Die Abflughalle ist kein Paradies auf Erden, sondern eher ein unbehaglicher Raum der Unterwelt, ganz selten auch mal: eine göttliche Komödie.

Es gibt einen Ort, der die Reisenden beherbergt. Sie sind dort nicht, weil sie bleiben wollen, sie bestimmen nicht, wie lange sie warten müssen. Obwohl es ihnen hier an nichts fehlt, ist die Abflughalle ein unwirtlicher Ort. Hier sind sie, die Gesichter des Transits. Geschlagene, Gestresste, Genervte, Geduldige. Gefallene, Gelangweilte, Gesammelte, Gefangene. Gereiste! Die Abflughalle ist kein Paradies auf Erden, sondern eher ein unbehaglicher Raum der Unterwelt, ganz selten auch mal: eine göttliche Komödie. Es ist ein Auf und Ab und manchmal auch ein Zusammenprall der Ungleichen. Ein Crash der Erledigten und Ausharrenden, die das tun, was man in einem Wartebereich eben so tut: warten - und der zum Gate Eilenden, der Hastigen, der jetzt plötzlich Hellwachen. Da ist die sehr gut organisierte Dame mit dem kleinen Koffer, den sie hinter sich her-, den sie über den Fuß des aus der Sitzecke taumelnden jungen Mannes zieht. Ein Asiate, mit ganz kleinen, müden Augen, die er kaum aufbekommt.

Er hat sicherlich schon Abertausende Flugkilometer abgerissen. Der Koffer der Dame holpert jetzt, er springt und hüpft lustig über den kalten Kunststofffußboden. Dann kippt er um. Ganz langsam. Und dann hebt ein Zetern an, ein spanisches. In den romanischen Sprachen klingt Schimpfen ganz besonders leidenschaftlich und vernichtend. Der Asiate sackt in sich zusammen; egal, wo er eben hin wollte, er zieht sich lieber auf seine Sitzgelegenheit zurück, die Alte hastet fluchend und schnaubend weiter. So ist das am Flughafen: Man lungert viel herum und muss dann plötzlich doch los. Wenn Fernweh eines der schönsten Gefühle ist, die es gibt, dann ist das Warten am Airport der quälendste Betablocker, der vor Sehnsucht springende Herzen bremst. Die, die auf dem Heimweg sind, von der Geschäftsreise oder dem Urlaubstrip, wollen gerne eine Zeitreise machen; nur schnell nach Hause, am besten mit einem Fingerschnipsen. Aber auf dieses reagieren Flugzeuge leider nicht. Und deswegen hängen erschöpfte Großfamilien und einsame Globetrotter stundenlang müde in den Sitzecken und Flughafenlounges. Wie mechanisch wendet sich der Blick hin und wieder zum smarten Tyrannen, der in kleiner und großer Ausführung von Decken und an Wänden hängt: der Abflugtafel. Für manch einen ist Fliegen, der alte Menschheitstraum, ja etwas Himmlisches. Transzendentale Eigenschaften sollte man dem blinkenden und leuchtenden Ding nicht zuschreiben, seine Logik, Präzision und Unentrinnbarkeit ist ganz irdisch. Wie erschöpfend, dem Nach-oben-Rücken der Destinations zuzuschauen und dabei zu merken, wie die Zeit verrinnt, wenn die Slots nur Wimpernschläge betragen im Kontinuum der Geschichte. Fünf Minuten liegen zwischen New York, Rio, Moskau, Berlin, Paris, Sydney.

Der Flughafen ist immer noch der Knotenpunkt der Moderne und aus kulturpessimistischer Sicht: die maximale Entfremdung. Im Zeitalter der unbegrenzten Mobilität und Kommunikation ist die Suche nach der Wireless-Verbindung in der Flughafenhalle das Nächstliegende, was die tun, die auf allen Kanälen senden. Sie sitzen grinsend, schimpfend (es ist wirklich interessant, wie viele Miesepeter hier herumlaufen) und lethargisch vor ihren Rechnern, kleben an Handys, auch, weil sie nicht wissen, wie kontemplativ das Lesen eines Buches sein kann. Andere überbrücken die Zeit in der Duty-Free-Hölle, in der die Produktpalette des Kapitalismus nur vorgeblich billiger ist als in den Konsumtempeln draußen in der normalen Welt. Wie freudlos die Gestalten doch alle sind: Der Slacker, der lustlos Carlsberg-Dosen in seine Tüte lädt und zu seinen Kumpel trottet. Die enervierte Mutter, die so aussieht, als wollte sie ihren beiden Söhnen lieber eine scheuern, als sich weiter gequält deren Gequengel anzuhören. Das traurige Pärchen, braun gebrannt, das Meersalz klebt an den Schlaufen ihrer Sandalen. Und niemand kann hier weg, aus diesem Wirrwarr aus Geschäften, Lounges, tiefen Sitzgelegenheiten, diesem Irrgarten, den man nicht betreten sollte, wenn man Sozialphobiker ist. Alles ist möglich und nichts: Reisen ans Ende der Welt, und doch muss man erst mal bleiben in dieser vollendeten Szenerie aus Melancholie, Anonymität und Tristesse. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.

Der Asiate hat sich von seinem Schreck erholt, er schläft jetzt. Er hat sich mit seinem Kopf in den Sitz und seine Jacke gewühlt, nur sein schmaler Rücken ist zu sehen. Die können ihn alle mal.