Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Gabriele Beger, Direktorin der Staatsbibliothek.

Das hat doch was. Hier hoch oben über der Stadt. Mit 16 Stockwerken geballtem Wissen in Büchern und elektronischen Medien unter den Füßen. Und neben sich eine Frau wie eine Pep-Pille, die von sich sagt, sie rede zu viel, und wenn man sie anpieke, laufe es. Gabriele Beger, seit Dezember 2005 Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek. Eine übersprudelnde Mischung aus fundierten Informationen, flotten Sprüchen im Berliner O-Ton, Gelächter, eingeworfenen rein rhetorischen Fragen wie: Mülle ich Sie etwa zu? Und mit einer so geballten Portion an Charme, dass man sofort bereit ist, das letzte Hemd für eins ihrer kühnen Projekte zu geben.

Ach nee, sagt sie. So nun auch nicht. Ein paar Hunderter reichen, um dabei zu sein. Wie bei diesem Außenfahrstuhl, der unbedingt her müsse, damit mehr Menschen diesen Blick vom Turm der Stabi genießen könnten. Für den Erhalt der vom Säurefraß bedrohten Bände der Bibliothek. Patenschaften für die Restaurierung seltener Drucke oder einzigartiger Handschriften. Und um den Lichthof zu einem Kulturzentrum zu machen. Sie liebe Hamburg, sagt sie. Auch wenn ihre Seele Berlin gehöre. Diese liebenswürdige, von kaufmännischem Denken geprägte Unterstützungsbereitschaft. Mitsamt dieser erstaunlichen Handschlagmentalität.

Wir eilen längst durch die verwinkelten Gänge dieser immer wieder angebauten und erweiterten Staats- und Universitätsbibliothek. Bis wir in ihrem Büro landen. Und einfach sitzen bleiben. Kaffee trinken und erst mal eine Zigarette rauchen. Eins ihrer wenigen Laster. Lassen Sie uns bloß das Fenster öffnen, sagt sie aufspringend.

Gabriele Beger, die Frau, die nicht nur einen Professorentitel kraft Amtes hat, sondern schon mit einem eigenen aus Berlin angereist ist. Dozentin an der Fachhochschule Potsdam, der Humboldt-Universität in Berlin. Ihren Lehrauftrag an der Bayerischen Bibliotheksschule in München hat sie gerade zurückgegeben. "Man muss ja seine Balance finden." Seit heute um fünf ist sie auf den Beinen. Hat um zehn in Potsdam eine Prüfung abgenommen und sitzt seit 16 Uhr wieder hier in ihrem Büro. Total entspannt. Ein fröhlicher Anblick. Ja, sagt sie, ihr sei heute so nach Gelb gewesen. Inklusive Ohrstecker und Punkten auf dem Schal. Und dann der Dutt, sagt sie, lachend, hustend, das Rauchen verfluchend, der sei wohl ein Schuss ins eigene Knie. Sie, die immer ankämpfe gegen das Bild einer Bibliothekarin als kleine graue Maus. Aber anders würden sich diese krausen Haare nicht bändigen lassen. Bibliothekare müssten heute geistige Schätze aufspüren, verwalten, zur Nutzung erschließen und ... Das Telefon klingelt. Nee, sagt sie, das kümmert mich jetzt mal gar nicht.

Gabriele Beger ist eine Verfechterin der E-Books. Hält sie für eine segensreiche Technologie, die emotionalen Kämpfe darum für glatte Maschinenstürmerei. Wissen weltweit verfügbar machen. Auf den PC runterladen können. Einzelne Kapitel je nach Bedarf nutzen. Das sei es. Aber einen Roman damit lesen, keine Seiten zum Umblättern haben? Ach nein.

Gabriele Beger ist in einer Patchworkfamilie in Adlershorst-Treptow aufgewachsen. Mit Geschwistern im Westen und Osten der geteilten Stadt. Dieser Stadt, an der sie so hängt und mit der ihre einschneidendsten Erfahrungen verbunden sind. Der Mauerbau. Die Stimme des Vaters. Sein "Ich kann's nicht fassen, ich kann's nicht fassen". Spürt noch die eigene Trauer, dass die Großeltern nun unerreichbar sind. Und der 9. November. Günter Schabowski, der im Fernsehen vom Zettel abliest, dass die Mauer geöffnet sei. Dieses Telefonieren. Dieses Atemlose. Die Zweifel. Der Anruf von Freunden: Kommt, wir sitzen schon auf der Mauer.

Eigentlich will die Tochter eines Journalisten Schauspielerin werden. Hat schon die Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule bestanden. Mit den "Ratten" von Hauptmann: Ihr mit euren bigotten Reden ... Sie meldet sich aber auf Wunsch des Vaters in der Stadtbibliothek, um einen "ordentlichen" Beruf zu lernen. Studiert nach der Lehre Bibliothekswesen und Jura, weil man ja auf einem Bein nicht stehen könne, beginnt die Kombination zu lieben und gilt heute als Instanz für Urheberrecht, Bibliotheks- und Informationsrecht.

