Was Christiane Paul über ihr Leben als Mutter und Ehefrau, ihren aktuellen Kinofilm “Lippels Traum“ und ihre neue Heimatstadt Hamburg denkt, erzählt sie im Gespräch.

Bekannt wurde sie Anfang der 90er an der Seite von Götz George im Film "Ich und Christine". Später feierte Christiane Paul Erfolge mit "Im Juli" und dem Film, der zum Motto einer ganzen Generation wurde: "Das Leben ist eine Baustelle". Was sie über ihr Leben als Mutter und Ehefrau, ihren aktuellen Kinofilm "Lippels Traum" und ihre neue Heimatstadt Hamburg denkt, hat sie Andin Tegen erzählt. Im Kinderfilm "Lippels Traum" flüchtet ein kleiner Junge in eine Fantasiewelt im Orient - in welche Welt flüchteten Sie als Kind?

Ich bin in eine Bücherwelt geflüchtet und habe in den Geschichten gelebt. Oft habe ich versucht, die gleichen Erlebnisse in den Geschichten auch in Wirklichkeit zu erfahren. In Christoph Heins, "Das Wildpferd unterm Kachelofen", schrieb ein Mädchen Tagebuch. Und hat dann ganz überraschend Briefe von ihrem Tagebuch zurückbekommen. Somit hatte sie eine ganz enge Vertraute. Das habe ich dann auch versucht. Leider hat das nicht geklappt, ich habe natürlich keine Briefe von meinem Tagebuch bekommen.

Das klingt fast ein bisschen einsam. Wie wichtig waren Ihnen damals diese Märchenwelten?

So wichtig, dass ich heute meinen Kindern daraus vorlese. Nicht die Kurzfassungen der Klassiker, die den Markt überschwemmen, sondern die Originale. Ich versuche, ihnen das Wahre in den Märchen zu vermitteln, das, was sich auf unser heutiges Leben übertragen lässt. Welche Relevanz hat eine Geschichte für den Alltag? Der Junge Lippel zum Beispiel passt sich nicht an, sondern flüchtet in seine eigene Traumwelt. Er ist ganz er selbst und verbündet sich, anders als seine Klassenkameraden, mit Kindern mit Migrationshintergrund. Er hat keine Vorurteile.

Ängstigt es Sie, dass es heute viel mehr um Internet, Videospiele und Handys geht unter Kindern und Jugendlichen?

Meine Tochter kommt erst in die zweite Klasse, aber ist schon verrückt nach Pokemon, einem Videospiel mit Fantasiewesen. Sie wünscht sich das, was andere haben. Der Druck, was äußerliche Merkmale und Statussymbole betrifft, ist heute sehr groß, und ich finde es schwer, ihr immer gleich jeden Wunsch zu erfüllen. Ich mag die intensiven Vermarktungsaktionen der Spieleindustrie nicht. Aber es ständig abzulehnen, fände ich auch nicht gut. Kinder müssen sich auch ein Stück weit integrieren können und auch lernen, mit den Dingen, die man ihnen gibt, umzugehen. Verbote bringen nichts. Es gilt immer, das gute Mittelmaß zu finden.

Lesen Sie auch Gruselgeschichten oder schauen sich Horrorfilme an?

Nein, überhaupt nicht. Horror oder Splatter kann ich schlecht vertragen, dafür habe ich zu schwache Nerven, selbst wenn das Blut aussieht wie Tomatenketchup. Ich bin einfach zu schreckhaft. Eigentlich habe ich keine Angst im Dunkeln, aber wenn ich mehr von diesen Filmen sehen würde, dann schon. Ein guter Freund von mir hat sich in seiner Jugend unheimlich viele Horrorgeschichten angesehen. Heute kann er nachts an keiner Hecke mehr vorbeigehen. Er hat jetzt wirklich ein Problem.

Sind Sie die Einzige in der Familie, die sich nicht gruseln mag?

Mein Mann mag das auch nicht.

Was machen Sie abends, wenn andere sich ein Bier vorm Fernsehen genehmigen?

Ich sehe natürlich abends auch mal fern. Aber nachmittags oder am frühen Abend kann man mit den Kindern Rad fahren, muss Schulaufgaben machen, Essen kochen, über das reden, was am Tag passiert ist. Die Zeit ist im Nu um, dann sind wir auch schon müde. Neulich haben wir tatsächlich auch mal jeden Abend WM geguckt, aber das ist die Ausnahme. Im Winter schauen wir uns manchmal ausgewählte DVDs an. Aber nur belanglos vor der Glotze sitzen, das kommt äußerst selten vor.

