Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Diesemal hat sie sich mit Joachim Weinlig-Hagenbeck, dem Tierparkchef, unterhalten.

Hamburg. Es ist schon so ein Kreuz mit dem Wetter. Für ihn vor allem. Weil er es gern antizyklisch hätte. Blauer Himmel, strahlende Sonne treiben die Leute ins Freibad. Ihn zur Verzweiflung. Regen ist gut fürs Gras. Schlecht für seine Nerven. Ganz zu schweigen von langen heißen Sommern und langen kalten Wintern. Und dann erst diese Fußball-WM-Euphorie 2006! Alles schlecht fürs Geschäft. Da brauche man schon eine hohe Leidensfähigkeit, sagt er. Joachim Weinlig-Hagenbeck, Tierparkchef, zuständig für Finanzen und Marketing der Hagenbeck-Gruppe, der nun schon in sechster Generation Seite an Seite mit dem Biologen Dr. Stephan Hering-Hagenbeck den Tierpark leitet. Den einzigen deutschen Großzoo in Familienbesitz.

Aber was für ein Glück. Heute ist Hagenbeckwetter. Durchwachsener Himmel, angenehme Temperaturen, ein laues Lüftchen. Die Besuchermassen strömen, die Kassen klingeln. Joachim Weinlig-Hagenbeck soll ein dröger Gesprächspartner sein, heißt es. Typ Steuerberater. Ständig mit Kalkulationen beschäftigt. Und so wirkt er auch. Auf den ersten Blick. Ernsthaft und sachlich. Grauer Anzug. Allein die verspielte Hasenkrawatte lässt auf einen überschaubaren Sinn für Humor hoffen. Sie sollten erst mal meine Elefantenkrawattensammlung sehen, sagt er. Und warten Sie es ab. Ich bin ganz anders.

Doch vorerst gibt er sich nüchtern. "Sie können es ruhig langweilig nennen", sagt er. Ja, und er wisse das. Beharrlich werde er genannt. Starrköpfig, dickfellig. Und, wie Henning Voscherau, Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister und Vorstand des Hagenbeckschen Stiftungsrats, es nannte, ideal für den Job. Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Um den Tierpark vor Jahren aus einer existenzbedrohenden finanziellen Misere zu retten. Das sei eine Gratwanderung gewesen, sagt Joachim F. für Friedrich Weinlig-Hagenbeck, die Traditionen zu bewahren und die Zukunft, eine rentable, anzupacken. Bei jeder Neuerung herausfinden, was Herzenssache sei, worauf man Rücksicht nehmen müsse und was wirklich überhaupt nicht mehr geht. Das alles erzählt er, während wir schnellen Schrittes vom gerade eröffneten neuen Tierpark-Hotel Richtung Zoo gehen. Durch den unter großen Protesten 2001 verlegten Eingang direkt an die U-Bahn-Station. Das hätte der Alte - der Tierpark-Gründer Carl Hagenbeck - auch so gemacht, sagt er. Denn damals in den ersten Jahren lag der Eingang schließlich genauso verkehrsgünstig. An der Endstation der Straßenbahnlinie 16.

Der Alte. Er taucht immer wieder auf im Gespräch. Als graue Eminenz, die seinen Nachfahren sicher auf die Schulter klopfen würde, so Joachim Weinlig-Hagenbeck, weil er es auch so gemacht hätte. Auch das mit dem Hotel. Aber das werde er gleich erklären.

Wir passieren das heitere Affentheater im Vorraum des Aquariums, sitzen endlich an einem Seitentisch in dem kleinen Café im Tropen-Aquarium, trinken Espresso, umrauscht vom Wasserfall, und machen uns dran. An Hagenbecks Dauerpräsenz. 365 Tage im Jahr. Die Kosten. All das, was ihm schlaflose Nächte bereitet. 25 Hektar Parkgelände, 300 Mitarbeiter, 1850 Tiere plus 41 300 im Tropen-Aquarium und mehr als 500 verschiedene Arten insgesamt. Davon 28 vom Aussterben bedrohte. Ja, sagt er, so sieht das wohl aus. Und kostet 32 000 Euro pro Tag. Knapp gedeckt durch die Eintrittsgelder. Knapp am Ruin, immer vorbei. Investitionen unmöglich.

Und jetzt käme das Hotel ins Spiel. Auf drei Füßen müsse das Unternehmen stehen. So wie es Carl Hagenbeck auch immer gehalten habe. Damals, Mitte des 19. Jahrhunderts. Tierhandlung, Zirkusunternehmen, Tierpark hätten sich gemeinsam getragen. Und jetzt, im 21. Jahrhundert, gäbe es den von Unwägbarkeiten bedrohten Tierpark, das vom Wetter unabhängig machende Tropen-Aquarium und das Hotel. Und als Hasardeur, ich bitte Sie, würde er sich nie sehen. Ein Hotelneubau in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten? So sei es ja nun nicht, sagt er mit erhobener Stimme. Über das Getöse des kleinen Jungen am Nebentisch hinweg, der nach "Pommes, Papi, mit Mayo" ruft. Das Hotel sei schon vor 15 Jahren angedacht worden. Von ihm und seiner 2005 verstorbenen Ehefrau Caroline Hagenbeck. Die Verwirklichung ihres Traums habe sie leider nicht mehr erleben dürfen. Pause. Eine besondere Gemeinheit des Schicksals sei das, sagt er mit Nachdruck.

