Pffft. Pause. Pffffft. Pause. Pffffffft. Noch eine Pause. Sonntagmorgen, um diese Uhrzeit ist alles noch ruhig im ansonsten so lautstarken Ottensen. Bis auf dieses komische Geräusch, eine Etage unter meinem Balkon.

Das Hör-Rätsel ist schnell gelöst: Es ist der Nachbars-Sohn, der mit dem Tigerenten-Fahrrad. Der kleine Racker steht still begeistert auf dem Küchenbalkon und spritzt hochkonzentriert Wasser aus seiner Spielzeugpistole Richtung Erdgeschoss. Etwas Spannenderes gibt es in diesem Moment nicht für ihn, etwas Wichtigeres auch nicht. Einfach mal beobachten, was passiert, wenn so gut wie nichts passiert - außer eben: "Pffft". Umso befriedigender ist diese Angelegenheit, weil gerade kein pädagogisch ehrgeiziger Elternteil in Sichtweite ist, der den Dreikäsehoch mit vermeintlich Sinnvollerem, Stillsitzen, Zähneputzen oder ähnlichem, davon abhalten könnte.

Prima Idee, lange nicht mehr gemacht, denke ich mir. Sehr lange nicht mehr etwas gemacht, was dem ziellos daherstreunenden, seelebaumelnden Nichtstun so nahekommt und trotzdem ein gediegenes Philosophie-Aroma verströmt. Dass das Leben immer in Bewegung ist, hat ja schon der griechische Vordenker Heraklit beobachtet. Sein Kollege Platon hat das später für ihn mit der Erkenntnis "Alles fließt" griffig auf den Punkt gebracht.

Benjamin von nebenan weiß das natürlich noch nicht. Aber er ahnt schon was, scheint es mir.

Und wo wir gerade bei schlauen Zitaten sind: Der Autor Noël Coward meinte, Nichtstun mache nur dann Spaß, wenn man eigentlich viel zu tun hätte. So gesehen müsste mir das mit dem Wasser vom Balkon eine stattliche Menge Vergnügen bereiten. Ist ja vielleicht auch eine prima Stress-Bekämpfung, wie Yoga ohne schmerzhaften Anfänger-Muskelkater oder Meditation ohne nervtötend bimmelnde Klangschalen. Mehr als einen Balkon und eine Portion Wasser braucht es nicht, um für einige Momente aus dem Erwachsenen-Alltag zu desertieren. Zur Not tut's auch ein Glas, wer hat schon immer Spielzeugpistolen zur Hand.

Dann mal los. Platsch. Pause. Platsch. Pause. Das Glas leert sich eindeutig, mein Kopf aber nur bedingt. Wasser dabei zu beobachten, wie es durch die Luft fliegt, da hält sich die Ekstase in meinem Alter dann doch in Grenzen. Okay, es sieht halbwegs interessant aus, so von oben betrachtet. Wird aber - anders als für Benjamin - leider nicht spannender, je öfter ich es platschen lasse. Auch Rechtsplatsch und Linksplatsch im Wechsel helfen nicht grundlegend weiter. Vor allem aber: Die ganz große Beglückung, das bewusstseinserweiternde Aha-Erlebnis bleibt aus. Mein junger Nachbar, inzwischen schon wieder zum Frühstück in die Küche abkommandiert, hat mich bei diesem Philosophie-Selbstversuch Marke Heraklit ziemlich alt aussehen lassen. Denn wenn zwei das Gleiche machen, ist es noch lange nicht dasselbe. Erst recht nicht, wenn es sich um etwas scheinbar so Simples handelt, wie Wasser beim Fallen zuzusehen und daraus etwas fürs Leben zu lernen.