Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Catharina Boutari, Popsängerin.

Natürlich geht es um die Liebe. Wenn sie so zornig singt: Dein halbes Herz ist nicht genug. Aber es geht auch um ihr Leben. Ihren Angang dazu. Dieses immer voll dabei sein. Zupacken und nicht abwarten. Nicht mitlaufen, sondern aus der Reihe tanzen. Nicht glatt und gefällig, sondern aufrüttelnd und kantig sein. Und am liebsten alles gleichzeitig und sofort. Catharina Boutari, Sängerin. Eine rebellische Röhre nennen sie Musikkritiker. Eine Pop-Core-Poetin und eine Solokünstlerin mit quirligem Power-Pop-Punk. Ach, nennen Sie mich doch einfach Sängerin von Popmusik mit lauten Gitarren, sagt sie. Zum dritten Mal ist sie schon dabei auf der Abendblatt-CD von Hamburg LIVE "Gestatten, wir kommen aus Hamburg." Mit ihrer Hommage an Goethe und Nina Hagen: "In einem Land wo die Zitronen blühen".

Jetzt ist die frühere Frontfrau der Band Uh Baby Uh mit ihrem ersten Soloalbum rausgekommen. "Tanzschule Boutari". Klingt da nicht ein Hauch von Spießigkeit durch? Oh nein, sagt sie. Das solle doch nicht heißen, wir gehen jetzt los und lernen mal Chachacha tanzen. Das sei ein Aufruf: Los, kommt raus aus euren Löchern! Es ginge um Stillstand, der weg muss. Um Gleichschritt, der nicht sein darf. Um viele Fragen und zu wenig Antworten. Ums Nachdenken und Aufrütteln. Der Produzent habe den Titel besser gefunden als nur "Catharina Boutari", und ihr war klar: Recht hat er. "So muss mein Baby heißen." Dieses erste große ihrer Solokarriere. Puh. Also das ist jetzt schon mal raus.

Catharina Boutari ist eine atemlose junge Frau. Impulsiv. Mit einem sympathischen Lachen, schnellen Antworten und fliegenden Funken, sobald ihr was auf der Seele brennt. Und das ist fast immer so. Hier im Cafe "Die Herren Simpel" am Schulterblatt. Zwei Häuser neben der Roten Flora und dem kleinen Klub, in dem sie auch schon aufgetreten ist mit ihrer jetzigen Band. Hier wohnt sie auch gleich um die Ecke. Und hier ist jetzt auch Sohn Leo mit seiner Babysitterin unterwegs zum Spielplatz. Leo ist gerade 14 Monate alt und heißt mit zweitem Vornamen Karim. Weil sie, die Tochter eines Ägypters und einer Deutschen, stolz ist auf diese beiden Kulturen, die sie in sich vereint. Ein gewolltes Kind, na klar, sagt sie. Darüber seien sie und ihr langjähriger Lebensgefährte, der Bassist und Musikproduzent Jan Rubach, sich einig gewesen. Es sei ja immer irgendwie der falsche Zeitpunkt zum Kinderkriegen. So wie mit einem lange geplanten Urlaub. Meist kämen gerade dann die sensationellen Angebote und wärst du dann zwei Wochen früher gefahren oder auch nicht ... na, Sie wissen schon. Und überhaupt, sagt sie, Leo sei noch so klein. Aber manchmal könne sie die Welt durch seine Augen sehen. Und das sei unglaublich spannend.

Eigentlich wollten wir einen Milchkaffee bestellen. Aber dazu kommt es nicht. Noch nicht. Denn erst mal geht es ruckzuck ab mit ihrem Leben. Gummersbach. Diese Stadt in Nordrhein-Westfalen mit 50 000 Einwohnern, aus der man dringend raus müsse, wie Catharina Boutari sagt, aber immer gern mal wieder für fünf Tage hinfahre. Als Kind schreibt sie schon pausenlos Gedichte und Geschichten. Singt, spielt Theater. Mit vierzehn entdeckt sie ein Oberschüler für seine Band. Sie tritt im Nachbarort auf. Im Jugendzentrum. Singt ein bisschen schief, aber - ach, sagt sie, das klingt jetzt richtig kitschig - ich wusste plötzlich, das isses. Ich hab's gefunden!

Die kleine Atempause reicht endlich aus für die Bestellung eines Milchkaffees. Denn der sei hier besonders gut. Und schon geht's weiter. Sie tourt und singt also mit der Band Scharlatan durch kleine Klubs und Jugendzentren um Gummersbach herum. Engagiert sich politisch, beendet eher nebenbei die Schule. Will nach dem Abi weg. Die Eltern sagen, mach doch weiter mit deiner Band, aber studier was. Das müsse man verstehen, sagt sie, ihr Vater käme aus eine Kairoer Familie, Christen, Oberschicht, europäisch erzogen, französische Schulen. Ein Studium dokumentiert den gesellschaftlichen Aufstieg. Catharina Boutari will in Köln Film-, Fernseh-, und Theaterregie studieren, kommt nicht dran, findet in Hamburg das Fach Musiktheaterregie. Fragen Sie mich nicht, was mich da geritten hat, sagt sie lachend. Nie Opern gehört. Sie holt alles nach. Rennt ein Jahr in jede Oper. Soll für die Aufnahmeprüfung ihre Lieblingsoper beschreiben, "damit die wissen, wie man so tickt". Legt ein Loblied auf "Porgy and Bess" hin, weiß nicht, dass der Vorsitzende des Studiengangs Regie geführt hatte, und ... meine Güte, sagt sie, ich war vielleicht naiv. Die müssen ja gedacht haben, ich will mich da voll reinschleimen ...