Das Kindergebrabbel wird lauter. Die Stimme von Joachim Weinlig-Hagenbeck leiser. Sie war es auch, die alles mit trug, sagt er. Die Tradition bewahren trotz neuer Konzepte. Das sei das Schwierige und auch das Schöne ihrer gemeinsamen Tierparkjahre gewesen. Damals in den ersten Jahren der Ehe. Seit sieben Jahren war Caroline Hagenbeck, älteste der vier Töchter von Dietrich Hagenbeck, die jüngste Tierparkchefin Deutschlands, als die Liebe zuschlug. Sie sich trafen. Der Banker und Betriebswirt und die Tierparkchefin. Nach einem Jahr des Hin- und Herpendelns zwischen Stellingen und Erlangen kündigte sich das erste Kind an. Und Joachim Weinlig stieg ein in das Familienunternehmen. Profitierte vom Wissen, der Erfahrung seiner Frau. Hörte zu. Brachte sein großes Interesse, seine Liebe zu Tieren auch ein. Alles wurde noch gemeinsam angedacht, viel gemeinsam umgesetzt: das Elefanten-Freigehege, die Dschungel-Nächte, das Tropen-Aquarium. Und dann die Romantiknächte im August! Die Idee dafür sei ihm in den Colonnaden gekommen. An einem heißen Sommertag. Ein russischer Stehgeiger, der so sehnsuchtsvoll und virtuos die Saiten strich. Das wäre das Richtige. Für Hagenbeck. In lauen Nächten. Eine Verbindung von Tieren, Park, Kultur. Also, sagt er, fragen Sie mich nie wieder, ob ich eine romantische Seele habe. Das sei doch der Beweis.

Und dann erzählt er sehr vorsichtig und mit langen Pausen von den ersten Jahren nach dem Tod seiner Frau. Eine Zeit, die sie alle, ihn selbst, die zwei Töchter, den Sohn, sehr zusammengeschweißt habe. Eine sehr liebevolle Mutter zu ersetzen. Eine schwierige Aufgabe für einen bis dahin nicht immer präsenten Vater. Die Leidenszeit der Mutter eine unerträgliche Härte für die Kinder. Das Alleinsein, das Verlorensein danach. Die gemeinsamen Segeltörns. Die Enge auf dem Boot, das Miteinanderleben lernen, das Sprechen auch. Längere Pause. Das hätten sie ganz gut hingekriegt, sagt er. Und jetzt seien die beiden Älteren so weit, vom Nestrand abzuspringen.

Der Generationswechsel steht plötzlich im Raum. Seine Kinder, sagt Joachim Weinlig-Hagenbeck, seien begeisterte Tierparkfans. Und trotzdem, er möchte sie nicht festlegen. Dazu gehöre zu viel. Sie sollten vor allem erst mal glücklich werden. Nach dem großen Desaster, das zu ihrer aller Leben dazu gehöre.

Wir reden noch ein bisschen über seine Abneigung, den traditionsreichen Park aus Konkurrenzgründen mit einem leichten Disneyzuckerguss zu überziehen. Gruselig, sagt er. Eine absolute Disharmonie. Fahrzeuge, Neonlicht, Tiere mit Pappnasen. Der Elefant in seiner Größe und Schönheit werde zu Dumbo, dem fliegenden Elefant, degradiert. Nein, nicht für Hagenbeck. Diese Personifizierung der Tiere! Und nein, er träume auch nicht vom Berliner Kuscheleisbärbaby Knut. Die Vermarktungsart sei nicht die seine. Sie hätten es im Sinne des "Alten" damals gemacht. Auf die sanfte Art. Mit dem Walross Antje, das sogar zum Wappentier des NDR wurde .

Deshalb auch das neue Eismeer. Dringend. Damit es endlich bald wieder Seehunde, Walrosse und Eisbären gäbe im Park. Nur die Sache mit den Finanzen! Ein Elend ohne Ende. Aber der Finanzsenator habe ihm einen Zuschuss aus Bundesmitteln versprochen.

Na, sagt er plötzlich lachend. Ist es Ihnen recht so? Ich sprudel doch geradezu über vor Informationen. Recht hat er. Und so reden wir noch ein bisschen über sein Hobby. Das Jagen. Und das bei einem Tierparkchef mit Leib und Seele. Es sei doch genau das gleiche, sagt er. Der Grundgedanke des Hegens und Pflegens. Im Tierpark genau wie auf der eigenen Jagd. Nur dort ohne Exotik. Mit Rehen, Wildschweinen, Füchsen und Hasen.

Dann kehren wir noch einmal zurück zum Alten. Zu Carl Hagenbeck, der sich damals an dieser Stelle seinen Lebenstraum erfüllte und, ganz Geschäftsmann, ihn sich auch gleich patentieren ließ: die artgerechte Haltung exotischer Tiere ohne Käfige und Gitter. Damit habe er damals die Menschen voll ins Herz getroffen, sagt er. Und deshalb müsse Hagenbeck auch Hagenbeck bleiben. Eine eigene Welt. Seine Welt. In der er oft am Abend nach Kassenschluss spazieren gehe. Die Atmosphäre einatme, spüre, genieße. Einfach so. Den Kopf frei von Zahlen und Wetterprognosen. Dieser alles andere als dröge Typ.