Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Achill Moser, Abenteurer.

Sand kann süchtig machen. Sich in der Seele festsetzen. Bei ihm zumindest. Als kleiner Junge buddelt er drin. Am Ostseestrand. Als Siebzehnjähriger wälzt er sich darin. Im warmen Sand der Sahara. Was für ein Glücksgefühl! Sand so weit das Auge reicht. Und er spürt ihn. Diesen Sog der Wüste. Seitdem hat er ihn nicht mehr losgelassen. Achill Moser, den Wüstenwanderer.

Fünfundzwanzig Wüsten auf fünf Kontinenten hat er durchwandert. Zu Fuß und auf dem Rücken von Kamelen. Fünfundzwanzig Bücher hat er darüber geschrieben. Jetzt ist gerade sein neustes erschienen. "Das Glück der Weite". Eine Reise durch fremde Länder und Kulturen, durch archaische Landschaften und widersprüchliche Gefühle. Denn Achill Moser ist nicht nur den Spuren großer Entdecker gefolgt und alten Karawanenwegen. Er war immer auch auf der Suche nach sich selbst.

Waren Sie schon mal in einer Wüste?, fragt er. Ja. Und haben Sie sie gemocht? Ja. Gut, sagt er befriedigt. Denn so sei es nun mal. Die Wüste muss man mögen oder ablehnen. Dazwischen gäbe es nichts. Eine Welt voller ungeheurer Glücksgefühle seien sie für ihn. Und abgrundtiefer Ängste auch. Einem Gefühlswirrwarr, dem er sich lange nicht stellen mochte. Erst Mitte der Achtziger hat er sich ganz alleine dran gemacht. Ohne Frau, ohne Freunde. In der Wüste Gobi. Habe gelernt, sich selbst zu ertragen. Mit all seinen Schwächen.

Davon erzählt er. Sprunghaft wie eine Wüstenmaus. Hier in dem gemütlichen Haus in einer idyllischen Seitenstrasse in Lokstedt. In dem nur die großformatigen, farbenfrohen, von ihm selbst gemalten Bilder an der Wand einen Hauch von Wüste ahnen lassen. In seinem Arbeitszimmer wäre man ihr näher, sagt er. Aber das sei zu chaotisch. Nichts für Besucher. Ehefrau Rita schaut kurz rein. Die große Liebe seines Lebens, sagt er. Ein Geschenk und ein toller Wegbegleiter. Seit achtundzwanzig Jahren. Vor zwei Jahren hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht. Und sie hat ja gesagt. Über alle Hürden hinweg. Denn einfach sei es sicher nicht mit ihm, dem Dauerreisenden in Sachen Wüste. Es ist wie ein Gummiband, sagt er. Bist du draußen, zieht es dich hierher zurück. Und umgekehrt. Er sei "flüchtig" gewesen. Habe lange geglaubt, ohne das alles hier leben zu können. Und wisse erst jetzt, dass man "um seine Träume leben zu können" auch das brauche. Familie und Freunde, die es nicht als spinnert abtun. Eine Heimat für Gedanken, Träume, Visionen. Das hast du immer dabei, wie einen inneren Rucksack. Seine Familie sei sehr nachsichtig mit ihm umgegangen, wenn ihm zurück aus der Weite der Wüste die Wände die Luft abschnürten, er sich mit Isomatte und Zelt in den Garten aufmachte. "Papi, spinnt schon wieder", sagten die beiden Söhne dann, und seine Frau "Das wird schon wieder." Man könne so schnell nicht den Schalter umlegen, sagt er und streicht sich die langen Haare sorgfältig aus dem Gesicht. Achill Moser ist ein freundlicher Hüne mit sanftem Blick. Ein Aussteiger, der das Ankommen gelernt hat. Ein Abenteurer mit arg dünner Haut. Ein ewiger Nomade im Herzen. Hmmm, sagt er, das sei wohl so.

Ehefrau Rita bringt Kaffee, verabschiedet sich, will einkaufen gehen. Die Konfirmation von Sohn Aaron steht vor der Tür. Dem Siebzehnjährigen, der mit seinem Vater in der Sinai-Wüste war. Der auf dem Berg Moses, dem Sternenhimmel zum Greifen nah, sich viele Fragen gestellt hat. Aaron, benannt nach dem älteren Bruder Moses, der in seinen Namen hineingewachsen sei, so der Vater. Und mit dem zusammen er auf den Spuren Heinrich Heines den Harz durchwandert hat. Bei sintflutartigen Regenfällen. Auch daraus ist ein Buch entstanden: "Nimm nur mit, was du tragen kannst". Eine Metapher. Denn auch das lerne man von der Wüste, sich von den Steinblöcken des Alltags frei zu machen. Sich nicht mehr aufzupacken als man körperlich und seelisch tragen könne. Die Wüste, sein großer Lehrmeister. Für alles. Kennen Sie den Film "Lawrence of Arabia"? Aber ja. Gut. Diese Szene also, in der Peter O’Toole auf einem Kamel reitend lautstark sein Glück heraus singt. Und ein Colonel weitab auf einem Hügel in die Hände klatscht. Das Echo es immer weiter trägt. Ja, so sei es.

