Fantasy: Mit rund 11 300 Seiten gehört das Werk “Rad der Zeit“ zu den umfänglichsten literarischen Stücken der Welt. Ein Abendblatt-Autor hat sich daran gewagt und es gelesen - in sechs Monaten.

Viele deutsche Feuilletons ignorieren gern Millionen von Buchlesern, indem sie ein Genre so gut wie überhaupt nicht berücksichtigen: "Fantasy". Den Beweis tritt das geniale Werk "Das Rad der Zeit" an. Schöpfer ist der amerikanische Autor Robert Jordan (53). Die Pressestelle des Münchner Heyne Verlages, der Jordans Geschichten seit 1993 für Deutschland verlegt, wusste nicht eine nennenswerte Besprechung anzugeben. Dabei verkaufte sich der mittlerweile 27 Bände umfassende Abenteuer-Zyklus um den jungen Helden Rand al Thor und seine Gegen- und Mitspieler allein hierzulande rund eine Million Mal (das letzte Buch erschien im Juni). Die deutsche Übersetzung (Andreas Decker) ist nun schon rund 11 300 Seiten stark. Dabei ist der in der Szene vergötterte Autor Robert Jordan noch nicht am Ende angelangt (Band 28 erscheint im September). Weltweit gibt es ungezählte Fan-Homepages (darunter www.RadDerZeit.de oder www. wheeloftime.com ). Schon Monate vor der Publikation eines Bandes versteigen sich Millionen Menschen in Fantasien: Wen lässt Jordan diesmal umkommen, welche dramaturgischen Wege beschreitet er? Das "Rad der Zeit" wird bisher in 22 Ländern verlegt und verkaufte sich um die 20 Millionen Mal, und das ohne teures Marketing. Man greift sicher nicht zu hoch, wenn man wagt, das "Rad der Zeit" als eine der bedeutendsten, auf jeden Fall als eine der umfangreichsten und erfolgreichsten literarischen Bauten in der Geschichte der Menschheit zu bezeichnen. Wo andere Bücher bereits nach wenigen Seiten bleiern die Langeweile umspielt, fesselt Jordan auch nach 11 000 Seiten immer wieder aufs neue. Auch Nicht-Leseratten fallen ihm wehrlos zum Opfer. Vielleicht kann nur noch der "Herr der Ringe" eine ähnlich verschworene Millionen-Fan-Gemeinde um sich scharen. Das "Rad der Zeit" spielt, wie so oft im Fantasy-Genre, in einer mittelalterlichen Welt, die von Magie, Absolutismus, Gut versus Böse und übernatürlichen Kräften gespickt ist: "Das Rad der Zeit dreht sich, Zeitalter kommen und vergehen und lassen Erinnerungen zurück, die zu Legenden werden. Legenden verblassen zu Mythen und sogar der Mythos ist lange vergessen, wenn das Zeitalter ihres Ursprungs wiederkehrt." Mit diesen schwülstig-barocken Worten beginnt jede Chronik aus Jordans Geschichte, die dann aber völlig anders geschrieben ist. Am Anfang steht die Prophezeiung des wiedergeborenen Drachens, der die Welt vor dem Schatten, dem Dunklen König, letztlich der Herrschaft des Teufels schützen soll. Doch auch der Drache, jener Rand al Thor, ist vom Makel behaftet: "Und der Schatten fiel über das Land, und die Welt wurde Stein um Stein zerrissen. Die Meere flohen, und die Berge wurden verschluckt, und die Staaten wurden in die acht Ecken der Welt verstreut. Der Mond war wie Blut, und die Sonne war wie Asche. Die Meere kochten, und die Lebenden beneideten die Toten. Alles war zerschlagen und bis auf die Erinnerung verloren, und eine Erinnerung stand über allem: an ihn, der den Schatten gebracht und die Zerstörung der Welt verursacht hatte. Und ihn nannten sie Drachen." Der Drache also, Quell von Zerstörung und Heil. Denn nur er, vor 3000 Jahren im Kampf gestorben und nun in al Thor zu neuem Leben erweckt, vermag den Dunklen König gefangen zu halten. Bricht er aus, ist die Welt verloren. Ein Motiv, das an den "Herrn der Ringe" erinnert. Jordan bedient sich fast bibli-scher Bilder, uralter Menschheitsängste vom Untergang der Welt und Sehnsüchten nach Erlösung und Sicherheit. Seine weit verzweigte, geschickt gestrickte Story ist voll von Ironie, Spannung und Leidenschaft. Sprachlich reicht sie allerdings nicht an das Niveau von "Herr der Ringe" heran. Dramaturgisch ist sie jedoch Tolkiens Trilogie mehr als ebenbürtig, wegen des Umfangs sogar um ein Vielfaches überragend. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sich ein Regisseur an diesen Stoff wagt. Die differenzierte soziologische Struktur der Charaktere und Volksgruppen bietet sich geradezu an. Da gibt es zum Beispiel die Aes Sedai: Frauen, die Zugriff auf übernatürliche Kräfte haben und damit sowohl heilen als auch zerstören können. Ihre Heimat ist die 3000 Jahre alte "Weiße Burg", eine Art Kloster. Oder das Wüstenvolk der Aiel, tödliche, hoch disziplinierte Krieger, die aber niemals ein Schwert in die Hand nehmen. Wer die komplexe Welt vom "Rad der Zeit" durchdringen will, muss sich durch ein 160 Worte starkes Glossar stöbern. Der deutsche Fanclub stellt auf der Internetseite www. RadDerZeit.de das Werk in allen Einzelheiten vor. Dabei hadert der Club mit Heyne. Denn trotz Anfrage habe der Verlag kein Interesse an einer Zusammenarbeit gezeigt. Bleibt die Frage, was Millionen vor allem junge Leser eigentlich verbindet. Vielleicht die Verlorenheit. Denn verloren sind letztlich alle Charaktere im Zeitalter des Rades. Und alle suchen nach Halt, wo es doch kein Innehalten gibt.

  • Robert Jordan: Rad der Zeit, deutsch von Uwe Luserke, Karin König und Andreas Decker. Heyne Verlag, 27 Bände mit insgesamt 11 300 Seiten; 7,95 bis 8,95 Euro je Band.