Die Schwester von Gott

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Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Schwester Teresa, Priorin des Klosters in Finkenwerder

So ist das mit der Symbolik. Manchmal geht man fast achtlos dran vorbei. Wie hier an der Endstation des 251er. "Nur zum Aussteigen" steht dran. Und in diesen paar Wörtern ist eigentlich alles schon drin, wofür diese Frau steht, die voll heiterer Wärme und Gelassenheit die Tür des kleinen Backsteinhauses direkt an der Bushaltestelle Norderkirchenweg öffnet. Die Einladung, aus der Hektik hier draußen in die Stille der "Karmelzelle von der Menschwerdung" zu kommen, der sie als Priorin vorsteht. Schwester Teresa von dem kleinen Karmelitinnen-Kloster in Finkenwerder.

Schwester Teresa hat schon mal alles vorab gerichtet. Für den Besuch. Die Heizung in dem kargen Sprechzimmer hochgedreht. Und frei genommen hat sie sich auch. Für die nächsten paar Stunden. Hat sich ausgeklinkt aus den strengen Regeln, die den Tagesablauf der seit Oktober von ursprünglich drei auf vier Schwestern angewachsenen Ordensgemeinschaft bestimmen. Schweigen, Einsamkeit, Gebet und Askese. Der Karmel, ein im 15. Jahrhundert gegründeter kontemplativer Orden, der die Verbundenheit mit Gott in Zurückgezogenheit lebt und keinerlei soziale und missionarische Aufgaben wahrnimmt. Ja, von ihrer kleinen Ordensgemeinschaft könne sie viel erzählen. Und natürlich, sagt sie dann, von ihrem persönlichen Lebensweg auch. Obwohl da nichts dran sei. Normal halt. Wirklich. Schwester Teresa lacht ein bisschen.

Ihr Lebensweg also, der sie aus der Großstadt Frankfurt, in der sie geboren und aufgewachsen ist, weltlich gelebt hat und in klösterlicher Abgeschiedenheit bis in die Diaspora nach Finkenwerder führte. Ausgerechnet an den Ort, den ihr Vater so sehr geliebt habe, sagt sie. Ein Diplomingenieur, spezialisiert auf den Schiffbau. In allen großen Häfen zu Hause. Und seine Tochter immer dabei. Er habe gespürt, dass da was Religiöses bei ihr im Gange sei. Und davon wollte er sie ablenken.

Aber zuerst, sagt sie fast resolut, müsse sie die Kerze auf dem Tisch anstecken. Und dann müssten wir vor allen Dingen klären, wie es denn so um mein Hintergrundwissen bestellt sei. Das zweite Vatikanische Konzil, Sie wissen schon? Die Auflage an die Ordensleute in den Sechziger- und Siebzigerjahren, ihre Konstitution, die Auslegung der Regeln, neu zu überdenken und der Zeit anzupassen. Traditionen zu bewahren und sich dem Neuen zu öffnen. Das habe dazu geführt, dass nicht nur die doppelten Gitter gefallen seien, die die Karmelitinnen von der Welt trennten, sondern auch zu einer Öffnung der Herzen zu den Menschen hin. Die Menschwerdung eben - und deshalb heiße ihre Zelle auch Karmel zur Menschwerdung.

Gut, sagt sie, das sei jetzt mal die Basis. Und nun also zu ihr. Schwester Teresa, getauft auf den Namen Eugenie, die zum Glück Geborene. Das stimmt, sagt sie schnell. Den Namen Teresa habe sie erst im Kloster bekommen, nach der Heiligen Teresa von Avila, die den Orden im 16. Jahrhundert reformierte. Und dann sind wir mittendrin. In einem erstaunlichen Gespräch, das sich über mehrere Stunden hinzieht. Eine lange, lange Reise. Mit Gedankensprüngen, Atempausen. Voller Wärme, Weisheit, Humor und Lachen. Getragen von einer große Ruhe ausstrahlenden inneren Gewissheit, den richtigen Weg gegangen zu sein.

Als Elfjährige, sagt Schwester Teresa, habe sie ihre starke Beziehung zu Gott entdeckt. Nein, eigentlich schon als Fünfjährige. Aber das sei noch eine andere Geschichte. Die Elfjährige also erst mal. In der Nähe ihres Frankfurter Hauses. Auf der langen Allee zur Kirche weiß sie plötzlich: "Gott. Ich will nichts als dich. Ich gehe ins Kloster."

