Die Eppendorfer Modedesignerin Tina Gattermann erfüllt Träume. Vornehmlich die von Frauen, die ein Braut- oder ein Abendkleid suchen.

Bei ihr gibt es Träume. Viele Träume. Die für den schönsten Tag des Lebens. Mit Schleppe, Kranz und Schleier. Die jetzt von April bis Oktober Hochsaison haben. Träume für eine rauschende Ballnacht. Drapiert und üppig. Und dann diesen neuen Duft, der von fernen Ländern träumen lässt und von geheimen Träumen der Frauen erzählen soll. Träume über Träume. Und das ausgerechnet bei dieser sehr erdnahen jungen Frau. Tina Gattermann, die Eppendorfer Modedesignerin, die sich weit über Hamburgs Grenzen hinaus mit ihrer Braut- und Abendkleiderkollektion einen Namen gemacht hat.

Unser Treffpunkt, das Fleur de piment am Eppendorfer Baum, passt zu all diesen Träumen. Auf jeden Fall zu ihrem erst vor zwei Jahren kreierten Parfüm CompOse. Mit seinen geheimnisvollen Zusätzen. Wie hier bei den Tees und dem marokkanischen Kaffee. Oder dem für weniger Risikofreudige, wie Inhaberin Suad sagt. Espresso, mit Orangen- und Zitronenschale aufgekocht und über einer Lage süßer Sahne schwimmend. Keine Gewürz-, aber ganz sicher eine Kalorienbombe.

Tina Gattermanns Parfüms also. Das für tagsüber duftet nach Rose, Lavendel, Zitrus und Bergamotte, für abends gibt es eines mit Amber und Tolubalsam. Ist schwerer und sinnlicher. Nichts für geschäftliche Besprechungen, sagt sie, das würde ja Gesprächspartner glatt erschlagen.

So ist sie. Tina Gattermann. Eine Frau voller kreativer Träume und präzise im Denken. Von schnellem, schlagkräftigen Witz, der sich in heftigen Lachanfällen niederschlägt, erfüllt und angetrieben von einer unermüdlichen Energie. Man könnte es auch wahnsinnig nennen, sagt sie lachend. Ihr Tempo. Von Anfang an schon. Vollgepackte Tage. 50-Stunden-Wochen. Atemlosigkeit. Abitur, Schneiderlehre. Nachts kellnert sie auf Hochzeiten und Familienfesten im Literaturhaus. Verkauft freitags und sonnabends um fünf Uhr früh Käse und Wurst auf Wochenmärkten. In Sasel, Wellings- und Poppenbüttel, raus bis nach Barsbüttel, Langenhorn und Glinde. Studiert an einer privaten Modeschule und VWL an der Hamburger Uni, arbeitet frei als Schnittdirektrice in der Industrie. Und dann auch noch ...

Halt! Nicht noch mehr. Erst mal die Frage nach dem VWL-Studium. Ganz einfach, sagt sie, das sei vom Grundstudium her wie Betriebswirtschaft. Und der wirtschaftliche Aspekt sei wichtig für den Schritt in die Selbstständigkeit. Und ja, das habe sie von Anfang an gewusst, dass das ihr Weg sei, und nein, es habe nichts damit zu tun, dass ihr Vater Steuerberater sei. "Und wie das alles zusammen geht, erkläre ich Ihnen mal eben". Es lief im Versatz sozusagen. Wenn die Modeschule frei hatte, gab es an der Uni Prüfungen, in den Semesterferien die an der Modeschule. Einfach, oder? Und richtig, nebenbei habe sie dreimal in der Woche getanzt. Lateinamerika und Standard. Mit einem Freund aus Kindertagen. Ein begnadeter Tänzer, mit dem man schweben und mit geschlossenen Augen Walzer tanzen konnte. 15 Jahre lang gehörte das mit zu ihrem Leben. Jetzt hat er geheiratet, eine richtig nette Frau. Und nun sei dieser Teil ihres umtriebigen Lebens erst mal vorbei.

Irgendwie haben wir bei diesem Zahn, den sie drauf hat, total den Faden verloren. Bestellen uns zum Atemholen erst mal Suads wunderbare Apfeltarte. Die mit dem köstlichen Duft. Und weil diese noch im Ofen ist, erzählt Tina Gattermann erst noch schnell den Beginn ihrer Idee, das Hobby Nähen zum Beruf zu machen. Früh macht sie Nähkurse. Kreiert mit 14 den ersten Tina-Gattermann-Look. Aus der Not geboren. Einen Rock. In Glencheck. Einem wunderschönen Muster. Nur in den Nähten nicht auf den Punkt zu bringen. Dank schwarzer Streifen an den Nähten klappt es. Später kommt ein Blazer dazu. Ihr erstes Kostüm. Nach dem Abitur beginnt sie eine Schneiderlehre. Kann sie nicht beenden, weil der Betrieb eingeht. Für Kunden näht sie zu Hause auf der Nähmaschine in ihrem Zimmer. Und dann die erste Ausstellung! Als Testlauf sozusagen. Gott, war ich da naiv, sagt sie. Das Atelier eines Fotografen wollte sie anmieten. Am Schwanenwik. Eigentlich viel zu teuer. Er überlässt es ihr kostenfrei. Drapiert die zwanzig Teile auf Kleiderstangen aus Stativen. Arrangiert die Beleuchtung. Ihre Gäste sind handverlesen. Rausgesucht aus Vereinsmitgliederlisten und einfach angeschrieben. Ein großer Erfolg. Und einen Spruch von vielen, die ihr Leben prägen, liefert der Fotograf gratis dazu: Spiele immer Tennis mit Leuten, die besser sind als du. Ja, sagt sie, das bleibe hängen. Genau wie dieser andere Spruch. Der von ihrer heißgeliebten Oma. Sehr norddeutsch, sagt sie, nicht sehr fein, aber passend: Man kann alt werden wie 'ne Kuh und lernt immer noch dazu. Das heiße für sie: Sei nie fertig mit dem Handwerk und auch nie mit der Kreativität.

