen. An erster Stelle. Und gleich danach dann den HSV.

Bernd Hoffmann ist zu Hause in Leverkusen in einer heilen Familie aufgewachsen. Mit viel Beständigkeit und Planbarkeit, sagt er. Der Vater Lehrer, der täglich um 14 Uhr zum gemeinsamen Mittagessen nach Hause kommt. Der Garant auch für sechs Wochen Sommerferien. Auf dem immer gleichen Zeltplatz am Falkner See in Kärnten. Dort, wo Bernd Hoffmann seine kaufmännische Ader entdeckt. Aus Baumrinde Aschenbecher schnitzt und verkauft. Unterstützt heimlich von den Eltern, sagt er lachend, wenn der Laden nicht so läuft. In seiner Uni-zeit organisiert er Sprachreisen für Schüler ins britische Bath, ist vor Ort Seelentröster und Englischlehrer zugleich. Bei 30 bis 40 pubertierenden Mädchen und Jungen. Dagegen sei der HSV geradezu beherrschbar. Hey, sagt er, wenn Sie das schreiben, werde ich es Ihnen rausstreichen müssen. Genau wie das von vorhin. Dass der HSV ein kostendeckendes Unternehmen sei mit reichlich boulevardeskem Unterhaltungsfaktor. Ob der Busfahrer 'ne neue Wohnung hat, Hoffmanns Kinder die Masern oder Paolo Guerrero Ärger in der Kneipe.

Der HSV gehöre einfach jedem in der Stadt. Sei Everybody's Darling. Und er, der qua Funktion auch mal unpopuläre Entscheidungen trifft, eben nicht. Und dabei sei er fußballverrückt. Seit seiner Kindheit. Als rechter Außenstürmer in der C-Jugend von Bayer 04 Leverkusen bis zur Stadtmeisterschaft. Bei nur "mäßiger Begabung". Drei Jahre später weiß er, dass er nicht auf sondern neben dem Platz gut sein könnte. Als Fußballvermarkter. Ein Mann der Zahlen eher denn der knackigen Waden. Mit einer Festplatte im Kopf voller "völlig sinnloser Dinge" wie die Olympischen Spiele 1972, bis zum "Wegschmeißen" vor dem Fernseher inhaliert. 800 Meter, Gold durch Hildegard Falk. 50 Kilometer Gehen, Bernd Kannenberg, 3:56 irgendwas. Speerwerfen, Klaus Wolfermann, 90,48 Meter. Da kann er mir viel erzählen. Ja, sagt er und lacht. Aber Sie kennen mich ja auch erst eine halbe Stunde. Sonst wüssten Sie, dass das stimmt.

Bernd Hoffmann ohne Fußball also. Der Mann, der in Sachen Kinderzubettbringen ein absoluter Profi sein soll. Na ja, sagt er. Das war Silvester 2000/2001. Die beiden älteren Zwillinge fünf Monate alt. Wollen nicht ein- und nicht durchschlafen. Riesenalarm. Das Buch "Jedes Kind kann schlafen lernen" ist die Rettung. "Nah am Buch dran" zieht er es am zweiten und dritten Januar konsequent durch. Und natürlich schafft er es. Na fast, sagt er dann. Denn eigentlich bewundere er viel mehr seine Frau Nicole dafür, wie sie das umtriebige Familienleben managt. Er erzählt von den Tagen, an denen er seine vier Kinder zu Bett bringt, "zu selten leider". Von den Geschichten, die er ihnen erzählt. Selbst erfundene. Mit von ihnen vorgegebenen Stichworten. Wie gerade jetzt vom Fünfjährigen der Härtetest. Giraffe, Fisch, Wal und Toilette sollten drin vorkommen. Erzählt noch von Louisa, dem einzigen Mädchen, seiner kleinen Prinzessin. Greift zum Blackberry und zeigt sie alle. Auch beim "Göllner Gaanewall".

Bernd Hoffmann erzählt von seiner Kindheit. Den Großeltern und Urgroßeltern. Alle nah beieinander. Der Urgroßvater, der sonnabends nachmittags gemütlich seine Pfeife stopft, die Urgroßmutter für alle Rosinenstuten dick mit Butter bestreicht, Kakao kocht und dazu gibt's aus dem "Dampfradio" die Bundesligakonferenz.

Über seine Liebe zum Theater reden wir noch. Dem Thalia Theater. Dass er wahrscheinlich der einzige private Abonnent von "Theater heute" sei. Seine These, dass Theater über das Leben erzähle, Fußball das Leben sei. Der direkte Kontakt zum Publikum bei beiden. Nur dass 2500 Zuschauer den Intendanten in die Euphorie treiben würden und ihn glatt in die Insolvenz. Dass man aber im Theater nicht erst in der Pause ins Stück einsteigen könne beim Fußball aber wohl, lässt ihn fast an mir verzagen. Oh nein, sagt er. Ich bitte Sie. Wenn dann in den ersten Minuten das entscheidende Tor fällt, haben Sie doch alles verpasst! All das, was den weiteren Spielverlauf entscheidend bestimmt!

Er habe ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis, sagt er dann. Eine große Sorge vor Auseinandersetzungen, "das werden viele gar nicht glauben." Seine allzu schroffen Reaktionen, seine Ironie bis hin zum Zynismus, das würde manchmal schon abschreckend wirken. Sei auch hinderlich. Ja, daran müsse er noch arbeiten, sagt er nachdenklich und schießt schnell hinterher: Diplomatie sei eben nicht sein erstes Fach. Er habe ja auch nie eine Karriere im Konsularischen Korps angestrebt.

Und dann muss er los. Dieser unerschütterliche Herr Hoffmann. Mit der Familie im Herzen. Und der Raute im Kopf. Was ja vielleicht auch nicht immer das Schlechteste ist.