Eine Rocksängerin und Opernregie - geht das überhaupt zusammen? Aber klar, sagt Catharina Boutari, Klassische Gitarre hätte noch zur Wahl gestanden. Aber das wäre als Beruf nicht ihr Ding gewesen, konzentriert und intensiv stundenlang dazusitzen. Sie brauche eine Band, müsse was bewegen, sich einbringen, Texte schreiben. Und vor allem eine Botschaft rüberbringen können. So wie ihre "ganz großen Heldinnen" Patti Smith, Janis Joplin, Billie Holiday.

Wir überspringen kurz mal vier Jahre. Sie weigert sich, als Abschlussprojekt eine Oper zu inszenieren und aufzuführen. Macht stattdessen Musikvideoclips und dazu noch ein Wörterbuch über das Verhältnis von klassischer zur populären Musik. Und hat's nach weiteren neun Monaten geschafft. Ist Diplommusiktheaterregisseurin. Was für ein Wort!

Wir machen vor lauter Lachen eine Pause. Versuchen einen roten Faden durch ihre intensive Erzählkunst zu legen. Verhaken uns wieder. Bei ihrer ersten Band "Babylon 27", in der sie mit ihren 1,85 und hüftlangen Haaren die kleinste, jüngste und kurzhaarigste ist. Es folgt die Band "Uh Baby Uh" mit ihr als Frontfrau und zwei CDs. Und dann irgendwann ist es aus mit so viel Demokratie. Einer müsse die Fäden in der Hand haben, findet Catharina Boutari. Und das sei von jetzt an sie. Bei "Catharina Boutari mit Band". Das erste Soloalbum produziert sie mit ihrer eigenen Firma Pussy Empire Recordings. Auch ein Schnellschuss. Geboren aus dem Frust über ein Independent-Label, das sie nach langen Vorarbeiten im Regen stehen ließ. Mitten in der Veröffentlichungsphase. Da ist man so ohnmächtig, fühlt sich so grausam im Stich gelassen, sagt sie. Ja, vielleicht sei sie wahnsinnig, aber das musste einfach sein. Es selber zu machen.

Oh, sagt sie plötzlich aufspringend, da draußen ist mein Kind. Ich muss mal ganz kurz raus. Und kommt lachend und außer Atem zurück. Nein, es war nicht Leo. Aber dieses junge Mädchen mit Pferdeschwanz und Kinderkarre sah aus wie ihre Babysitterin.

Was für ein guter Zeitpunkt, um mal kurz was Neues anzufangen. Vielleicht die Sache mit ihrem Lebensgefährten seit 13 Jahren, Jan Rubach, der als Bassist in der Band dabei ist und auch als Produzent. Geht das überhaupt, wenn sie alleine das Sagen hat? Hmm, sagt Catharine Boutari. Und dann: Sie seien beide richtige Dickschädel. Gleichberechtigung würde Mord und Totschlag bedeuten. Aber es ginge. Dieser Konsens - mit ihr als letzter Instanz. Und manchem Zähneknirschen.

Leben kann sie von ihrem Job als Gesangscoach. Macht Leute fit für Tourneen, hilft Newcomern auf dem Weg zur Profikarriere auf die Sprünge, wird von Managements dafür gebucht und von Plattenfirmen. Das alles lässt sich nahtlos einfügen zwischen Leo und den Auftritten mit ihrer Band.

Und deshalb muss sie jetzt auch los. Wegen Leo. Wir reden kurz noch über ihr Alter. Dass sie mit 35 besser drauf sei denn je. Bereit für neues Durchstarten nach knapp drei Jahren Pause. Und um Äonen entfernt davon, sich "einen Schottenrock anzuziehen und zu Hause zu vergraben". Sie hat es eben nicht gern halbherzig. Ein Neustart mit Macht. Joggen, dann aber gleich so, dass es zum Marathon reicht. Kritik jederzeit. Nur bitte nichts Belangloses. Dann doch lieber, dass wie bei Ihnen die Katze vor den dröhnenden Bässen fast ausflippt. Und über Schwermut reden wir noch ein bisschen.

Dass da schon ein großer Packen bei ihr drin sei. Und irgendwie auch sein müsse, sagt sie, denn gute Musik und gute Kunst fange da an, wo das Glücklichsein aufhöre. Wenn sie glücklich sei, habe sie keinen Drang, sich artikulieren zu müssen, aber wenn dann der Druck kommt, die Sehnsucht, der Wunsch nach Veränderung ... dann ginge es wieder los. Mit voller Kraft und ganzem heißem Herzen. Dann geht sie los. Lachend und winkend, bevor sie in die Juliusstraße einbiegt.