Wir schwelgen ein bisschen in diesem wunderbar süßen Apfelkuchen, der endlich an den Tisch kommt. Machen einen kurzen gedanklichen Zwischenstopp an ihrer ersten eigenen Werkstatt an der Bundesstraße. Mit dem großen Schaufenster, vor dem die Nachbarn stehen bleiben oder mal auf einen Plausch reinkommen. Ihrem zweiten im Hochparterre an der Poststraße. Ihr Unbehagen mit der Innenstadt. Zu künstlich, ohne Ecken und Kanten, ohne Charme. All das, was sie jetzt hier gefunden hat. In Eppendorf, in der Lenhartzstraße. Das, sagt Tina Gattermann, bin genau ich. Hier fühle ich mich wohl.

Und dann springen wir hin und her. Immer wieder von Gelächter unterbrochen. Von ihrer Leidenschaft für Wiener Opernbälle. Die sie in rauschenden Eigenkreationen besucht und einmal sogar in einem von ihren Gastgebern geliehenen Festtagsdirndl. Und bei denen sie auch schon mal erschöpft morgens um fünf am Tisch einschlief. In einem benachbarten Kaffeehaus, in dem die Wiener nach dem Ball noch Geschäfte machend zusammensaßen.

Von ihrem ungewöhnlichen Angang bei Brautkleiderberatungen erzählt sie. Dass sie den künftigen Ehemann, Mütter und Freundinnen rausschickt zum Kaffee trinken oder Eis essen um die Ecke. Sich mit der Braut allein hinsetzt. Fragt, was das Kleid ihr geben solle, Kraft und Stärke oder Sinnlichkeit und Romantik. Vor allem aber, wie denn ihr Bräutigam sie angucken solle, wenn sie in die Kirche komme. Wie? Ja, sagt Tina Gattermann, es sei doch so: Manche hätten ganz präzise Vorstellungen, bringen einen ganzen Leitzordner mit, durchstrukturiert wie für einen beruflichen Termin. Dabei ginge es doch um Gefühle. Um Träume. Genau wie bei Abendkleidern. Da müsse doch auch erst geklärt werden, was das Kleidungsstück mit der Kundin machen soll. Oder aus ihr. Nach zwei bis drei Probeläufen käme dann das Richtige heraus. Unikate, zwischen 800 und 2400 Euro, wenn auch Lyoner Spitze zum Einsatz kommt.

Manchmal ist sie bass erstaunt, wenn sie einem ihrer edlen Kaschmirmäntel, "nicht gerade alltagstauglich" auf dem Wochenmarkt begegnet. Schön eigentlich, sagt sie, dass die Kundin sich nicht davon trennen kann. Und manchmal geht sie auch mit in die Kirche. Checkt, wie das Kleid fällt, der Bräutigam guckt und findet das alles sehr süß. Ja, genau wie dieser Apfelkuchen, sagt Tina Gattermann lachend.

Fast zwei Stunden sind vergangen. Im Fluge. Mit dieser Frau, die sich nicht zu den jungen wilden Designern zählen mag. Jung sei sie ja nur sehr knapp noch, jetzt mit Ende dreißig. Und wild sei sie nie gewesen. Wir reden über Ängste, wenn es um das Leben und die Gesundheit ihr nahestehender Menschen geht. Darüber, dass sie ehrenamtlich bei der Sternbrücke mitarbeite. Über die Scheinsicherheit, in der man sich wiege. Die Selbstzweifel, die man brauche, um auf dem Boden zu bleiben. Darüber, dass sie viel meditiert. Es für wichtig, reinigend, inspirierend hält. Dieses sich unabhängig machen, von dem, "was im Kopf gerade so seine Purzelbäume schlägt".

Und dann erzählt sie von ihrer Reise nach Indien, die gerade zu Ende gegangen ist. Abrupt. Weil sie sie abgebrochen hat. An ihren Grenzen angekommen. Überwältigt und emotional erschöpft. Diese vielen Reize, die Gerüche, die Lautstärke, die Menschenmenge, die Krankheitsbilder. Straßen voller Kamele, Kühe, Laster, Elefanten, Rikschas, Menschen. Ein Land, sagt sie, das so viele Fragen stelle, wenn man nicht weggucken kann oder mag. Die Kontraste auch. Tröstliche üppige Farben, romantische Bilder, große Gastfreundschaft. Es ging bei ihr einfach nicht mehr zusammen. Und sie erzählt von einem Inder, der ihr seinen Kulturschock beschrieben hat, als er das erste Mal nach Deutschland kam. Alles so sortiert, so sauber und so unendlich leer.

Auf Tina Gattermann wartet die nächste Anprobe. Also machen wir uns auf den Weg. Setzen uns kurz auf die Bank draußen vor der Tür. Sie erklärt mir noch eben den Zusammenhang zwischen Mode und Zeitgeist. Versucht es zumindest. Um schnelllebige Trends geht es, um Nachhaltigkeit in der Mode. Und geht irgendwie doch unter im vorbeirauschenden Feierabendverkehr. Und dann geht sie um die Ecke in die Lehnhartzstraße. Diese Frau, die mit Träumen spielt und selber so wenig zum Abheben neigt. Einfach zu fest auf dem Boden verankert ist.