Vorerst lebt sie ein Doppelleben. Genießt die Reisen mit ihrem Vater. Besticht Hotelportiers, damit ihr Vater nicht merkt, dass sie schon vor dem Frühstück in die Kirche geht. Schwänzt die erste Schulstunde, um die heilige Messe zu besuchen. Schminkt sich, nimmt am Leben der Schulfreundinnen teil, ist nie isoliert. Geht zum Tanzen. Alles sei zusammen gegangen. Konzerte und davor der Besuch der Messe im Frankfurter Hauptbahnhof. Die Freude am Leben, an all dem Schönen, das sie erlebt, und gleichzeitig die Sehnsucht, die stärker ist. "Da kann man nichts machen", sagt sie. Geistliche Lektüre habe sie nie interessiert, Diskussionen um Glaubensfragen. Sie lebte in der Gegenwart Gottes. Ohne Zweifel. Habe ihn geliebt und fühlte sich geliebt. Mit großer Sicherheit. Ein kindliches Urvertrauen? Vielleicht, sagt sie. Mit der Diskrepanz zwischen Herz und Verstand habe sie sich viel später erst auseinandergesetzt.

Aber das muss ich Ihnen noch erzählen, sagt sie dann. Das, was sie letztlich zu den Karmelitinnen brachte. Die Lebensbiografie der Edith von Stein. Eine Philosophin, Frauenrechtlerin und katholische Nonne jüdischer Herkunft, die im KZ Auschwitz umgebracht wurde. Die Beschreibung von deren Eintritt in den Kölner Karmel. Ihre Zelle. Gekalkte leere Wände, ein erhöhtes Brett mit Strohsack, Tisch, Hocker, Holzkreuz, Wasserkrug und Schüssel. Da habe sie gewusst: "Das ist der Ort, an dem ich mit Gott leben kann."

Sie entschließt sich für den Karmel in Hainburg bei Hanau. Der endgültige Bruch mit ihrem Vater. Die ersten sechs Monate fühlt sie sich allein. Die Stille, die sie gesucht hat, hat sie gefunden, die Einsamkeit kann sie nicht ertragen. Sie weint und weint - das habe sie noch nie erzählt, sagt sie plötzlich. Pause. Unendlich viele Tränen seien geflossen. Aber sie weiß, dass es der richtige Ort ist. Und bleibt. Nach acht Jahren sieht sie ihren Vater zum ersten Mal wieder.

Von ihrem letzten Besuch in der St.-Petri-Kirche in Hamburg erzählt sie noch. Wie sie auf dem Weihnachtsmarkt am Gerhart-Hauptmann-Platz stand. Voller Freude an dem ganzen Rummel, der ja eigentlich kitschig sei. Früher hätte sie es nicht verstanden, aber heute sehe sie, dass die Leute das brauchen. Und dann sei sie ganz glücklich durchgegangen und habe sich die Menschen angeguckt. Das habe sie schon immer am liebsten gemacht. Menschen beobachten. Schon damals als junges Mädchen in Frankfurt an der Hauptwache nach einem Theaterbesuch.

Wir reden noch ein bisschen über die Sehnsucht vor allem junger Menschen nach einem Halt im Leben. Einen Sinn zu finden. Und ob der Glaube vielleicht die Lösung sei. Nein, sagt Schwester Teresa, er könne Hilfe sein, aber Ängste nehmen könne er nicht. Gebrochenheiten, Verletzungen, Verwundungen gehörten zum Leben, sagt sie. "Es ist sehr einfach, das Leben, aber nicht leicht." Geliebt werden, selber lieben, sich selbst ertragen lernen sei der Schlüssel. Ohne das reiche es auch nicht für Gott.

Wir reden über ihre Begeisterung für das neu eingerichtete ökumenische Forum "Brücke" in der HafenCity. In dem 14 christliche Kirchen unterschiedlicher Konfessionen zusammen arbeiten. An diesem Platz mitten in der Stadt! Und auch über das, worunter sie leidet. Was ihr echt wehtue. Wenn jemand sich noch tiefer zu Gott hinwenden könne und es gar nicht erkenne. Das schmerze. Ehrlich.

Nein, sagt sie dann, als ich aufbrechen will, gehen Sie noch nicht! Von der geplan-ten Reise müssen Sie noch hören. Mit mehreren Karmeln gemeinsam. Ein Fortschritt. Und auch von den Problemen damals bei ihrem Anfang hier 1999. Allein schon dieses Wort: An-schub-fi-nanzierung. Wundersam gelöst. Dank einer Spende. Und plötzlich hebt sie verzweifelt die Hände. Es habe doch alles bereitgestanden. Kaffee, Tee, Torte. "Und wir haben hier nur geredet." Die Kirche wollte sie mir noch zeigen, die Räumlichkeiten. Wenigstens noch das Refektorium, sagt sie. Und öffnet die Tür. Im Refektorium ist es bitterkalt. Ohne Skiunterwäsche wohl kaum zu ertragen. Nein, sagt Schwester Teresa und zieht den Ärmel kurz hoch. Nichts drunter. Vielleicht könnte sie mir ja zum Abschied ein Stück abgeben von ihrer Gelassenheit und so sehr wärmenden Zuversicht? Ja, sagt sie mit liebevoller und leicht amüsierter Nachsicht, kommen Sie und leben Sie ein Jahr mit uns zusammen. Die Sache mit dem Aussteigen eben. Von der Bushaltestelle.