Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute: Daniel Kühnel, Intendant der Hamburger Symphoniker

Sie hat schon was. Diese sanfte, leise Stimme. Verschwörerisch und leicht verführerisch klingt sie. Inmitten des Lärms von klappernden Tassen, Gelächter und dem Zischen der Milch aufschäumenden Kaffeemaschine. Hier im Literaturhauscafe an der Außenalster. Ja, sagt er, das sei ein Problem. Er spreche sehr leise. Daniel Kühnel, Intendant der Hamburger Symphoniker, der vor vier Jahren sein Amt antrat. Zum ersten Mal für ihn ein Doppelpack. Verwaltung und künstlerische Verantwortung in einem. Ohne Angst sei er darangegangen, sagt er. Aber mit großem Respekt. Nicht sicher, ob Begeisterung, Fantasie, Kraft und Hingabe seinen Mangel an Erfahrung wettmachen könnten.

Es hat ganz gut geklappt. Das Publikum ist jünger geworden und zahlreicher, Sponsorengelder fließen, Stardirigent Jeffrey Tate wird im nächsten Jahr kommen, und auch Residenzorchester der Laeiszhalle könnten die Symphoniker endlich werden. Sobald die Elbphilharmonie fertig ist.

Da sollte doch eigentlich Freude aufkommen. Warum dann noch dieser melancholische Blick und die geradezu anrührende Ernsthaftigkeit, mit der er selbst die Wahl eines Stücks Apfelstreusels angeht? Finden Sie?, fragt er zurück. Er habe eben keinen leichten Zugang zum Leben. Nicht wie die Marschallin im "Rosenkavalier" singe, Sie wissen schon: "leicht muss man sein, mit leichtem Herz und leichten Händen halten und nehmen, halten und lassen ..." Nein, so sei er nicht.

Und vieles sei ja auch nicht leicht. Dieser Kampf etwa mit der Stadt, um 18 Planstellen mehr für seine Symphoniker. Sie müssen sich das so vorstellen, sagt er. Tschaikowskys "Capriccio Italian" hat vier Trompeten. Wir haben nur drei. Soll ich denn alle großen Komponisten des 20. Jahrhunderts, Mahler, Bruckner, Strawinsky, nicht mehr spielen können. Immer nur Musiker dazukaufen müssen. Und dieser Verschleiß bei den eigenen Musikern. Ständig sind sie im Einsatz.

Hier, sagt er, nehmen Sie mal diese Mineralwasserflasche an den Mund, ganz dicht ran an die Zähne. Diesen Druck spürt ein Hornist, der vier Stunden pro Tag und Woche für Woche spielt. Das geht aufs Gebiss. Und auf die künstlerische Qualität. Der pseudomusikalische Selbstversuch endet in großem Gelächter.

Daniel Kühnel ist ein spannender Gesprächspartner, dem man gern zuhört. Der mit viel Herzblut und Intensität wahre Bilder heraufbeschwört. Von einer Kindheit und Jugend an der Schnittstelle orientalischer und mitteleuropäischer Kultur. Geprägt von Eltern, die Professoren für Kunstgeschichte sind, von Großeltern, die 1964 nur mit den Kleidern am Leib ihre rumänische Heimat verlassen. Von frühen Begegnungen mit Goethes Faust und den Wahlverwandtschaften beim Deutschunterricht in einer evangelischen Probstei in Jerusalem. Von den Berliner Festspielen mit Herbert von Karajan in den Sommerferien, als sein Vater dort an seiner Habilitation arbeitet. Und auch von dem polnischen Kindermädchen, das mit ihm nur französisch spricht.

Als Kind schon verbringt er Stunden in der Geburtsbasilika in Bethlehem, wo der Vater auf einem Gerüst stehend für seine Doktorarbeit die Mosaiken fotografiert und unten der kleine Sohn die herabfallenden Mosaiksteinchen aufsammelt und sortiert. Die Grabeskirche in der Jerusalemer Altstadt ist das Thema seiner Mutter.

Das Leben der Familie spielt sich in einem relativ bescheidenen finanziellen Rahmen ab. Kein Hunger, nein, keine existenzielle Not. Aber kärg-liche Professorengehälter. Die beiden Geschwister teilen sich ein Zimmer, Schulhefte werden abgezählt zugeteilt, und die Großmutter zaubert häufig aus einem Nichts fantastische Gerichte.

Er sei kein rebellisches Kind gewesen, sagt Daniel Kühnel. Nein, auch nicht in der Pubertät. Also, wenn Sie das nicht gegen mich verwenden, würde ich fast sagen, ich habe die Pubertät verpasst. Früh schon vergräbt er sich mit Kopfhörern in eine eigene Welt. Die der Oper, der Libretti. Mit der Übersetzung einer Rasenmähergebrauchsanweisung aus dem Deutschen ins Hebräische verdient er sich neunzig Schekel, kauft die Gesamteinspielung von Donizettis "Lucia di Lammermoor" mit Joan Sutherland und Luciano Pavarotti von 1971. Und dick sei er damals auch gewesen, sagt dieser heute eher spargeldürr wirkende Mann. In zwei Monaten habe er sich runtergehungert. Mit Ananas satt. Als Austauschschüler in England.

