Dierk Strothmann über eine Seifenoper, Zuschauerreaktion und Schauspielerglück.

Man muss schon älter sein, um die Hamburger Familie Schölermann kennengelernt zu haben. Die Jüngeren hatten keine Chance, diese legendäre Familienserie, die erste, die je im deutschen Fernsehen lief, zu sehen, denn die Sendungen gibt es einfach nicht mehr. Alles wurde live gesendet, Aufzeichnungen waren noch nicht möglich. Lediglich einige Außenaufnahmen, die auf 16 Millimeter gefilmt wurden, sind noch in den Archiven zu finden. Die Schölermanns waren die erste Seifenoper-Familie, eigentlich sogar der Vorgänger von "Big Brother", denn an damals gerade einmal 11 685 angemeldeten Geräten nahmen die Zuschauer alle 14 Tage eine halbe Stunde lang am völlig unspektakulären und spießigen Familienleben von "Unsere Nachbarn heute Abend" (offizieller Titel) teil.

Gespielt wurde, als sei es eine richtige Familie. Anfangs wurden noch nicht einmal die Namen der Schauspieler im Nachspann genannt. Die brachten ihre Rollen sehr überzeugend. Jedenfalls erhielt "Vater Schölermann", als er arbeitslos wurde, körbeweise Stellenangebote, und für Pflegetochter Bärbel fanden sich spontan Hunderte von Pflegeeltern. Zuschauerbriefe wurden von der Familie selbst beantwortet - auf eigens entworfenem Briefpapier. Willy Krüger, stets mit Fliege geschmückter Schölermann-Patriarch, wurde auf der Straße gefragt, warum er heute seine Fliege nicht trage. Und Mutter Schölermann Lotte Rausch wurde beim Einkaufen mit ihrem richtigen Mann mit hochgezogenen Augenbrauen gefragt, wo denn Herr Schölermann sei. Als Tochter Evchen Schölermann einmal von Verehrern bedrängt wurde, schrieben die Leute, die seien doch alle nichts für das gute Kind.

Die Idee für die Serie hatte NWDR-Intendant Dr. Werner Pleister bei US-Fernsehstar Lucille Ball geklaut, und da er ein Faible für einen Schauspieler am Stadttheater von Goslar hatte, war auch der Name der Familie gefunden, der Mann hieß Hans-Joachim Schölermann.

Die Serie war ein rauschender Erfolg, brachte aber den Schauspielern kein Glück: Charles Brauer, der älteste Sohn Heinz der TV-Familie, schaffte es als einziger, als Schauspieler Fuß zu fassen und in der Branche zu behaupten. Er spielte unter anderem den Hauptkommissar Brockmüller an der Seite von Manfred Krug im "Tatort", wo er inzwischen auch in Pension ging. Achtungserfolge als Schauspielerin konnte allenfalls "Bärbel" Giulia Follina nachweisen ("Unsere Hagenbecks"). Lotte Rausch, alias Trudchen Schölermann, machte nur noch ein Fernsehspiel und zog sich dann ins Familienleben zurück. Sie erkrankte an den Nieren und starb ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit Mitte der 90er-Jahre. Willy Krüger bekam nur Nebenrollen. Das traf ihn besonders hart. "Es hat schon sehr weh getan, als man mir den Stuhl vor die Tür setzte und mich draußen sitzen ließ", beklagte er sich. Krüger starb Ende der 70er-Jahre, "Jockeli" Harald Martens machte Karriere als Bundesluftwaffenoffizier und seine TV-Schwester Evchen, Margit Cargill, wurde Bewegungstherapeutin in einer Psychiatrischen Klinik.

Als am 23. März 1960 nach 111 Sendungen Schluss war, beschäftigte das die Nation monatelang, es gab ja nur ein einziges Fernsehprogramm. Ja, das waren noch Zeiten ...