Der Circus Carl Hagenbeck war einst weltberühmt. Tiger, Löwen und Pferde wurden auf dem Stellinger Gelände trainiert. Jetzt knüpft der Dinner-Zirkus mit seiner nostalgischen Show an diese Tradition an.

Etwas irritiert blinzelt Noah in das grelle Licht der Scheinwerfer und will direkt die Flucht antreten. Runter vom Wagen zieht es ihn, hinaus aus der großen Halle. "Ruhig, mein Süßer", flüstert Ina Gooßen dem Leguan zu und streichelt ihm über den stacheligen Rücken. Das mag Noah offensichtlich, denn für Minuten versinkt er wieder in die gewohnte Lethargie. Dafür sind die Nasenbären Evi und Bärli um so eifriger dabei, die leckeren Rosinen von ihrem Podest runterzufuttern. Die Auszubildende Nadine Grubert sorgt für reichlich Nachschub, schließlich sollen sich die Hagenbeck-Tiere an die Atmosphäre der alten Dressurhalle gewöhnen.

Nur noch zehn Tage, dann haben acht Zootiere ihren großen Auftritt, dann heißt es nach fast 40 Jahren in Hagenbeck wieder: "Manege frei." Vom 20. Oktober bis zum 1. Januar 2005 wird die alte Hagenbecksche Dressurhalle von Veranstalter Stefan Pagels zum Dinner-Zirkus umgestaltet. Tiger, Löwen und so berühmte Drahtseil-Artisten wie Konrad Thurano sollen in der roten Manege auftreten. Doch während die Raubkatzen hinter Gittern ihre Kunststücke vorführen, werden Evi, Bärli und Noah auf kleinen Wagen zwischen das dinierende Publikum gerollt.

Mit offensichtlicher Begeisterung beobachtet Peter Restorff das Training der Zootiere. "Das ist ja wie in alten Zeiten. In dieser schönen Halle habe ich meine Jugend, meine Anfänge bei Hagenbeck erlebt. Ich bin mit dem Zirkus auf Reisen gegangen, und im Winter haben wir hier die Tiger in der Manege trainiert", sagt der pensionierte Tierparkinspektor. Er zeigt auf eine der großen Flügeltüren: "Dahinter war der Raubtierkäfig, der mit einem Tunnel in die Halle verbunden war. Und nebenan waren die Pferde und die Reptilien. Die Halle war der Nabel des Tierparks." Der 65jährige schwärmt von den damals spektakulären Pferdedressuren und Seelöwen-Auftritten, während Papagei Stampi gerade krächzend von einer Stange zu anderen fliegt und mit einer Erdnuß dafür belohnt wird.

Hagenbeck und Zirkus - das ist vermutlich nur noch alteingesessenen Hamburgern ein Begriff. Dabei gehörte der "Circus Carl Hagenbeck" von Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg zu den bekanntesten Großzirkussen der Welt. Neben Tierhandel und Tierpark war der Zirkus lange Zeit das dritte Standbein der Familie.

Legendär war 1892 der Auftritt des Hagenbeckschen Löwen-Dreigespanns, das einen Wagen im Pariser Nouveau Cirque durch die Manege zog. Ein Jahr später sorgte Carl Hagenbeck mit einem Löwen-Viergespann und einer gemischten Raubtiergruppe auf der Weltausstellung in Chicago für eine Sensation. Denn die Raubkatzen waren nach der von ihm erfundenen "zahmen Dressur" trainiert worden.

Diese Methode revolutionierte die Zirkuswelt, denn die Tiere wurden mit viel Geduld, Training und Belohnung von den Dompteuren dazu gebracht, Kunststücke vorzuführen, statt sie, wie in anderen Zirkussen üblich, mit Pistolenschüssen und Knüppeln durch die Manege zu treiben.

Während sie im Sommer mit dem Zirkus durch die Länder tourten, übten die Tierlehrer im Winter in der Hagenbeckschen Dressurhalle neue Nummern ein. Der hübsche Fachwerkbau entstand schon vor dem 1907 eingeweihten Tierpark in Stellingen und ist heute die älteste Zirkushalle Westeuropas.