Kurze Unterbrechung. Sohn Aaron kommt aus der Schule. Ja, die Arbeit lief gut, sagt er. Und nein, sein Vater hätte nicht von ihm erwartet, mit auf Reisen zu gehen. Er habe sich selber darauf eingelassen. Aus Neugier. So ein Vater sei er nicht, sagt Achill Moser, nachdem Aaron gegangen ist. Sich aufdrängen, nein. Anderen seine Lebensform aufzwingen. Nein. Aber das Vertrauen könne man ihnen vorleben, dass hinter spinnerten Ideen immer auch ein gewaltiges Potenzial steckt. Das habe ihm früher sehr gefehlt.

Achill Moser wächst mit einem Stiefvater auf, der wenig Sinn für seine Träume hat. Der ausrastet, wenn er mal wieder die Sommer- und Herbstferien eigenständig um Wochen überzieht, achtmal deswegen die Schule wechseln muss, sich als Gabelstapler, Möbelpacker, Zeitungsausträger Geld verdient, bis es wieder für die nächste Reise reicht. Seine Mutter unterstützt ihn sehr. Wohl auch, so sagt er heute, weil sie wusste, dass diese Sehnsucht nach Ferne, diese Suche nach der Fremde in seinen Genen steckte. Vom richtigen Vater, den er erst mit 28 Jahren kennen- und dann auch sehr lieben lernt. Ein Mann, der die griechische Mythologie in- und auswendig kennt. Deshalb auch der Name Achill. Er wächst mit Büchern über die Odyssee, Troja auf. Dem Bücherschrank seiner Großeltern. Versinkt dort im Ohrensessel, vergraben in Berichte von Forschungs- und Entdeckungsreisenden, Abenteurern. Liest Sven Hedin, T. E. Lawrence, Gerhard Rohlfs. Ist mit Karl May im Sudan unterwegs, in den Schluchten des Balkans, in Mekka. Und auch das habe er bei seinen Großeltern erkannt. Mit Schrecken, sagt er. Wenn sie am Fenster saßen, wenn er nach Hause ging. Zwei Menschen allein in der Steinwüste einer Großstadt. Seiner Mutter zuliebe beginnt er ein Studium. Halbherzig nur. Geht immer wieder zurück in die Wüste. Entdeckt er, dass er das Reisen zu Geld machen kann, findet Mäzene, schreibt Artikel und Bücher, hält Vorträge, auch in den Schulen, aus denen er mal rausgeflogen war. Das hatte was, sagt er in sich hinein lachend.

Von seinen akribischen Vorbereitungen erzählt er. 500 Wörter in der jeweiligen Landessprache, den einheimischen Dialekten im Kopf, wenig nur im Gepäck. Ohne Uhr und Schmuck, um keine Begehrlichkeiten zu wecken. An der Sonne, den Sternen orientiert er sich, vertraut sich dem Rhythmus der Wüste an. Und die beiden Armbänder, die er trägt? Geschenke, sagt er. Der schmale Silberreif von seiner Frau, als sie sich in der Schule kennenlernten und der breite viele Jahre später von einem Tuareg. Und dann kommen wir auch, zögernd nur, auf diese eine schmerzhafte Erfahrung zu sprechen. Der Überfall in Nairobi vor acht Jahren. Auf dem Weg zu seinem Hotel. Eine Jugendbande schlägt ihn brutal zusammen, nimmt ihm für immer die Sicherheit, unversehrbar zu sein. Er erholte sich davon nur langsam. Er erzählt, wie er sich anfangs in Eppendorf, auf der Mönckebergstraße unter vielen Menschen umdrehte, wenn sich deren Schritttempo veränderte, Herzrasen kriegte, umkippte. Aber im tiefsten Herzen glaube er, dass er nicht alleingelassen sei. Ihm so wie bei Stevenson in der Schatzinsel ein unsichtbarer Papagei auf der Schulter sitze. Ihn schütze.

Über seine Lieblingswüste reden wir noch. Die Sahara. Und die Kaisut im Norden Kenias, wo die Samburus leben und … Über die Gerüche der Wüste früh am Morgen. Frisch, rauchig, mit diesem leichten Hauch von Minze in der Luft. Von der Teezubereitung, auf den kleinen Feuern. Von den vielen Farben. Und dass er sich nie als Wüstenbewohner verkleide. Sich das Tuch als Schutz vor Hitze und Sandstürmen um den Kopf wickle. Er will keine andere Identität dort annehmen, sagt er. "Ein Nomade ist ein Nomade, und ich bin nur ein Besucher." Er träumt davon, noch einmal in die Kalahari aufzubrechen, einer versunkenen Stadt nachzuspüren, mit den Buschmännern ihre Zeit zu teilen.

Unsere ist langsam um. Jeder, sagt er dann zum Abschied, brauche eine Wüste. Das habe schon Sven Hedin gesagt. Nein, nicht um den Sand zu spüren. Sondern als etwas, in das man sich ab und an innerlich zurückziehen kann. Und Sie, sagt er, Sie haben auch eine. Da sei er sich sicher. Tja.