1922 gelang dem Briten Howard Carter der größte Coup in der Geschichte der Archäologie. Eine Ausstellung rekonstruiert die Situation der Entdeckung.

Luxor, Tal der Könige, 26. November 1922: Eine kleine Gruppe Europäer hat sich in einer Ausgrabungsstätte versammelt. An den vorangegangenen Tagen haben ägyptische Grabungshelfer den Gang zu einem noch ungeöffneten Grab freigelegt. Nun steht man direkt vor dem Zugang zur Grabkammer, schwitzt bei 38 Grad Tageshitze und wartet auf den entscheidenden Moment. Ein drahtiger, hochgewachsener Mann mit buschigem Schnauzbart und dunklem Haar tritt an die Tür und bricht in die linke obere Ecke eine Öffnung. Howard Carter heißt dieser 48 Jahre alte energische Engländer, dem jeder hier mit Respekt begegnet. Neben ihm steht George Edward Stanhope Molyneux Herbert, 5th Earl of Carnarvon, besser bekannt als Lord Carnarvon, und dessen 21-jährige Tochter Lady Evelyn. Einen Moment hält Carter inne, schaut Lord Carnarvon still in die Augen, denn er weiß, dass die nächsten Augenblicke darüber entscheiden werden, ob ihr gemeinsames Projekt, ihr gemeinsames Abenteuer endgültig scheitern oder glanzvoll gelingen wird. Als sich Carter schließlich eine Kerze reichen lässt, spürt er, dass ihm die Hände zittern. Er vergrößert das Loch so weit, dass er den Leuchter hindurchführen kann. Dann beugt er sich vor, blickt hinein und schweigt. Was nun geschieht, hat er später wie folgt beschrieben:

"Zuerst konnte ich nichts sehen, die aus der Kammer entweichende heiße Luft brachte das Licht der Kerze zum Flackern. Als meine Augen sich aber an das Licht gewöhnten, tauchten bald Einzelheiten im Inneren der Kammer auf, seltsame Tiere, Statuen aus Gold - überall glänzendes, schimmerndes Gold! Für den Augenblick - den anderen, die neben mir standen, muss es wie eine Ewigkeit erschienen sein - war ich vor Verwunderung stumm. Als Lord Carnarvon die Ungewissheit nicht länger ertragen konnte und ängstlich fragte: 'Können Sie etwas sehen?', war alles, was ich herausbringen konnte: 'Ja, wunderbare Dinge!'"

Die wunderbaren Dinge, die Carter und gleich darauf auch seine Begleiter sehen, sind die unermesslichen Schätze des Pharaos Tutanchamun, der 1333 bis 1323 v. Chr. regierte und im Alter von 18 Jahren auf bis heute ungeklärte Weise starb. Es sind Standbilder, Möbel, Waffen, Geschirr, Gefäße, Tierfiguren - zum Teil gefertigt aus dem "Fleisch der Götter", wie Gold im Alten Ägypten genannt wurde. Eine Pracht, ein Reichtum, so fantastisch und kunstvoll, aber auch so gegenwärtig und greifbar, dass es den Entdeckern die Sprache verschlägt. Sie wissen, dass seit mehr als 3000 Jahren kein Mensch diese Kostbarkeiten gesehen hat, dass nie zuvor ein solcher Schatz entdeckt wurde. Howard Carter hat sein Lebensziel erreicht, ein Platz in der Kulturgeschichte ist ihm sicher, aber er weiß, dass viel Arbeit vor ihm liegt.

Schon als Kind hat sich Carter, der am 9. Mai 1874 als jüngster Sohn eines nur mäßig erfolgreichen Tiermalers in Kensington geboren wurde, für das Alte Ägypten interessiert. Er ist wissbegierig, hat eine leichte Auffassungsgabe und wird vom Vater als Maler und Zeichner ausgebildet. Früh entflieht er dem langweiligen Leben in der britischen Provinz und kommt als 17-Jähriger in das Land seiner Träume, wo er sich bei der Altertumsverwaltung nützlich macht. Er kopiert Grabinschriften und Malereien, begegnet allen wichtigen im Land tätigen Ägyptologen und lernt dabei die gängigen Grabungstechniken. Schon bald sind die Experten beeindruckt von diesem jungen Mann, der zwar nicht studiert hat, aber offenbar die gesamte Literatur kennt und vor allem über ein sicheres archäologisches Gespür verfügt. Der Ägyptologe Gaston Maspero, der Chef des mächtigen Service d'Antiquités Égyptiennes, protegiert Carter und ernennt den erst 25-Jährigen 1899 zum Chefinspektor der Altertümer Oberägyptens. Carter bewährt sich, ist bald nicht nur für seine fachliche Kompetenz bekannt, sondern auch dafür, praktische Lösungen zu finden. So lässt er zum Beispiel in den Ausgrabungsstätten von Luxor und Abu Simbel elektrische Leitungen legen, sodass die Archäologen bei Licht arbeiten können. 1904 wird er nach Unterägypten in eine gleich hohe Position versetzt, doch in dem Jahr ist seine Karriere plötzlich zu Ende: In Sakkara pöbeln betrunkene französische Touristen einheimische Wächter an. Carter ergreift Partei für die Ägypter und weist sie an, die Europäer in die Schranken zu weisen. Im kolonialen Ägypten ist das eine Ungeheuerlichkeit, für die Carter sich entschuldigen soll. Er wird strafversetzt, verweigert die Entschuldigung und quittiert den Dienst. Fortan schlägt er sich als Maler und Antiquitätenhändler durch.