Wie finden Sie es, wenn Erwachsene spielen? Wikinger oder Völkerschlachten oder sich im Wald mit Farbpistolen beschießen?

Ich empfinde das als Flucht vor dem eigenen Leben. Ich sehe das auch als starke Unzufriedenheit mit der eigenen Existenz. Das habe ich nicht. In meiner Realität lebe ich gern und brauche auch keine Avatare in Internet oder Second World. Ich suche keine andere Identität. Durch Spielen mit den Kindern tauche ich zwar in andere Welten, aber nicht um zu flüchten, oder weil ich mich mit meinem Leben nicht identifizieren kann. Dass Erwachsene in diese Rollen schlüpfen, ist für mich nur schwer nachvollziehbar, und irgendwie macht mich das traurig. Aber vielleicht interpretiere ich das auch nur falsch, weil ich es nicht kenne.

Was bedeutet dann das Rollenspielen in Ihrem Beruf?

Es ist für mich keine Flucht, es ist Teil meines Berufs, in dem ich mich wohlfühle. Nicht, um etwas auszuprobieren, was ich sonst nicht ausprobieren kann.

Es ist aber doch vielseitiger, als der Job eines Bankkaufmanns?

Glaube ich nicht. Der Beruf ist das, was man für sich aus ihm macht. Aus allem kann man etwas Fantasievolles machen. Viele sagen auch, die Medizin sei nicht kreativ. Das glaube ich überhaupt nicht.

Sie sind promovierte Ärztin. Was empfinden Sie als kreativ an der Medizin?

Die Medizin ist nicht in dem Sinne kreativ, als würde man Schreiben, Musizieren oder eine Figur als Rolle kreieren. Aber allein die Fragen: Wie behandle ich jemanden, welche Diagnosen stelle ich auf der Basis welcher Symptome? Das hat viel mit puzzeln zu tun, damit, Möglichkeiten zusammensetzen auf dem Fundament eines großen Wissens. Es geht um Intuition, Fingerspitzengefühl, Gefühl für Menschen. Ich habe die Medizin nie als Unterforderung meiner kreativen Fähigkeiten empfunden.

Warum sind Sie dann nicht Medizinerin geworden?

Ich habe neben dem Studium in Filmen gespielt, und die Schauspielerei wurde dann schnell für mich etwas, das ich voll und ganz entdecken wollte. Ich habe gemerkt, dass darin für mich persönlich das größere Potenzial liegt.

Sie haben zwei Kinder. Ist Ihre Fantasiewelt aus der Kindheit dadurch neu belebt worden?

Nein, ich dachte eher, dass es ganz schön mühsam ist, sich da wieder hineinzuversetzen. Das ist mir nicht leichtgefallen. Ich bewundere Kinderbuch-Autoren oder Kindergärtnerinnen, Leute, die es schaffen, die Welt durch Kinderaugen zu betrachten. Es fällt mir heute noch nicht ganz leicht, wirklich zu durchdringen, was Kinder bewegt. Ich bin in dem Bereich nicht so fantasievoll und musste lernen, die Welt wieder mit Kinderaugen zu sehen. Da bin ich ganz schlecht drin, ehrlich gesagt. Ich bin nicht so der Kinderversteher. Ich fühle mich schon sehr erwachsen.

Versuchen Sie immer, alles auf der Vernunftebene zu erklären?

Meine Tochter hat mich letztens gefragt, ob es den Weihnachtsmann gibt. Darauf habe ich ihr ausweichend geantwortet. Wenn du daran glaubst, dann gibt es ihn auch, sagte ich. Vielleicht kann man ja auf Kinder zugehen, gerade wenn man jemand ist, der so sehr in der Realität lebt wie ich. Ich möchte meine Kinder natürlich beflügeln in ihrer Fantasiewelt und sie gleichzeitig doch auch mit der Realität konfrontieren. Aber ich spiele auch mal Prinzessin und Königin mit, wenn meine Tochter dazu Lust hat. Es fällt mir zwar nicht leicht, wieder zurück in diese Kinderwelt zu gehen, aber ich hab das mit der Zeit doch auch wieder hinbekommen.

Macht Ihnen das nebenbei auch Spaß?

