Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Katharina Matz, Thalia-Theater-Schauspielerin

So fühlt sich Sommer an. Hier in den Katakomben des Thalia-Theaters. Voller Gewusel und Gedränge. Voller Vorfreude und Abschiedsstimmung. Je nachdem, was gerade anliegt. Die einen wollen nur ihre Sachen holen und dann weg sein. Die anderen zur Probe vom Sommernachtstraum, der heute letzten Aufführung vor der Sommerpause. Auf den engen Fluren wird gelacht, umarmt, geküsst. Und sie mittendrin. Wie ein ruhender Pol in all der Hektik. Eine mädchenhaft wirkende Frau, die sagt, dass das hier ihr sicherer Hafen sei. Die schon lange dazugehört. Allen vertraut. Den Kollegen genauso wie dem Publikum. Katharina Matz, seit mehr als 45 Jahren festes Ensemblemitglied am Thalia-Theater. Bei jeder Premiere aufs Neue voller Lampenfieber und Selbstzweifel. Immer die gleiche Zitterpartie. Davon könne sie reichlich erzählen. Auch von den Energien, die dabei freigesetzt werden. Bloß dafür bräuchten wir erst mal einen ruhigen Platz.

In ihrer Garderobe vielleicht, sagt sie. Der enge Raum, den sie sich mit Kollegin Maren Eggert teilt, hat den wenig einladenden Charme eines Behördenruheraums. Mit zwei großen Spiegeln allerdings. Ach was, sagt Katharina Matz, gehen wir doch lieber in die Kantine einen Kaffee trinken. Dieselbe Tour also zurück. Quer durch Umarmungen, Zurufe, Gelächter.

Katharina Matz ist gerade 78 Jahre alt geworden und ja, sagt sie, daraus müsse sie keinen Hehl mehr machen, sie stehe dazu. Setzen Sie mal Ihre Brille auf, dann können Sie sehen warum. Diese Falten! Das dröhnende Gelächter scheint fast die zierliche Person zu sprengen. Sie sei von Beruf Schauspielerin und vom amtlichen Status her Rentnerin, sagt sie. Finanziell unabhängig, könne jederzeit aussteigen, aber wolle es nicht. "Theater ist doch mein Beruf," sagt sie. Wenn auch aus Versehen.

Katharina Matz wollte Tierärztin werden. Und das war nicht drin. Damals, als die Familie nach der Flucht aus Böhmen bei einem Bauern in Sachsen angesiedelt wird. Ihr Berufswunsch nicht systemkonform. Die Tochter eines Apothekers ist kein Arbeiter- und Bauernkind, darf nach dem Abitur nicht Tiermedizin studieren. Ja, sagt sie fast kichernd vor Vergnügen, ihre Mutter sei zum Schulrektor gegangen. Habe gefragt, was machen wir denn jetzt mit ihr. Sie hat doch bei den Schulfeiern immer ganz begabt Gedichte aufgesagt, habe der geant-wortet. Sie soll mal Schauspielerin werden. Die Mutter ergreift die Initiative, schreibt an die Schauspielschule in Magdeburg, Katharina wird zum Vorsprechen eingeladen, wird genommen. Und dann, sagt sie, habe sie Blut geleckt. Langes Gelächter.

Einmal nur noch habe sie diesem Traum nachgehangen. Bei Boy Gobert in einem Stück nach einem authentischen Fall in England spielt sie eine Ärztin. Will sich in die Rolle einarbeiten. Geht mit einem befreundeten Chirurgen nach Eppendorf, wird von seinem Chef gefragt, ob sie nicht bei einer Bauchoperation zugucken wolle - und kneift. Trotzdem, sagt sie, Medizin wäre schön gewesen, aber es sollte nicht so sein.

Katharina Matz ist eine Meisterin im Hinnehmen, wie sie von sich selber sagt. Vom sich in Dinge fügen. Harmoniesüchtig sei sie auch. Meide Konflikte. Auch Ellenbogen würden ihr fehlen. "Sehr schwierig in diesem Beruf." Die Nerven müssten frei liegen auf der Bühne. Aber Ellenbogen brauche man, um Karriere zu machen. Sie sei einfach ein zuverlässiges Ensemblemitglied. Und freue sich darüber. Nur manchmal, sagt sie zögernd, hätte sie schon gern einen kleinen Schuss Löwen dabei. Wie das? So als Aszendent. Sie sei Zwilling, die könnten sich nur schwer entscheiden. Und dann noch ihre beiden Luftzeichen Waage und Wassermann! Also ein bisschen Stier oder Löwe wäre schon gut. Aber ganz im Ernst, sagt sie lachend, glauben Sie etwa an Horoskope? "Nein." Sie eigentlich auch nicht.

