Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute Iris von Arnim, Modedesignerin und Unternehmerin.

Sie hat ein Wahnsinnstempo drauf. Beim Reden und überhaupt. Aber nur wenn alles zusammenpasst, sagt sie schnell. Und das tut es gerade. Hier beim Italiener in der Badestraße. Sonnenschein. Draußen sitzen. Genüsslich essen, Wein trinken und einfach nur reden, reden, reden. Eine Frau, die von sich sagt, dass sie kein Mittelmaß habe, das kriege sie einfach nicht hin, und Mode entwirft für die Frau, die sie am besten kennt, sie selbst. Iris von Arnim, Modedesignerin und Unternehmerin. Der Name einer Luxusmarke für Mode aus feinster Cashmere-Wolle. Traumhaft schön und sündhaft teuer. Federleicht und kuschelig. Zum Wohlfühlen und Behalten, sagt sie. Keine saisonale Wegwerfgeschichte. Das überlasse sie lieber der jüngeren Generation. Und auch die würden ihre Sachen kaufen. Ein Stück manchmal nur und völlig anders kombiniert als ihre Mütter. Und das sei doch wahnsinnig ...

Iris von Arnim, die Cashmere-Queen. Mit C natürlich. Nicht mit K wie im Duden. Das Material sei wertvoll, der reine Luxus eben, ein K viel zu profan. Ach, sagt sie plötzlich, ist das nicht schön hier? Frische Luft, hmm! Sommer. Schöner geht's nicht, oder? Und was wollte ich gerade erzählen? Ach ja, Modedesignerin durch "Learning by Doing" sei sie. Und eigentlich eine glatte Katastrophe. Wenn sie was Gescheites erzählen wolle, werde sie nervös. Wenn sie so richtig in Fahrt komme, sei sie zwangsbeglückend und intensiv, behaupten Freunde. Und manchmal könne sie auch überhaupt nicht zuhören, sage ihr Sohn Valentin. Seit zwei Jahren ist der 29-jährige New Yorker Ex-Banker bei ihr eingestiegen, will das Marketing intensivieren, das Geschäft internationalisieren. Und das sei gut so. Dafür habe sie nie Zeit gehabt, bei ihrem 15-Stunden-Tag. Die ganze Truppe an Mitarbeitern, "ihre Familie", zusammenhalten, auf alles ein Auge haben, jedes Stück der neuen Kollektion selbst anprobieren, manches eintragen, drei Tage lang. Und wenn es sich nicht gut anfühlt, weg damit, sagt sie.

Kurze Atempause. Zwei Sachen habe sie ganz gut hingekriegt. Sie, die früher nie an ihre Fähigkeiten glaubte: eine gesunde Firma mit einer erfolgreichen Marke. Und dieses herrliche Verhältnis zu ihrem Sohn, auf den sie sehr stolz sei. Ihr Nachfolger. Ach, sagt sie, es liegt viel Gold in dieser Wolke meiner Krankheit damals vor mehr als dreißig Jahren. Sie habe dadurch den perfekten Vater ihres Kindes gefunden und ihren Beruf.

So ist sie. Diese Iris von Arnim.

Impulsiv und voller Gedankensprünge. Hin- und mitreißend. Gnadenlos mit sich selbst. Fordernd bei anderen. Mit einer Stimme wie Cashmere-Tweed, eine ihrer Erfindungen. Ein bisschen rau und sehr behaglich. Wir müssen jetzt mal was zu essen bestellen, sagt sie. Dabei rede es sich einfach leichter. Und ein Glas Wein. Der Maître weiß, welchen ich liebe, ruft sie dem Kellner zu. Ja, den Regaleali, schön kalt. Und Loup de Mer, mit Fenchel und filetiert.

Was also soll ich erzählen? sagt sie. Aus einem Leben voller Katastrophen, aus denen immer Gutes erwachsen sei? Einem Nomadenleben. Den Anfang vielleicht. Februar 1945 in Schlesien im Riesengebirge. Die Russen stehen vor der Tür. Ihre Mutter macht sich mit der gerade zwei Woche alten Iris und dem älteren Bruder auf Richtung Westen. Zurück bleibt der 400 Jahre alte Familienbesitz. Kloster und Gutshof. Mit gekachelten Pferdeställen und Kreuzgängen. Zweimal sei sie wieder dort gewesen. Man romantisiere das wahrscheinlich, sagt sie. Dieses Heimatgefühl, gespeist nur aus Erzählungen. Die Familie kommt in Hannover unter. Die Mutter stirbt, als sie drei, der Vater, als Iris von Arnim sechzehn ist.

Angetrieben von einem ungeheuren Lebenshunger, Neugier, Mut und dem Gefühl, dass man da irgendwie durchkommen muss, beginnt sie ihr Wanderleben. Verschiedene Internate. Amerika. Eine Tante will sie adoptieren, Iris von Arnim will zurück nach Europa. Wird Reisebürokauffrau, Werbetexterin, "Bild"-Journalistin, Fotografin. Alles ein bisschen halbherzig. Paris, Frankfurt, Düsseldorf, München, ach, und dieser Urlaub auf den Seychellen mit einer Freundin und ihrer ersten Nikon. Die Verehrer vom Feinsten. Auswandern will sie, alles hinter sich lassen. Und kommt doch zurück.