Ja, total! Vor allem, wenn ich ihnen vorlese. Kästners "Das doppelte Lottchen" zum Beispiel. Da tauche ich selbst wieder ab in diese heile Welt, die Mädchenfreundschaften, das Ferienlagergefühl. Ich bin gespannt, ob meine Tochter das so ähnlich empfindet wie ich.

Erkennen Sie sich in Ihren Kindern wieder?

Viele sagen, meine Tochter sei mir sehr ähnlich. Vielleicht, weil sie auch so hibbelig ist wie ich damals. Ich kann das nicht so beurteilen.

Sie waren immer sehr gut in der Schule, Ihr Abidurchschnitt lag bei 1,2. Wie viel Disziplin und Zielstrebigkeit verlangen Sie von Ihren Kindern, wenn die Messlatte bei Ihnen selbst so hoch lag?

Es wäre falsch zu sagen, man hätte keine Erwartungen. Aber es wäre falsch, das gleiche zu fordern, was ich einmal von mir gefordert habe. Hauptsächlich muss ich für meine Kinder da sein, egal wie sie sich entwickeln. Es ist generell falsch, Erwartungen zu haben, auch an Lebenspartner oder Freunde. Man muss auch lernen, sich den Persönlichkeiten der anderen anzupassen. Beziehungen gehen sonst kaputt. Am Ende muss jeder seinen Weg allein gehen. Auch meine Kinder.

Wie wichtig ist Ihnen das Umfeld für die Kinder?

Sehr wichtig. Wir wollten schon in Berlin ins Grüne ziehen. Das haben wir jetzt in Hamburg umgesetzt.

Ihr Mann arbeitet als Chefarzt in der Asklepios Klinik in Altona. Sind Sie nun vollständig von Berlin an die Elbe gezogen?

Ja, mein Mann ist seit Januar dieses Jahres hier, ich selbst seit fünf Wochen.

Wie schwer fiel Ihnen der Ortswechsel als Ur-Pankowerin?

Ich bin Berlinerin, und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, es wäre total leicht gewesen. Aber Hamburg macht es einem nicht schwer anzukommen. Es ist eine schöne Stadt, wir wohnen sehr idyllisch in Othmarschen, nahe der Klinik, und haben schon sehr viele Radtouren unternommen um unsere neue Heimat kennenzulernen. Die Luft soll hier auch besser sein. Obwohl ich das noch nicht gemerkt habe.

Haben Sie schon einen Lieblingsort?

Die Große Brunnenstraße in Ottensen mag ich sehr. Das Lebhafte und Multikulturelle erinnert mich an meinen Heimatbezirk Schöneberg. Im Schanzenviertel passiert gerade ähnliches wie in Berlin-Mitte. Es gibt sehr viele Cafés, Werber, Boutiquen, Touristen. Das sieht man mit einem weinenden und einem lachenden Auge.

Haben Sie in Hamburg Freunde?

Ja, Charly Hübner, der den Polizeiruf in Rostock übernimmt, wohnt bei mir um die Ecke. Justus von Dohnányi auch. Fatih Akin wohnt in meiner Nähe. Ich fühle mich nicht entwurzelt, sondern sehr wohl in dieser Stadt.

Kannten Sie Hamburg schon vorher gut?

Ein bisschen. Ich habe mal ein Semester in Hamburg Medizin studiert. Ich mag die Hamburger. Ich würde immer lieber in Hamburg als in München leben. Der Hafen und die Elbe mit den riesigen Schiffen geben der Stadt etwas ganz Besondere, etwas von der großen weiten Welt. Es ist ganz anders als in Berlin.

Manch waschechter Berliner sagt, die Hamburger seien steif und brauchen mehr als ein Bier, um irgendwann zu tanzen. Finden Sie das auch?

Die Hamburger sind sehr traditionell, sie sind eben Hanseaten. Okay, sie sind auch kühler und distanzierter als die Berliner, aber Hamburger haben so ein Bewusstsein für die Stadt, aus der sie kommen. Sie sind sehr stolz darauf. Ich finde ihre Mentalität gerade sehr spannend, weil sie dich auf immer in ihr Herz schließen, wenn man einmal rein durfte. Das ist eine sehr schöne Eigenschaft, finde ich.

"Lippels Traum" nach einem Kinderbuch des "Sams"-Autors Paul Maar, Kinostart ist am 8. Oktober.