Katharina Matz nimmt sich gern ein bisschen zurück. Ist uneitel, selbstkritisch und voller Erstaunen darüber, dass gerade junge Regisseure immer wieder gerne mit ihr arbeiten. Wie Nicolas Stemann und Andreas Kriegenburg. "Oder ist der mit 45 gar nicht mehr so jung?" Das bringe ihr Spaß. Da sei sie offen, neugierig. Sie lasse sich ein, sagt sie. Das sei vielleicht ihre Stärke. Ach der Stemann, sagt sie, der habe ihr in der vergangenen Saison die Rolle der alten Iphigenie gegeben. Wer kommt schon auf eine solche Idee, dass sie in ihrem Alter noch Texte von Goethe sprechen könne. Einfach super!

Die Grenze sei bei ihr nur diese Modesache mit dem Nacktsein auf der Bühne. Wenn es dafür keinen zwingenden Grund gäbe. Aber das komme auf sie in ihrem Alter ja ohnehin nicht mehr zu. Nur einmal fast. Als Großmutter in "Das letzte Feuer" musste sie in der Badewanne sitzen. "Aber nicht nackert", habe sie von vornherein gesagt und dann halt einen hautfarbenen Body getragen.

Die Sache mit dem Alter überhaupt, sagt sie. Weise sei sie nicht geworden. Routinierter auch nicht. Auf mehr Gelassenheit warte sie immer noch. Jetzt im Urlaub auf Korfu wolle sie ein paar Seminare mitmachen. Darüber wie man seine Meridiane entblocken könne. Vielleicht bringe das was. Disziplinierter müsse man einfach sein als früher, sagt sie zögernd. Wenn die Jungen zu spät zur Probe kommen, den Text nicht gelernt haben, schiebt man es auf deren Schludrigkeit. Bei den Alten heißt es gleich, jetzt geht es los. Lange Pause. Aber vielleicht bildet man sich das ja auch nur ein, sagt Katharina Matz.

Jetzt mit dem Wechsel von Ulrich Khuon zu Joachim Lux wird sie den siebten Intendanten am Thalia Theater erleben. Und findet es bei allem Bedauern, dass Khuon geht, spannend. Wie ein neues Theater. Neue Leute, neue Kollegen, neue Arbeitsweisen. Sich selbst wieder neu beweisen. "Das ist aufregend, das hält wach."

Ist ein Intendantenwechsel so was wie von einer Ehe in die nächste reinrutschen? Na, sagt sie, so viele Ehemänner könne man ja in einem Leben gar nicht unterbringen. Mein Gott, sieben Stück! Bei ihr waren es zwei. Das reiche auch. Der erste, Eckart Friedrichson, bekannt und geliebt als Meister Nadelöhr im Kinderfernsehen der DDR. Von ihm trennt sie sich, als der Ruf an die Kammerspiele von Ida Ehre kommt. Das erste Stück ausgerechnet "Ein Kamel geht durchs Nadelöhr". Eine Filmrolle neben Hansjörg Felmy in "Der Mann, der sich verkaufte" folgt. Willy Maertens holt sie vom Fleck weg ans Thalia-Theater. Sie bleibt in Hamburg. Das Thalia wird ihr Heimat, Zuhause und Zuflucht in Krisenzeiten. Damals nach der Scheidung von ihrem zweiten Mann. Jeden Abend ins Theater gehen und spielen. Gefühle rauslassen können. Auf der Bühne. Wie eine Therapie fast.

Um uns herum wird es laut. Mittagspause im Hause Thalia. Wir rücken ein bisschen enger zusammen. Ach, sagt Katharina Matz, wenn sie es sich so richtig überlege, mit ihr sei immer nur gemacht worden. Kein Klinkenputzen, kein Vorsprechen, kein Casting. Sie wurde geholt, wurde regelmäßig gefragt. Bis auf diese dunklen Momente. Wenn einem der Verstand sagte, dass in diesem Stück, in dieser Spielzeit eben keine Rolle auf sie passt. Aber die Seele grüble und grüble. Selten nur aber schmerzhaft. Man möchte doch geliebt werden, sagt sie. Und muss dann doch wieder lachen. Erzählt von Greifswald ganz am Anfang ihrer Bühnenlaufbahn. Ein Schauspielerkollege, so gut aussehend, so begabt und sie total verliebt, wartend auf diesen einen Satz nur von ihm. Und dann trifft sie ihn Jahre später in Berlin. Und der gesteht ihr doch tatsächlich, wie verknallt er in sie gewesen sei, aber sie habe sich so abweisend verhalten. Ach diese verpassten Gelegenheiten! Es sei so wie in dem Roman von Max Frisch, sagt sie, welchem nur? Ein Mann, der zurückversetzt wird in dieselbe Situation und sich doch wieder genauso entscheidet. Die Moral von der Geschicht, sagt sie kurz entschlossen, man kann bedauern, aber es bringt nichts.

Aber Träume, sagt sie, die würden sich manchmal erfüllen. Man müsse nur warten können. Sie ist jetzt endlich! in Salzburg dabei. Bei den Festspielen. Am 8. August, wenn das Thalia-Theater mit "Die Räuber" dort Premiere hat. Als Tugend und Moral. Zusammengeschweißt im Rokokokostüm mit Peter Maertens. Und das alles, ohne sich zu melden, ohne Hier zu rufen. Sie wurde einfach besetzt. Was für ein Sommer(nachts)traum!