1629 Das Flaggschiff der niederländischen Ostindien-Flotte läuft auf ein Riff vor Australien. Für die Schiffbrüchigen beginnt auf einer winzigen Koralleninsel ein grausiges Kapitel der Seefahrt . . . Ein Brite rekonstruierte die unglaubliche Kriminalgeschichte.

Als die "Batavia" im Oktober 1628 in den Niederlanden zu ihrer Jungfernfahrt nach Batavia (heute Jakarta) aufbricht, lasten auf ihr ehrgeizige Erwartungen. Die Vereenigde Oost-indische Compagnie (VOC) hat ihr größtes Frachtschiff mit Silberwaren und Münzen im Wert eines Thronschatzes - umgerechnet etwa 30 Millionen Euro - und mit 30 Kanonen beladen. Die Tour soll der VOC, der damals größten Handelsfirma der Welt, entscheidenden Einflussgewinn in Indien und auf Java bringen. Aber sieben Monate ist die "Batavia" mangels verlässlicher Seekarten weit vom Kurs abgekommen. Am frühen Morgen des 4. Juni 1629 kracht sie auf ein Korallenriff des noch unbekannten Archipels "Houtman Abrolhos" vor der Westküste Australiens und schlägt leck. Während der führende Kaufmann Francisco Pelsaert mit dem Kapitän und 43 Passagieren im Beiboot aufbricht, um Java zu suchen und dort Hilfe zu holen, beginnt für die Zurückbleibenden eines der erschütterndsten Verbrechen der Seefahrt: 115 Schiffbrüchige werden von einer Gruppe von Meuterern nach und nach ermordet. Anstifter ist Jeronimus Cornelisz, Unterkaufmann der Ostindien-Kompanie und verkrachter Apotheker aus Harlem. Erst im November 1629 kehrt Pelsaert aus Java zurück, die Meuterer werden überwältigt und 13 von ihnen noch an Ort und Stelle gehängt. Das Massaker auf den Abrolhos lieferte schon im 17. Jahrhundert Stoff für Moritaten. In seinem neuen Buch "Der Untergang der Batavia" gibt Mike Dash, Geschichtsdozent in Cambridge, mehr als nur einen packenden Rückblick. Schon seit seinem Bestseller "Tulpenwahn" gilt Dash als Spezialist für Sonderfälle der Geschichte. Jetzt rekonstruiert er nach jahrelangen Recherchen Hintergründe und erstmals einzelne Schicksale der "Batavia"-Fahrer. Sie lebten in einer Zeit, in der um Handelsprofite ebenso knallhart gekämpft wurde wie um "Rechtgläubigkeit" und Ketzerei. Unter den 332 Menschen an Bord sind entwurzelte Soldaten des 30-jährigen Krieges, Flüchtlinge, schlecht bezahlte VOC-Kaufleute und verarmte Kleinbürger; nur 22 Frauen und 16 Kinder. Ihre Zukunft ist ungewiss. Kaum ein Europäer hält den Infektionen und dem Klima im fernen Ostindien länger als vier Jahre stand. Schon während der Passage sterben zehn Reisende. Viele arme Schlucker und eine kostbare Fracht auf demselben Schiff - das wird zum idealen Nährboden einer Meuterei. Der Kapitän, Ariaen Jacobsz, und Jeronimus Cornelisz wollen die "Batavia" in Indien selbst zu Geld machen; sie gewinnen Mitverschwörer. Nach dem Schiffbruch ändert Cornelisz den Plan: Viele Geldkisten lassen sich retten, die "Batavia" nicht. Also will er das zu erwartende Rettungsschiff kapern. Bis dahin aber wird das Trinkwasser für alle der rund 230 Schiffbrüchigen auf dem unwirtlichen Eiland nie reichen; nur Waffen gibt es im Überfluss. So beginnt die Bande, die "überflüssigen Mäuler" systematisch zu dezimieren. Männer, Frauen, Kinder werden erschlagen, erstochen, ertränkt. Ein Prediger verliert Frau und sieben von acht Kindern. Frauen werden "Gemeinschaftseigentum"; die hübsche Creesje Jansz, unterwegs zu ihrem Mann nach Java, beansprucht Cornelisz für sich. Kabinen-Pagen werden gejagt wie die Seelöwen und Pinguine, die auf der Insel als Nahrung herhalten müssen . . . In seinen Tagebüchern fragt der Kaufmann Pelsaert später fassungslos nach dem Warum. War Cornelisz einem religiösen Wahn verfallen? In den calvinistischen Niederlanden wird er später als ketzerischer Wiedertäufer dargestellt, der sein Handeln als gottbefohlen rechtfertigte. Aus heutiger Sicht erinnert der Fall an Charles Manson: eine Gewaltspirale, vorangetrieben von einem gefühllosen Psychopathen. Nur ein Drittel der Reisenden hat die Jungfernfahrt überlebt. Pelsaert selbst starb wenige Monate später am Fieber, der arme Prediger an der Ruhr. Creesje Jansz erfuhr auf Java, dass ihr Mann tot war; Amsterdamer Gemeindearchiven zufolge heiratete sie noch zwei Mal und wurde 80 Jahre alt. Kapitän Jacobsz starb 1631 im Kerker der Festung Batavia. Zwar waren die Mordgeständnisse der Meuterer zum Teil unter der Folter erzwungen worden. Aber in den 1960er-Jahren wurden auf den Abrolhos Skelette gefunden und gerichtspathologisch untersucht; die Gewaltspuren an Schädeln und Knochen der Skelette haben die Aussagen bestätigt.

  • Mike Dash: Der Untergang der Batavia, Goldmann, 445 S., ab 23,90