Zurück, zurück, sagt sie schnell. Ein paar Jahrzehnte. Leistungssportlerin sei sie gewesen. Meisterin im Geräte- und Bodenturnen. Mit der Urkunde in der Tasche zur Vorbereitung für die Olympischen Spiele 1968. Mit Zwölf war alles vorbei. Eine Blinddarmoperation. Sie stürzt sich aufs Theater. Kann Brecht noch rauf und runter.

Aber dem Sport, sagt sie, habe sie viel zu verdanken. Disziplin und mit Niederlagen fertig werden können. Vom Stufenbarren knallen. Schmerzen, die einem die Luft abschnüren, und trotzdem sofort wieder rauf. Eine harte Schule. Sie sei immer noch wahnsinnig traurig, wenn sie Niederlagen erleide. Aber die könne sie wegstecken. Teamgeist habe sie damals auch gelernt. Diesen Job, sagt sie, schafft man nicht ohne ein Team. Auch den Vorsitz des Deutschen Bibliothekverbandes habe sie nur übernommen, nachdem die engsten Mitarbeiter zugestimmt hätten. Sie möchte das Bibliothekswesen als Ganzes nach vorne bringen. Ein Fundament schaffen. Open Access, Informationskompetenzen ...

Oh nein. Wir hatten doch gerade Gabriele Beger als Privatperson entdeckt. Darf ich das noch eben zu Ende erzählen? Mülle ich Sie zu? Ja. Egal, sagt sie kurz entschlossen. Das müsse noch sein. Ihre Ankunft in Hamburg. Die Entdeckung, dass in der Stabi so viel hinter den Kulissen stattfand mit so vielen kreativen und motivierten Mitarbeitern, aber draußen nichts wahrgenommen wurde. Typisch hamburgisch, sagt sie. Tue Gutes und rede nicht drüber. Da müsse man sich eben eine Berliner Schnauze leisten. So wie sie.

Die Berliner würden gerne so vor sich hinblubbern. Aber sie möge diese Art von Schnoddrigkeit, diese getarnte Liebenswürdigkeit. Und dann lachen wir über ihr Erlebnis mit einem Hamburger Taxifahrer, den sie für eine Ministrecke angeheuert hatte. Vom Grindelhof zur Oberstraße. Ein Katzensprung. Zum Kaffee wollte sie ihn einladen, damit er sein Taxameter voll kriege. Seine empörte Reaktion, als wenn sie ihn abschleppen wollte. In Berlin sei das normal. Nein, sagt sie, nicht das Abschleppen! Diese Kommunikation ganz ohne Dünkel.

Von ihrer einjährigen Enkeltochter schwärmt sie. Erzählt von dem Tag, an dem sie diese wunderbare Wohnung am Grindel findet. Wild auf der Straße vor sich hinzeternd, dass sie sich so abgezockt fühlt. Und diesen Mann trifft, der sagt, klingeln Sie doch mal da. Da zieht bald einer aus. Und auch negative Eigenschaften sind dran. Diese furchtbare Ungeduld, wenn jemand umständlich erkläre, was sie schon längst kapiert habe. Und sie dazwischen geht. Sie könne mit einem Satz wie ein Messer alles kaputt machen, nennt ihre Familie das.

Ein Wachmann steht plötzlich in der Tür. Mit seinem Schlüsselbund. Guckt auf das offene Fenster. Ja, sagt Gabriele Beger, das machen wir nachher zu. Ganz artig. So, sagt er trocken. Artig sind Sie doch immer. Jetzt haben Sie es amtlich, sagt sie. Wir landen bei ihren Jobs, als sie schon Familie hatte und das Geld nie reichte. Messeaufbau am Funkturm. Schwerstarbeit. Rote Augen vor Müdigkeit. Getröstet von Buletten und Bargeld auf die Hand. Und mal so eng mit der Zeit, dass hinten noch aufgebaut wurde, als vorn schon der Staatssekretär auf der Matte stand.

Die Bücher auf ihrem Nachttisch besprechen wir schon im Aufbruch. Keine Liebesromane, nein. Aber Frisch, Dürrenmatt, Fest. Donna Leon, weil sie Venedig so liebe. Der "Nachtzug nach Lissabon", weil es sie fasziniere, den Lebensrhythmus durch eine Augenblickseingebung zu unterbrechen. Davon habe sie auch was in sich. Hoffe sie. Und möchte es sich erhalten. Nicht in Routine verfallen. Auch jetzt nicht, mit über fünfzig. Sie sei doch jetzt, warten Sie mal: Acht minus zwei sind doch sechs, oder? Also sei sie 54. Nein Quatsch, 56. Oder?

Noch auf dem Flur lachen wir über diesen Rechenspagat. Gehen vorbei an verschlossenen Türen. Unsere Schritte hallen auf dem Linoleum. Wir sollten rübergehen zum Etrusker, sagt Gabriele Beger. Lisas Spaghetti mit Muscheln. Einfach toll. Oder kommen Sie auf jeden Fall Silvester wieder. Feuerwerk gucken auf dem Dach. Das habe wirklich was. Und denken Sie dran, ruft sie mir hinterher. "Es geht um die Staats- und Universitätsbibliothek. Nicht um mich." Auch ganz spannend. Und nachzulesen unter www.sub. uni-hamburg.de.