Der Tierpark diente als Winterquartier und Zuchtstation für den Zirkus-Nachwuchs, der reichlich gebraucht wurde. Denn in den 30ern schickte der damalige Zirkusdirektor Lorenz Hagenbeck - Carls Sohn - bis zu drei Zirkusse gleichzeitig durch die Welt - bis zum Bomberangriff am 25. Juni 1943, der nicht nur den Stellinger Tierpark mit 450 Tieren, sondern auch den Zirkusfundus fast vollständig vernichtete.

"Wir hatten in den 50ern noch einige Auftritte mit dem Zirkus in der Schweiz und in Belgien, doch der Haß auf die Deutschen war so groß, daß wir vor leeren Bänken auftraten", erinnert sich Peter Restorff, der damals Assistent des Tiger-Dompteurs Rudolf Matthies war. Das Jahr 1953 war das Ende des großen "Circus Carl Hagenbeck" und gleichzeitig der Beginn kleiner, bescheidenerer Vorführungen für die Tierparkbesucher.

"Bis Anfang der 70er Jahre lief ein Ausrufer mit einem geschmückten Pony durch den Zoo und hat vor allem kleine Besucher in die Dressurhalle gelockt", sagt Restorff. Tiger und Löwen gab es in dieser Manege nicht mehr zu bestaunen, dafür ritten kleine Affen auf Schweinen, balancierten Seelöwen Bälle und rollte ein Bär eine Tonne.

"Mein Vater und Großvater trainierten vom Wellensittich bis zum Elefanten alles, natürlich nur mit der zahmen Dressur. Wir hatten bis zu drei Vorführungen am Tag", erzählt Elefantenpfleger Thorsten Köhrmann, der bereits in vierter Generation bei Hagenbeck arbeitet. Er hat ein Album mitgebracht und zeigt stolz das Bild von ihm als Knirps. Darauf hebt ein Elefant bedrohlich den Fuß über ihm. Bis 1971 das neue Delphinarium der Halle die Show raubte, machte Thorsten Köhrmann häufig bei den Vorführungen seines Vaters mit.

Thorsten Köhrmann (44) ist mit dem heutigen Dinner-Zirkusdirektor Stefan Pagels eng befreundet. Gemeinsam sind sie früher durch den Tierpark gestromert.

Während Stefan Pagels allerdings auf Wunsch seiner Eltern Jura studierte, lernte Thorsten Köhrmann die Tierpflege von der Pike auf und absolvierte sogar Lehrjahre in einer englischen Dressurschule. "Damals gehörte das Tiertraining noch zur Ausbildung, heute sind die Tierpfleger ja leider hauptsächlich mit dem Füttern der Tiere und dem Säubern der Ställe beschäftigt", sagt Köhrmann.

Stefan Pagels greift nun die alte Tradition des Tiertrainings wieder auf. Vier Auszubildende sollen bei den insgesamt 70 Vorstellungen des Dinner-Zirkus acht Tiere des Zoos vorführen. Allerdings sollen weder der Leguan noch die Nasenbären Kunststücke zeigen. "Wir wollen den Besuchern die Tiere in ihrer natürlichen Schönheit nahebringen. Wenn Evi und Bärli auf ihrem Podest sitzen bleiben, ist das schon toll genug und nur durch intensives Training zu erreichen", sagt Stefan Pagels.

Die Azubis sollen die Anfänge einer Tierdressur vorführen, während die Profis nach ihnen in der vergitterten Manege zeigen, wie sie Tiger und Löwen dazu bringen, durch einen 60 Zentimeter kleinen Reifen zu springen. Dafür hat Pagels die Dompteure Alex Lacey und Rene Farrell engagiert, die zu den besten Raubtierlehrern Europas gehören.

Zu den Hauptgängen des Artistenmenüs treten dann Hochseilakrobaten, Musiker und Comedians auf. "Wir verbinden hier die Nostalgie der alten, wunderschönen Hagenbeck-Halle mit den heutigen Megastars der Manege", sagt Pagels. Für ihn ist die Renaissance des Hagenbeck- Zirkus ein Experiment, dessen finanzielles Risiko er allein trägt, und gleichzeitig die Erfüllung eines langen Traumes: "Seit ich acht Jahre alt bin, wollte ich Zirkusdirektor werden."

  • Karten-Telefon: 0180/59 60 611. Informationen im Internet: www.dinner-zirkus.de