Er sei liberal, aber nicht doof, sagt Olaf Scholz. Als Bundesarbeitsminister macht der Sozialdemokrat das, was er am besten kann: Probleme lösen.

Hamburg. Das trifft einen schon. So als Frau. Als nicht gefährlich eingestuft zu werden! Sicherheitseinschätzung heißt das Prozedere offiziell. Und so kommt er ohne Begleitschutz zu unserem Treffen an den Elbstrand. Mehr ein agiler Jungmanager als ein gewichtiger Politiker. In dunklem Anzug, weißem Hemd und kurz geschoren. Die hemdsärmeligen Stammkunden vom Cafe und Restaurant "Zur Elbkate" am Övelgönner Hohlweg nehmen ihn mit kurzem Nicken zur Kenntnis. Hier joggt er häufiger vorbei. Ein Politiker, nicht gerade zum Anfassen, aber bekannt und respektiert. Olaf Scholz, SPD-Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Altona und seit November 2007 Bundesminister für Arbeit und Soziales.

Kühl ist es hier unten am Wasser. Nicht nur wegen Gisela, dem Tief, das wie ein feuchtes Tuch über der Elbe liegt. Olaf Scholz braucht Zeit, um im Gespräch warm zu werden. Sein Blick ist wachsam. Die Antworten kommen kurz und knapp. Fühlt er sich denn jetzt völlig ungefährdet? Ja. Trotz der Anschläge mit Farbbeuteln und Buttersäure vor einigen Jahren. Ist er ein gefährlicher Mann? Nein. Pause. Politiker, sagt er dann, müssten Entschlüsse durchsetzen, zu dem stehen, was sie sagen, und dürften sich nicht fürchten. Deshalb würde er sich für furchtlos halten. Nicht für gefährlich. Und dann lacht er doch. Endlich. Dieses etwas schräge Lachen, das seine Augen fast verschwinden lässt und dem Gesicht die kühle Distanz nimmt.

Olaf Scholz ist ein Altonaer durch und durch. Als Dreijähriger kommt er mit seinen Eltern und den beiden Brüdern aus Osnabrück hierher. Seine Großeltern wohnten hier schon, und er selbst ist heute stolz darauf, dass er seinen Altonaer Wahlkreis immer wieder auch mit den Stimmen aus anderen Parteien gewonnen hat. In der Altonaer Christianskirche ist er getauft worden. Das sei sei-nen Eltern wichtig gewesen. "Keche" sagt er auf gut hamburgisch. Seine Frau und er leben auch in Altona-Altstadt. In diesem Jahr werden die SPD-Politikerin Britta Ernst und er ihren zehnten Hochzeitstag feiern. Und Olaf Scholz ist gerade fünfzig geworden. Kein bedeutsamer Lebensabschnitt, nein. Keine Midlife-Crisis.

Fit sieht Olaf Scholz aus und gut erholt. Von seinem Urlaub in Südtirol. Wandern im Sarntal. Wunderschön, sagt er. Auf jahrhundertealten Wanderpfaden, die sogar über Gatter führen, sich der Natur ganz anders nahe fühlen. Und deshalb könne er hier auch so ohne Regenjacke sitzen. Keine Sorge, sagt er. Wandern macht wetterfest. Und Politik machen würde er dabei nicht. Politische Wanderungen seien nicht sein Ding.

Zwei- bis dreimal pro Woche ist er auch joggend unterwegs. Von Neumühlen aus hier am Elbstrand entlang. Im Altonaer Volkspark. In Berlin im Volkspark Friedrichshain und auf dem Laufband in seinem Büro. Sein BMI stimme jetzt endlich wieder. BMI für Body Mass Index - die unpolitischste aller Abkürzungen, die seinen Lebensweg pflastern. NGG, Awo, ASB sind nur ein paar davon. Mitgliedschaften in Gewerkschaften und sozialen Trägervereinen.

Seit 1975 ist Olaf Scholz Mitglied der SPD, nach seiner Zeit als Schulsprecher und im Schülerbund der Jungsozialisten, der Jusos. Das Abitur macht er mit bewundernswerter Note 1,6 am Gymnasium Heegen in Rahlstedt. Ein emsiger, ehrgeiziger, junger Mann? Nein, sagt er, es sei ihm leicht gefallen. Er habe gute, engagierte Lehrer gehabt, auch später bei der Juristenausbildung, das habe ihn angesteckt. Eines der prägendsten Erlebnisse für sein starkes politisches Bewusstsein fällt in die Schulzeit. In der Grundschule Großlohe. Auch wenn er damals noch zu jung gewesen sei, um das als sozialdemokratische Ausrichtung zu erkennen. Ein sehr guter Mitschüler darf nicht aufs Gymnasium. Obwohl er konnte und wollte. Die Eltern ließen ihn nicht. Wie kann man jemanden davon abhalten, sagt Olaf Scholz vehement, ein besseres Leben zu führen, wenn er das möchte! Dann gerät er in Fahrt. So was könne ihn ein-fach aufregen. Genau wie diese Kaltschnäuzigkeit, mit der der Hamburger Senat die Volkshochschule Röbbek in Groß Flottbek geschlossen habe. In der es mehr Bewerber als Plätze gab, um tagsüber den Hauptschulabschluss nachzuholen. Leute zwischen 19 und 54. Ich will, sagt er mit ein wenig Wahlkampfpathos, dass einem Arbeitslosen das Nachholen des Hauptschulabschlusses möglich gemacht wird. Die wandern sonst völlig in die Langzeitarbeitslosigkeit rüber. 500 000 Menschen bundesweit.

