Vor fast zweieinhalb Jahrtausenden eroberte Alexander der Große ein unfaßbar riesiges Weltreich. Jetzt bringt Oliver Stone das kurze Leben des Makedoniers ins Kino - und zeigt einen starken, aber auch sentimentalen Herrscher, bei dem schon mal Tränen fließen dürfen.

Der Mann war seiner Zeit weit voraus, und das vor mehr als 2300 Jahren. Mit seinen Qualifikationen - Führungsstärke, Jugend, Auslandserfahrungen - wäre er auch heute noch für so manches Top-Management interessant. Nur daß er auf Kontrahenten gern mit der Lanze losritt, würde vielleicht doch nicht mehr so gut in die Gegenwart passen.

Aber Alexander der Große (356-323 v. Chr.) war zeitlebens nie auf Stellensuche, er wurde früh König und bekam später auch ohne Ausschreibung den Titel eines Pharao dazu. Alexander der Große ist ein Mythos. Einer der bedeutendsten Herrscher der Antike und der erste Europäer, der ein Weltreich eroberte, das von Griechenland bis Indien reichte. Er war ein früher Geopolitiker, dessen unglaublicher Feldzug Richtung Osten gut dokumentiert ist, dessen Charakter und Motivation aber auch Jahrhunderte nach seinem frühen Tod mit nur 33 Jahren rätselhaft bleiben. Jetzt bringt der US-Regisseur Oliver Stone sein Leben in einem Monumentalfilm ins Kino. Am 23. Dezember startet er auch bei uns.

Um gleich mit einem Vorurteil aufzuräumen: Groß war Alexander III. von Makedonien nicht. Er soll einigen seiner besten Soldaten nur bis zur Schulter gereicht haben und erreichte wohl um 1,50 Meter lichte Höhe. Als erster Imperator Europas diente er vielen Herrschern, die nach ihm kamen, als Vorbild. Alexander, Sohn des makedonischen Königs Philipp und dessen Frau Olympia, wurde als Teenager drei Jahre lang von einem der klügsten Männer der Antike unterrichtet, von Aristoteles. Er war erst 21 Jahre alt, als er mit seinem Heer von fast 40 000 Mann zu einem Feldzug nach Osten aufbrach, auf dem sie 35 000 Kilometer zurücklegen sollten. Er schlug zahlenmäßig übermächtige Armeen, gründete Städte, die seinen Namen trugen, zog immer weiter, gelangte über die Grenzen der damals bekannten antiken Welt hinaus - und wurde schließlich von seinen Soldaten zur Umkehr gezwungen: Sie wollten nach Jahren endlich nach Hause.

Aber dort kam Alexander nie wieder an. Als er 323 v. Chr. unbesiegt in Babylon starb, umfaßte sein Reich die heutigen Staaten Griechenland, Albanien, Türkei, Bulgarien, Ägypten, Libyen, Israel, Jordanien, Syrien, Libanon, Zypern, Irak, Iran, Afghanistan, Usbekistan, Pakistan und Indien.

Kein Wunder, daß so ein Mann für Filmemacher interessant ist, erfüllt er doch locker das Kinokriterium, daß eine Geschichte die normalen Dimensionen sprengen und "bigger than life" sein soll. Robert Rossen verfilmte Alexander den Großen bereits 1956 mit Richard Burton in der Hauptrolle. Oliver Stone, der sich in seinen Filmen oft auf charismatische Charaktere stürzt ("JFK", "Nixon", "The Doors", Dokumentationen über Arafat und Fidel Castro), hatte schon lange ein Auge auf Alexander geworfen. Zusammen mit dem deutschen Produzenten Thomas Schühli ("Der Totmacher", "Im Namen der Rose") versuchte er, dafür das Geld aufzutreiben, zunächst vergeblich. "Wir haben seit 1989 darüber geredet", erklärt Stone dem Abendblatt. "Das schwierigste war ein gutes Drehbuch." Aber es fehlten auch Partner zur Finanzierung. Die Unterstützung kam dann unerwartet: "Gladiator" mit Russell Crowe war im Jahr 2000 ein so großer Erfolg an den Kinokassen, daß er eine Renaissance des Sandalenfilms einleitete.

Der deutsche Produzent Moritz Bormann sorgte in der Folgezeit mit dafür, daß ein Budget von 160 Millionen Dollar zusammenkam und "Alexander" als deutsch-britisch-französisch-amerikanische Koproduktion gedreht werden konnte. Dem 58jährigen Stone hatte schon die Zeit im Nacken gesessen: "Ich werde immer älter. Viele Filme sind schon an mir vorbeigegangen. Jetzt mußte es mal gemacht werden." Dann gelang es ihm auch noch, die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen - Martin Scorsese plante einen Alexander-Film, Baz Luhrmann ("Rome und Julia") hatte mit Leonardo DiCaprio sogar schon einen zugkräftigen Hauptdarsteller.

Endlich konnte Stone loslegen.

Der als chaotischer Perfektionist bekannte Amerikaner informierte sich genau über den Stoff, mußte jedoch erkennen: "Ich liebe die Geschichte. Aber ich bin Dramaturg, kein Historiker." Also holte er sich einen mit ins Boot: Robin Lane Fox, Autor einer populären Alexander-Biographie und Professor in Oxford, beriet Stone bei seinem Film und bekam als Dank eine kleine Rolle in der Reiterarmee.