Wo nur liegen die Wurzeln bei diesem Pendler zwischen zwei Welten, der als Achtzehnjähriger nach Berlin geht, um Musikwissenschaft und Jura zu studieren - "ein Wahnsinnssprung vom Goethe meiner Kindheit zum kleinen BGB-Schein auf deutsch!" Und der nur wusste, dass eine akademische Laufbahn nicht sein Ding sei. Wurzeln, sagt Daniel Kühnel, seien bei ihm nicht an einen Ort gebunden. Es sei mehr eine Sammlung von "Schmecke", Gerüchen, Bildern. Eine karge Landschaft. Berge, die judäische Wüste. Wind, Wärme, Staub, Erde und der süßliche Duft von Wildfeigen. Das alles trage er in sich. Ach, sagt er plötzlich, stoppen Sie mich, wenn ich zu weit aushole.

Wir wenden uns leichteren Dingen zu. Seiner Liebe zum Kochen. Wie sehr es ihn ärgere, wenn Gerichte nachlässig zubereitet werden. In Restaurants Qualität mit hohen Preisen verwechselt werde. Eine Aubergine, sagt er, wie kann man damit leichtfertig umgehen! Nun, sie kann sich ja nicht rächen. Aber natürlich, sagt er, sie werde bitter und hart. Er koche gern. Das verbinde ihn mit Jeffrey Tate, diesem überhaupt erstaunlichen Mann. Einmalig. Man verlässt ihn nach zwei Stunden und geht richtig glücklich auseinander. Und weiß nicht, warum. Es ist einfach so. Jeffrey Tate sei schonungslos ehrlich, aufrichtig und offen. Hamburg könne sich auf ihn freuen, und für ihn, Daniel Kühnel, sei mit der Verpflichtung ein persönlicher Traum wahr geworden.

Es führt kein Weg daran vorbei. Die Musik hat uns wieder. Die soziale Kompetenz der Musik, sagt Daniel Kühnel, lassen Sie mich Ihnen das noch erklären. Dafür brauche er ein Stück Papier. Nein, nicht die Tischdecke, sagt er lachend, ohne sich davon abbringen zu lassen. Ein Zettel wäre ihm schon lieber. Dann malt er mit großen Strichen ein Diagramm. Hier, sagt er, im Zentrum die Laeiszhalle, die Symphoniker. Drumherum das Untersuchungsgefängnis, die Suppenküche für Obdachlose, eine Schule in der Poolstraße, gläserne Büros. In diesem Spannungsfeld müsse sich Musik heute bewegen. Warum, sagt er beschwörend, habe denn Musik von vor fast dreihundert Jahren heute noch ihre Gültigkeit. Vivaldis "Vier Jahreszeiten"! Alles spiegele sich darin, was Menschen bewege. Ihre Wünsche und Träume. Stillstand und Kälte im Winter, Aufbruch und Hoffnung im Frühling. Gelöstheit und ätherische Unendlichkeit im Sommer und der Verfall im Herbst. Existenzielle Erfahrungen jedes Menschen. Ob er am Leinpfad wohne oder auf der Straße lebe. Er hätte da einen Plan, sagt er, und holt weit aus. Ohne Punkt und Komma. Mitgerissen von der eigenen Begeisterung und Beseeltheit. Sie müssen mir das nachsehen, sagt er fast entschuldigend in einer Atempause. Musik, habe schon Goethe gesagt, sei eine rhythmische Kraft kosmischen Ursprungs, die sich im Menschen verdichte, die der Mensch veredele, ja, wenn Sie mich so fragen, selbst in der Rockmusik. Etwa das Spätwerk von Led Zeppelin, "Stairway To Heaven". Stopp! Nein, sagt er, nur noch kurz: Das Orchester könne all das leben, wenn es nicht unterfinanziert sei.

Und so sind wir wieder am Anfang unseres Gesprächs angekommen. Und hätten fast alles ausgespart: Lotte, der kniehohe Deutsche Pinscher, an dem er sehr hängt und der nicht mit ins Cafe darf. Seine Liebe zu allen schönen Dingen. Ein gut sitzendes Jackett, wie man sieht. Polohemden aus einem Laden links vom Rathaus. Zu Preisen, "da spricht Anstand aus jeder Pore". Holz, ein schönes Buch, duftender Kaffee, ein gut gebackenes Brot. Dass er Lärm nicht gut ertragen kann. Enormen Stadtverkehr, aufdringlich lautes Sprechen, Baulärm, aggressives auf ihn Zugehen. Aufgedrängte Nähe. Dass er Soßen hasst, die alles überdecken. Diese Champagnersoßen zu Fisch! Auch dass er vielleicht sehr anspruchsvoll sei. Gegen sich selbst und gegenüber anderen. Und dass seine Lebensgefährtin das sehr gut auffangen könne. Mit ihrem leichteren unmittelbareren Zugang zum Leben. So wie die Marschallin im "Rosenkavalier".

Viele Stunden sind an diesem spätsommerlichen Nachmittag vergangen. Einfach so. Leise, verschwörerisch und verführerisch zerredet.