Ein Autounfall macht dieser rastlosen Suche ein Ende. Knochenbrüche, monatelange Krankenhausaufenthalte, eingegipst fast bis zum Hals. Sterbenslangweilig und öde. Ein Freund wirft ihr eines Tages ein Kilo Wolle aufs Bett. Sie beginnt zu stricken. Geradeaus und schlicht rechts. Mehr schafft sie nie. Aber sie hat ein Gespür für Farben, für unkonventionelle Kombinationen, für die Architektur des Materials, wie sie es nennt. Mäntel, Blousons in Regenbogenfarben. Auf dem Flokati zu Hause strickt sie weiter. Hört Rolling Stones, raucht Joints. Die 68er, sagt sie. Ihre Mitbewohnerin eine Kommunistin und kämpferische Feministin. Ihr selbst sei jeder "Ismus" fremd.

1976 zieht sie nach Hamburg. Eine Boutique in der Brüderstraße, 150 Mark Miete. Blick zum Hinterhof, das Regalsystem aus lackierten Teppichrollen, Pullover handsigniert auf rotem Wäscheband vom Meter. Bescheiden, bescheiden, sagt sie. Iris von Arnims Angorapullover werden zum Hit, erscheinen auf Titelseiten von Modejournalen. Dreißig Heimarbeiter sind bald für sie im Einsatz. Die Boutique in Kampen auf Sylt. Ihr künstlerischer handgestrickter Stil ist in. Die Pullover sind teuer, chic und gefragt. Es war die richtige Idee zur richtigen Zeit, sagt sie. Und immer wieder gab es Leute, die ihr ein Stückchen weiter halfen. Dann die Cashmere-Idee. Italien. Die erste eigene Kollektion auf der Igedo. Cashmere in leuchtenden Farben. "Luxus konnte gar nicht luxuriös genug sein damals." Ist das überhaupt noch spannend, fragt sie plötzlich. Bleibt an diesem Sommer auf Sylt hängen. Dem allerersten. Der Wiederbegegnung mit einem Flirt aus Krankenhaustagen. Ein wundervoller Mann. Die große Liebe. Nichts zum Zusammenbleiben. Den gemeinsamen Sohn zieht sie alleine groß.

Partnerschaften überhaupt. Zweisamkeit. Darüber denke sie schon häufig nach. Ein Geben und Nehmen sei das sicherlich. Und vielleicht habe sie nicht genug gegeben, um das hinzukriegen oder es habe sich nicht ergeben.

Wir verlieren uns noch ein bisschen in Ängsten, Nöten und Zweifeln. Ihrem Sichausgebranntfühlen vor drei Jahren. Der Weltreise. Pakistan, Shanghai, Mexiko. Von Projekten, die sie in Mexiko und Kambodscha angeschoben hat. Handgeknüpfte Gürtel, deren Erlös an mexikanische Frauen ging. Die "schönsten handgewebten Vichykarosachen" aus Kambodscha, von ihr zum Bikini umfunktioniert und eine Saison lang der Renner im "Sansibar" auf Sylt. 15 000 Euro überweist sie an kambodschanische Weberinnen. Man muss das im Auge behalten, damit es klappt, sagt sie. Mit Verve angehen reiche nicht. Und irgendwann werde sie das wieder aufnehmen.

Und plötzlich sind wir bei der Hollywoodschauspielerin Katie Holmes. Wieso eigentlich? Ein Albtraum, sagt sie, jeder wolle so aussehen wie Katie. Dabei könne man seine Falten nun mal nicht wegdenken. Irgendwann runzele es doch. Und je nach Lichteinfall sei sie eben wirklich dreiundsechzig. Dazu stehe sie auch. Es gäbe da allerdings so ein paar winzige Eingriffe, die das Leben erleichtern, das Schminken ersparen, preiswert, schnell und sauber erledigt. Und die Sache mit der Brille, sagt sie. Es geht doch auch ohne. Schwören Sie mir, dass Sie Ihren Augenarzt fragen. Auch von diesen dunklen Tagen reden wir. Diesen Mülleimergefühlen, wie sie es nennt. Wo alles zu viel und zu schwer ist. Dann ziehe sie sich ein altes Kleid an. Bequem und aus Cashmere natürlich. Stopfe ein ganzes Ciabatta mit "dick Butter" in sich rein und versinke in sich selbst. Das müsse man mit sich alleine ausmachen, sagt sie. Es sei eigentlich alles ganz einfach: Fakten seien so wie sie sind, und Frieden schließen mit sich und dem, was machbar ist und was nicht, sei das ganze Geheimnis.

Bei einem Espresso lachen wir über ihre neu entdecke Leidenschaft für ein Porsche-Cabriolet, nachdem sie jahrzehntelang Volvo gefahren ist. Darüber, dass Designer Wolfgang Joop ein noch ausschließlicherer Redner ist als sie. Über die zu engen Hemden von Bundestrainer Jogi Löw - und wir sind uns einig, dass nichts so schön ist wie ein total zugeredeter Sommerlunch. Außer Cashmere natürlich.