Die Innenaufnahmen, zum Beispiel die beeindruckenden Szenen in Babylon, entstanden in Studios in England. Für die Außenaufnahmen "lieh" sich Stone zahlreiche seiner rund 1400 Komparsen von der marokkanischen Armee und ließ sie in der Wüste des nordafrikanischen Staates, wo sie mal das makedonische, mal das persische Heer darstellten, gegeneinander antreten. Er zog dann mit seiner Crew - ähnlich wie Alexander - nach Osten, um in einem botanischen Garten in der Nähe von Bangkok indische Elefanten gegen Alexanders Armee antreten zu lassen. Stone über seine großen grauen Nebendarsteller: "Wir hatten 25 von ihnen, 15 davon waren gut trainiert. Und immer, wenn ich ,Action!' gesagt habe, hätte ich schwören können, daß sie mich beobachteten. Sie wollten in den Kampf gehen, sie wollten angeben."

Dafür hatten ihre menschlichen Darstellerkollegen sicherlich vollstes Verständnis. Stone brachte ein Ensemble zugkräftiger Schauspieler zusammen. Angelina Jolie und Val Kilmer spielen Alexanders Eltern, Anthony Hopkins ist Ptolemaios, der sich als alter Mann an die Erlebnisse mit seinem König Alexander erinnert. Aber der Film steht und fällt natürlich mit seinem Hauptdarsteller. Ursprünglich hatte Stone Val Kilmer und Tom Cruise haben wollen, schließlich griff er auf Colin Farrell zurück. Der Ire war unter anderem in Joel Schumachers Thriller "Nicht auflegen" zu sehen, zur Zeit in der Dreiecksgeschichte "Ein Zuhause am Ende der Welt"; demnächst verkörpert er den Captain Smith in der Pocahontas-Geschichte "The New World" von Terrence Malick.

Farrell, der für seine Rolle erblondete, zeigt sich als Alexander hart, manchmal auch sentimental und läßt oft die Tränen fließen. Stone dazu: "Es ist Quatsch, wenn Leute sagen: ,Er war König, er kannte keine Reue.' Er hatte wohl stärkere Gefühle, als die Historiker ihm zuschrieben." Aber der König flennt nicht nur, er kämpft auch wie besessen.

Farrell mußte in seiner Rolle als unbesiegbarer Herrscher allerdings auch einstecken. Seine Kollegin Rosario Dawson, im Film seine Frau Roxane, schlug ihm in einer Szene ein blaues Auge. Es gab selbstgemachten Ärger, denn im Suff brach sich Farrell ein Bein, wie er zugibt. Die US-Presse lästerte nach Kräften über ihn; eine Zeitung schrieb in Anspielung auf seine Strähnchen: "Der Film ist voller Highlights, aber sie sind alle in Farrells Haaren".

Für Aufwallung sorgte die Darstellung von Alexanders Liebesleben. Der Herrscher galt als homosexuell, und Stone zeigt denn auch das innige Verhältnis Alexanders zu seinem engsten Freund Hephaistion, den Jared Leto mit viel Lidschatten spielt. "Ich war sehr angetan vom Sinn für Freundschaft, Verbundenheit und Liebe zwischen den Männern", sagt Stone. "Ich glaube, das funktioniert." Er habe es nicht zwingend gefunden, "sie im Bett zu zeigen. Ich wäre davor nicht zurückgeschreckt, sah aber nicht die Notwendigkeit. Dafür fand ich es wichtig zu zeigen, daß Alexander auch hinter Frauen her war - das ist neu."

Aber nicht auf das Neue, sondern auf das alte Problem der Darstellung homosexueller Liebe stürzten sich viele Kritiker, das Thema ist auch im 21. Jahrhundert noch längst nicht von allen Tabus befreit. Eine Gruppe griechischer Rechtsanwälte nutzte die Film-PR in eigener Sache und drohte wegen der Darstellung des als Volksheld gefeierten Alexanders mit einer einstweiligen Verfügung. Sie erreichten, daß im Vorspann des Films in Griechenland eingeblendet wird, es handele sich um eine Fiktion und keine historische Dokumentation. Bigotterie war eben nicht nur eine Spezialität der Antike.

In den USA ist der Film von der Kritik überwiegend zerrissen worden. Es hagelte Spott über die Männer mit zu viel Eyeliner, man witzelte über Angelina Jolies pseudo-exotischen Akzent in der Originalfassung und beklagte, daß nicht klar werde, was Alexander wirklich antrieb. Der Film ist aufwendig und wunderbar ausgestattet, aber er hat tatsächlich Schwächen u. a. in den ins Schwülstige abdriftenden Dialogen.

Oliver Stone, der seiner Heimat USA und ihrer Filmkritik schon lange in einer Art Haßliebe verbunden ist, weil er gern an Idolen kratzt, hatte es kommen sehen. "Amerika ist im Moment so polarisiert", stöhnt er, "über mich ist man es dort schon seit 15 Jahren. Jetzt geht es wieder los. Ich bekomme zu hören: ,Er ist wieder da, er ist verrückt.' Das ist alles ein Durcheinander.'"

Stone ahnt wohl, daß ihm mit "Alexander" kein makelloses Meisterwerk gelungen ist. In einer Mischung aus Resignation, Trotz und Begeisterung sagt er: "Aber was für ein interessantes Durcheinander!"

  • "Alexander" startet am 23. 12. in den Kinos.

Zum Weiterlesen: Robin Lane Fox: Alexander der Große. Eroberer der Welt. Klett-Cotta, 826 Seiten; 29 Euro.

Zum Weitersehen auf DVD: National Geographic: Alexander der Große. ca. 18 Euro.