Olaf Scholz ganz ohne Politik läuft einfach nicht. Egal, ob die "Mississippi Queen" gerade ganz hautnah vorbeikommt oder sich ein Containerschiff ins Blickfeld schiebt. "Andere machen ihr Leben lang Politik", hat er einmal gesagt, "ich bin ein Politiker." Mit Leib und Seele und bei aller Empathie viel Pragmatismus. Seit mehr als dreißig Jahren in seinem Fachgebiet, dem Arbeits- und Sozialrecht. Als Anwalt schon und alle Ämter, Ausschüsse und Gremien hindurch, die ihn bis nach Berlin getragen haben. Ohne am Zaun zu rütteln und ständig "Hier" zu schreien, sagt er. Er sei gefragt und gewählt worden. Immer. Und, nein, kein Jobhopper. Oder gar auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet. Auch nicht als er in Hamburg bei der Bürgerschaftswahl die SPD aus ihrem Desaster als Bürgermeisterkandidat retten sollte und stattdessen Michael Naumann vorschlug. Habe er da vielleicht mehr nach Berlin geschielt? Nein, sagt er knapp. Er sei ja schon Bundestagsabgeordneter gewesen. Und wollte das auch bleiben. "Das ist ein stolzes Amt in der Demokratie." Punkt.

Und Arbeitsminister? Ein Traumjob als Krönung seiner politischen Laufbahn? Das ist der Job, in dem ich mich sehr gut platziert fühle, sagt Olaf Scholz nüchtern. Trotz der bedrohlich kürzer werdenden Laufzeit? Wie, fragt er zurück. Na, gemessen an seinen Amtsvorgängern sieht es nicht gut aus. Walter Riester war vier Jahre Arbeitsminister, Wolfgang Clement drei, Franz Müntefering zwei - und sein erstes Jahr ist jetzt im November um. So ein Unsinn, sagt er, lehnt sich zurück, guckt noch mal abwägend und sagt dann genüsslich in sich rein keckernd, er peile Norbert Blüm an. Arbeitsminister von 1982 bis 1998.

Olaf Scholz war eine Zeitlang für flotte Sprüche gut. Ich bin liberal, aber nicht doof, sagte er gern. Aber jetzt geht ihm der Pep ein bisschen ab. Ironische Witze ohne fünfseitige Fußnote seien gefährlich, sagt Olaf Scholz. Und nicht mal dementierbar. Es gäbe da im Parlament überhaupt ein ganz starkes Nord-Süd-Gefälle. Mit Finanzminister Peer Steinbrück könne er Witze machen, die beide superlustig finden würden, aber sonst keiner im Saal.

Wir hangeln uns ganz knapp am Thema Mindestlohn vorbei. An den sinkenden Umfragewerten der SPD ("Man kann ja immer noch besser werden"). Und landen dann doch bei der Vollbeschäftigung, die er bis 2015 für erreichbar hält. Trotz aller Unkenrufe aus Wirtschaft und Wissenschaft. Ja, sagt er, nennen Sie es ruhig eine Vision. Aber was ist ein Politiker wert, wenn er keine Zukunftsvorstellungen hat? Sich nicht mit den Hoffnungen der Bürger auseinandersetzt? Vollbeschäftigung, das heiße für ihn, dass jemand, der einen Arbeitsplatz verliert, innerhalb eines Jahres einen neuen finden muss. Nicht den Traumjob vielleicht, aber einen, der seinen Lebensunterhalt sichert. Den er schaffen kann. "Das hat viel mit Würde zu tun."

Die Zeit ist fast um. Olaf Scholz hat sich geschickt bedeckt gehalten. Sein nächster Termin drängt. Nee, sagt er, da sei noch ein bisschen Luft. Die Sache mit der Wehrdienstverweigerung noch kurz. Er wollte damals eine andere Begründung liefern als all die altbekannten: Meine Eltern haben mir Kriegsspielzeug verboten, und in der Schule haben wir Erich Maria Remarque gelesen. Er hat sich an Karl May gehalten, Idol seiner Kindheit und Jugend. Bei dem hätten Helden nie getötet. Und das habe gereicht. Da blitzt doch was ganz gefährlich auf in seinen Augen!

Aber wo wir gerade beim Thema Literatur sind, hat er tatsächlich den mehr als tausend Seiten starken "Ulysses" von James Joyce gelesen? Darüber habe er noch nie gesprochen, sagt Olaf Scholz. Über Musils "Mann ohne Eigenschaften" ja. Über Heinrich Manns "Die Jugend und die Vollendung des Königs Henri Quatre", über Gavino Leddas "Padre Patrone" ja. Aber James Joyce und "Ulysses", nein, nie. Wo also, bohrt er nach. Oh je, wenn ich das nur noch wüsste. Aber vielleicht reicht dieses (Nicht-)Wissen ja für eine Einstufung als gefährlich beim nächsten Mal. Rein sicherheitseinschätzungstechnisch wenigstens.