Das ändert sich erst 1907, als es zu einer schicksalhaften Begegnung kommt: Carter lernt Lord Carnarvon kennen, einen der reichsten Männer Großbritanniens. Der Earl of Carnarvon, von Freunden Porchy genannt, hat das Kunststück fertiggebracht, im Jahr 1903 - als es kaum Verkehr und noch so gut wie keine Autos gab - mit seinem Wagen bei Bad Schwalbach in Hessen einen Ochsenkarren zu rammen und sich dabei lebensgefährlich zu verletzen. Auf Anraten seiner Ärzte verbringt er die Wintersaison fortan im milden Klima Ägyptens, wo er sich schrecklich langweilt. Er hat sich zwar selbst als Ausgräber versucht, aber außer einer Katzenmumie nicht viel gefunden. Nun lernt er Carter kennen, den er auf Anhieb sympathisch findet. Schon bald bilden sie ein Dreamteam, der eine hat unglaublich viel Geld, der andere ist ein begnadeter Ausgräber, und beide eint die Vision einer großen Entdeckung: Carter gräbt, der Lord bezahlt, von 1914 an mit einer Lizenz der Altertumsverwaltung im Tal der Könige.

Hier, davon ist Carter überzeugt, wird er ein unangetastetes Pharaonengrab entdecken. Dabei setzt er erst einmal unendlich viel Geld in den Wüstensand, lässt zeitweise mehr als 200 ägyptische Helfer graben und findet alles Mögliche, nur keine Schätze. 1922 ist Lord Carnarvon die Sache leid, er glaubt nicht mehr an einen Erfolg und will eigentlich aufgeben. Aber Carter überredet ihn doch noch zu einer Verlängerung, eine einzige Wintersaison will er noch graben. Inzwischen glaubt er fest daran, das Grab von Tutanchamun zu finden, von jenem jung gestorbenen Pharao, der die von seinem Vater Echnaton entmachteten Göttern wieder in ihre Rechte einsetzte.

Der 4. November 1922 beginnt für Carter wie ein normaler Arbeitstag. Er verlässt sein Haus in Luxor und begibt sich wie jeden Tag ins Tal der Könige. Diesmal kommen ihm schon einige seiner Arbeiter aufgeregt entgegen. Gemeinsam rennen sie zu einer Stelle, wo Grabungshelfer eben eine in den Fels gehauene Stufe freigelegt haben. Diesmal sieht alles anders aus als sonst, gebannt verfolgt der Engländer, wie seine Leute Stufe um Stufe von Sand und Steinschutt befreien. Hinter der 16. Stufe liegt ein vermauerter Eingang mit dem Siegel der königlichen Totenstadt. Carter lässt ein Loch in die Tür bohren und entdeckt dann, dass der dahinter liegende Gang vollkommen mit Schutt verfüllt ist. Das deutet auf ein unbeschädigtes Pharaonengrab hin, aber sicher ist das nicht. "Alles, buchstäblich alles konnte hinter diesem Gang liegen, und es bedurfte meiner ganzen Selbstüberwindung, um nicht den Türeingang aufzubrechen und auf der Stelle weiterzusuchen", notiert Carter später.

Aber er sucht nicht weiter, befiehlt seinen Leuten, die Grube erst einmal wieder zuzuschütten. Carter pokert ziemlich hoch, weiß aber, dass es um die Chance seines Lebens geht. Er lässt sich zum Telegrafenamt von Luxor fahren und gibt dort folgendes Telegramm an Lord Carnarvon in Highclere Castle auf: "Habe wunderbare Entdeckung gemacht; ein großartiges Grab mit unbeschädigten Siegeln, bis zu Ihrer Ankunft wird alles zugedeckt. Gratuliere."

18 lange Tage der Ungewissheit liegen vor ihm, so lange muss sich Carter gedulden bis der Lord mit Tochter Evelyn eintrifft, um bei der archäologischen Sternstunde dabei zu sein, die kurze Zeit darauf die Schlagzeilen der Weltpresse beherrscht. Die Exklusivrechte hatte die britische "Times", aber gleich darauf berichteten auch französische, deutsche und amerikanische Zeitungen über die Entdeckung des Jahrhunderts. Journalisten und wohlhabende Touristen kommen scharenweise nach Luxor, Carter erhält waschkörbeweise Briefe aus aller Welt. Die "New York Times" schreibt, dass sich Ali Babas mit Juwelen und Preziosen gefüllte Räuberhöhle gegenüber Tutanchamuns Grab nur wie ein Trödelladen ausnehmen würde.

Der Tutanchamun-Hype ist bis heute ungebrochen, nur Lord Carnarvon hat er kein Glück gebracht: Während er noch den Triumph genießt, sticht ihn ein Moskito in die Wange. Beim Rasieren kratzt er sich unglücklicherweise die Wunde auf, die sich darauf entzündet. Am 5. April 1923 stirbt der Lord 56-jährig in Kairo. Manche seiner abergläubigen Zeitgenossen schreiben sein unerwartetes Ableben dem "Fluch des Pharao" zu, in Wahrheit war es eine schlichte Blutvergiftung als Folge einer Unachtsamkeit. Howard Carter wurde weltberühmt, blieb aber auch umstritten, wurde geehrt und angefeindet, bewundert und gehasst. Er starb im Alter von 64 Jahren in London an einem Lymphdrüsentumor.

Tutanchamun in Hamburg: Vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. Januar 2010 ist am Dammtorwall 8 die spektakuläre Repliken-Ausstellung "Tutanchamun – Sein Grab und seine Schätze" zu sehen. Geöffnet täglich 10–17 Uhr, Donnerstag bis 19 Uhr.