Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Joja Wendt, Klavierjunkie

Er hat es gern ein bisschen schräg. Wie jetzt gerade fürs ARD-Magazin "brisant". Da schwebte er unter einem Heißluftballon festgezurrt über den Wolfgangsee. Der Heizer auf dem Klavier. Er selbst auf dem Hocker davor rasant in die Tasten greifend. Der Mann, der mit seiner umwerfenden Mischung aus virtuosem Klavierspiel, Wortwitz und Slapstickeinlagen eine riesengroße Fangemeinde um sich versammelt hat. Der am Anfang seiner Karriere mit seiner vehementen Version von Rimski-Korsakows "Hummelflug" Konzerthallen zum Toben brachte. Der Mann mit dem weltweit einzigartig tanzenden Klavier. Der jetzt mit seiner musikalischen Weltreise "Mit 88 Tasten um die Welt" durch die Republik tourt - Joja Wendt.

Das Wort Entertainer kann er trotzdem nicht leiden. Das klinge irgendwie so despektierlich. Und das, obwohl daran so große Namen hängen wie Sammy Davis jr. und Frank Sinatra? Ja, aber in Deutschland habe das einen anderen Beigeschmack, sagt Joja Wendt. Einen Mangel an Stil irgendwie. Mit der Bezeichnung virtuoser Pianist könne er sich eher anfreunden. Und schon sind wir mittendrin. An diesem frühen Sonnabendmorgen im "Cafe Stay" in Groß Flottbek, wo es zugeht wie in einem Tollhaus. Alle sind da. Das ganze Dorf, wie Joja Wendt es nennt. Man begrüßt sich, schwatzt kurz ein bisschen. Über die Einschulung von Julius, seinem jüngsten Sohn. Dem Haus auf Sylt in List, wo die Bundesimmobilien im vergangenen Jahr günstig verkauft wurden. Er sei schließlich "kein Prinz von und zu, habe keine Millionen geerbt", sondern sei als drittjüngster von acht Geschwistern aufgewachsen, habe sich alles selbst verdient und freue sich drum doppelt dran.

Das ist eine Menge Holz auf einen Schlag und muss erst mal auseinanderdividiert werden. Die Familie also. Nein, zuerst hätte er gern Grünen Tee mit Honig. Und irgendwas Joghurtartiges mit Früchten. Schwierig, sagt die Bedienung. Alles schon weg. Und dann kommt es doch. An unseren winzigen Tisch 11, an dem es jetzt wirklich eng wird. Und wir können uns also reinstürzen in das Leben dieses Mannes, der sich selbst einen Klavierjunkie nennt, süchtig nach den weißen und schwarzen Tasten schon von Kindesbeinen an. Mit einer Zigeunerseele noch dazu. Zurückgehend auf die vielen Umzüge seiner Kindheit und Jugend. Nachdem seine Eltern sich scheiden ließen, kehrt er als Einzelkind mit seiner Mutter, einer Sopranistin, aus Istanbul, wo sein Vater gerade Chefarzt an der Deutschen Klinik ist, zurück nach Deutschland. Salzburg, Berlin, Dortmund, München, Hamburg. Das Abitur am Knabeweg. Die Ferien über ist er immer in der Großfamilie. Eine Patchworkfamilie nach der neuen Heirat seines Vaters, die sich heute immer noch sonntags regelmäßig zum Essen versammelt "die ganze Mischpoke". Mitsamt Partnern und Kindeskindern. Richtig schön, sagt er. Er sei ein begeisterter Familienmensch.

Mit vier fängt er an Klavier zu spielen. Der Johann, der nur von seinen Großeltern in Krisenzeiten so gerufen wird und sonst schlicht Joja heißt, weil sich das halt besser spricht. Mit sechs bekommt er Unterricht. In der Pubertät verliert er den Faden. Interessiert sich mehr für Mopeds und Mädels. Entdeckt, dass es diese Mädels toll finden, wenn einer auch Klavier spielen kann. Stimmt er also doch, dieser alte immer wieder von Johannes Hesters gesungene Ohrwurm: "Man müsste Klavier spielen können, wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frau'n ..."?

Oh nein, sagt Joja Wendt, so eindimensionale Wesen seien Frauen nicht. Die ließen sich nicht allein vom Klavierspielen blenden. Das Paket müsse stimmen. "Das hier", sagt er, und tippt sich an die Stirn, "gehört dazu." Und die ganze Personality. Das müsse stimmig sein. Die bräuchten was aus Fleisch und Blut, keinen Fachidioten. Jemand, der auch zwischendurch was zu erzählen habe. "Nein", sagt er noch einmal nachdrücklich. "Die wollen nicht so'n hochgezüchtetes Rennpferd sehen, das mit Scheuklappen durch die Gegend läuft."

Aber brauchen die ein tanzendes Klavier? Augenblick, sagt er. Dazu komme er gleich, er sei gerade so schön in Fahrt. Sein Vorbild sei der dänisch-amerikanische Pianist und Komödiant Victor Borge. "Ich verehre diesen Mann." Humorvoll, differenziert, gebildet, ein fantastischer Pianist, ein richtiger Gentleman. Der Loriot von Amerika so'n bisschen. Kurz vor dessen Tod vor acht Jahren will er einen seiner Sketche übernehmen. Schickt ihm ein Fax. Kriegt die Erlaubnis. Unterschrieben mit der der zittrigen Hand eines 96-Jährigen. "Das war so süß" und hängt jetzt bei ihm zu Hause an der Wand.

