Die einen machen im Morgengrauen Qigong oder trainieren sich nach Feierabend marathonreif. Andere rennen in Wikingerverkleidung am Wochenende durch den Wald oder bauen den Kölner Dom aus handverlesenen Streichhölzern nach.

Alles nur für eine kleine Portion vom ganz eigenen Glücksgefühl, suchend nach dem Moment, der ein Leben zum Besseren verändern kann. Jetzt, kurz vor der Frankfurter Buchmesse, werden die Kulturredaktionen mal wieder mit Verlagskatalogen überschüttet, die dem Leser dieses Glücks-Erlebnis in rauen Mengen versprechen. Als ob das so einfach wäre. Sonst könnte das ja jeder, und unsereins hätte viel weniger Arbeit mit den missglückten Versuchen, solche Bücher zu schreiben.

Doch neulich in der S-Bahn war ich dabei, als ein junger Mann überglücklich ein Buch aus der Zellophanhülle schälte, das mit seinen 1552 Seiten gut siebenmal so viel Seiten hat wie die Reclam-Ausgabe des zweiten Teils von Goethes "Faust" (215 Seiten) und ein Vielfaches davon wiegt: David Foster Wallaces "Unendlicher Spaß". Ein Text-Achttausender mit Hunderten von Fußnoten, in dem es um das Leben an sich geht, um Süchte und Verluste, um Konsumwahn und Einsamkeit. Mit anderen Worten: Genau das Richtige, um Kulturredakteure wie mich glücklich zu machen, weil es sie daran erinnert, warum sie tun, was sie tun. Weil es bereichert und den Horizont erweitert, sich beim Umgang mit Kultur auch mal so sehr anzustrengen. Kann ich nur empfehlen.

Wallace hat ein Meisterwerk abgeliefert, von dem sein Übersetzer nach sechs Jahren brutaler, liebevoller Kleinarbeit meinte, es werde wohl eines der wichtigsten Bücher in der Bibliothek der ungelesenen Werke sein. Das war ironisch gemeint, und trotzdem steckt womöglich Wahrheit drin: In den ersten drei Wochen nach seinem Erscheinen wurden mehr als 45 000 Stück davon verkauft.

Wie viele Exemplare tatsächlich bis zur letzten Seite gelesen werden? Gute Frage. Aber einer, der es ganz offensichtlich wirklich schaffen wollte, saß mir nun in der S-Bahn gegenüber. Um die 20, ein Brillengestell, das man nicht übersehen sollte. Ein Typ, von dem man ansonsten kaum glauben würde, dass er überhaupt noch Gedrucktes liest. Er blätterte ehrfürchtig in den ersten Seiten, besichtigte das gute Stück, als wäre es eine Trophäe, und holte dann das Handy raus. "Ich hab's! 1500 Seiten! Boah! Ganz kleine Schrift, auf ganz dünnem Butterbrotpapier!"

Jetzt hätte ich ihm viel Glück wünschen können, ich hätte ihm sagen können, dass er an den ersten extraschweren Seiten nicht verzweifeln sollte, weil es danach viel einfacher würde. Manchmal jedenfalls.

Ich hatte diesen fast unendlichen Spaß mit dieser riesigen Nervensäge von Buch schon hinter mir, war neidisch auf das Gefühl der ersten Seite, auf den Moment, in dem sich ein Universum aus Buchstaben öffnet und zum Rundflug einlädt. Und hielt lieber meinen Mund. Denn ich wollte das Buch und seinen Leser beim ersten Date nicht stören. Die beiden sollten sich jetzt erst mal in aller Ruhe kennenlernen. Auf ihn warteten noch Sätze wie dieser: "Das Schicksal hat keinen Pager; das Schicksal schiebt sich immer im Trenchcoat aus einer Gasse und macht pssst, was man gemeinhin gar nicht hört." Wer solche Sätze schreiben kann, hat Glück. Wer sie in einem Buch findet, bekommt etwas davon geschenkt. Mir jedenfalls reichte die kleine Portion Glück, dass jemand von der gleichen Lektüre so fasziniert war wie ich. Mehr will man manchmal ja gar nicht.