In Laufe seiner Karriere gibt es viele Ankerpunkte, wie er es nennt, die ihn immer ein Stückchen vorangebracht haben. Joe Cocker, Chuck Berry, Jerry Lee Lewis, Inga Rumpf und Abi Wallenstein. Gut, aber was ist denn nun das Geheimnis des tanzenden Klaviers? Dieser ganz besonderer Steinway-Flügel, in dessen 88 Tasten er seine bunte Mischung aus Jazz, Blues, Boogie-Woogie, Pop und Klassik hämmert. Hey, sagt er. Seien Sie doch nicht so hartnäckig. Zuerst noch mal kurz dieser erste Auftritt in der Musikhalle. Die Erfüllung seines Traums. Auf Geburtstagen, Hochzeiten, in kleinen Klubs habe er anfangs immer gespielt, sich so sein Geld verdient, auch für sein einjähriges Musikstudium in New York, und sei immer wieder gefragt worden, wo er denn eigentlich sonst noch spiele. In der Musikhalle, habe er kühn gesagt. Tja und dann habe er sie gemietet. Und sie wurde voll. Durch reine Von-Mund-zu-Mund-Propaganda.

Joja Wendt ist wirklich ein Entertainer. Sorry. Im Gespräch hinreißend, immer wieder von Gelächter unterbrochen und schafft es dabei tatsächlich noch, sein Joghurt-Früchte-Mix in sich hineinzuschaufeln. Also dann, sagt er, das tanzende Klavier. Sein Aufstieg in die höheren Weihen. Nach seinem ersten Plattenvertrag. Zwei Klavierfirmen bemühen sich um ihn. Schimmel und Steinway. Er entscheidet sich für Steinway. Trifft dort auf den Fabrikchef, einen Tüftler "so wie Q bei James Bond", und der entwickelt mit ihm zusammen diese pneumatisch angetriebenen Beine. Ein Hohlraum, mit Luft gefüllt. Beweglich. Tanzend eben. Und dazu, sagt er, müsse er ein bisschen ausholen. Springt kurz noch mal rüber zu Freunden, verspricht, sie später anzurufen, weil er gerade mal was zu Ende erzählen müsse. Und weiter geht's. Mit Franz Liszt. "Ein fantastischer Virtuose, ein irrer Typ, ein Weiberheld auch, der irrsinnig viele Kinder zeugte." Wenn man Liszt spielen hörte, so habe in der Biografie gestanden, "vermeinte man mit geschlossenen Augen mit dem Flügel eins zu werden und über die Bühne zu tanzen". Ganz schön schwülstig, sagt er. Aber da habe er gedacht, das muss doch möglich sein.

Er erzählt noch von seiner Frau Birte, einer Steuerberaterin. Die er seinen wunderbar ausgleichenden Gegenpol nennt, weil sie mit Musik gar nichts am Hut habe. Und verhindere, dass er "dauernd nur im eigenen Saft koche". Kritisch sei sie und werde ihn ganz sicher daran hindern, bis zur absoluten Peinlichkeit auf der Bühne zu stehen, seinem Lebenselixier. Von der gemeinsamen Liebe zu Reisen. Der Weltreise mit den Kindern. Hongkong, Tokio, Sydney. Kombiniert mit Konzerten und drei oder vier Wochen Zeit dazwischen, um sich alles anzugucken. "Unsere große Leidenschaft."

Davon, dass er zwei Steinway-Flügel besitzt. Einen für zu Hause, den anderen zum Reisen. Von einem eigens dafür abgestellten Betreuer begleitet, weil Flügel so sensibel sind. Sensibler gar als Frauen? Ach, sagt er, Sie wollen mich nur stoppen. Nein, also 'ne Liebschaft oder 'ne erotische Beziehung habe er nicht zu seinem Flügel. Der sei für ihn eher Kumpel. Das gäbe da so Sachen, die könne ein Flügel nun mal nicht erfüllen ... Der Rest geht unter in Gelächter. Von seinem neusten Stück, dem Eskimostück, müsse er noch schnell erzählen. In Kamtschatka sei er auf diesen Mann gestoßen, der noch nie ein Klavier gesehen hatte und dann mit dicken Fausthandschuhen drauf eine Melodie spielte. Das Kinderlied seiner Großmutter.

Über den "Hummelflug", seinen Publikumsrenner, reden wir noch. Den er nur noch spiele, wenn die Leute davon gar nicht lassen könnten. Das geht ab wie im Schlaf, sagt er, für immer eingebrannt in die Synapsen.

Die Gäste haben schon mehrere Male gewechselt. Ich könnte hier noch stundenlang sitzen, sagt Joja Wendt. Dann stoppen wieder Freunde am Tisch. Ratschen über Wochenendpläne. Die Tochter will abends zum Discobowling. Zu was? ruft Joja Wendt begeistert. Na, Discomusik und Bowling. Nie gemacht, sagt er. Aber das hört sich schön schräg an. Lass' uns das auch mal machen. Und radelt nach Hause.