Nachhaltig und umweltfreundlich - auch die Mode soll jetzt grün werden. Aber was ist eigentlich “Green Fashion“ - Nische oder Werbegag?

Hinter dem Laufsteg stehen nackte Schaufensterpuppen. Die Figuren im Zuschauerbereich tragen Hawaiiröcke oder Lockenwickler und Papiertüten. Die Tische sind mit Obst- und Gemüsekartons bestückt. So kommt "Attitude - ein Fashionevent" in der Fabrikhalle auf Kampnagel daher. Die erste grüne Modenschau in Hamburg.

Auf den Laufstegen in Mailand, Paris und Tokio ist nachhaltig produzierte Mode bereits etabliert. In Deutschland besetzt die "Green Fashion" allenfalls eine Nische. "Die Branche wächst", sagt Heike Scheuer vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN). "Aber der Anteil ist noch sehr gering." Weniger als fünf Prozent macht der grüne Anteil im Modebusiness aus.

Gerade deshalb soll die Gala auf Kampnagel ein Ausrufezeichen setzen. Aber was ist eigentlich grüne Mode? Wollpullover? Gesundheitslatschen? "Für mich besteht grüne Mode aus unbehandelten Materialien, so wie ökologisch angebaute Baumwolle", sagt Christina Ulrich, eine Besucherin der Modenschau. So einfach ist es nicht. "Begriffe wie grüne Mode oder Öko-Mode sind noch nicht geschützt", erzählt Heike Scheuer. "Daher gibt es keine konkrete Definition." Grün, Bio oder Öko - in der Modebranche werden die Begriffe mit Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein sowie sozialer und ökologischer Produktion der Ware übersetzt. Ob mehr dahintersteckt als ein grünes Image, ist kaum nachprüfbar. "'Biologisch kontrolliert' ist der einzige Begriff, der bereits geschützt ist", sagt Scheuer. Zum Beispiel geben EU-Richtlinien vor, wie Bio-Baumwolle angebaut werden muss. So dürfen weder synthetische Dünge- noch Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Beim konventionellen Baumwollanbau gelten Pestizide und der hohe Wasserverbrauch als umweltbelastend.

Zertifikate sollen eine umweltbewusste Produktion belegen, doch noch fehlt es an einheitlichen Etiketten.

Der Naturtextilverband zertifiziert mit seinem Qualitätszeichen BEST Mode, die höchstmögliche ökologische Ansprüche erfüllt. Vom Anbau über die Produktion bis zum Transport wird alles auf umweltbewussten Ablauf geprüft. Beim Färben und Drucken der Stoffe sind zum Bespiel keine schwermetallhaltigen Farben zugelassen.

Die umweltbewusste Herstellung ist eine Seite der grünen Mode. Aber wie sieht sie aus? Am Ende zählt, was tragbar ist. "Ich habe den Verdacht, dass die Mode langweiliger und nicht so farbenprächtig ist, wie man es gewöhnt ist", mäkelt Mario Smith, Besucher des Festivals. Vielleicht musste er auch nur zu lange auf die Präsentation der "Green Fashion" warten. Denn vorerst stürmen Männer und Frauen in weißen Overalls auf den Laufsteg, die Gesichter durch schwarze Mützen verhüllt, und halten unbeschriebene Pappschilder in die Höhe. Die weißen Figuren begleiten die gesamte Schau, ihre mit Tüten, Hüten oder Tüchern verdeckten Gesichter zeigen sie nicht.

Dann endlich die Hauptdarsteller. Models präsentieren die Mode deutscher und internationaler Designer aus Großbritannien, den Niederlanden, der Schweiz und den USA. Von Freizeitmode, Regenbekleidung bis zur Abendgarderobe ist alles dabei - und sieht nicht anders aus als die Mode, die man kennt.

Inga Thomas aus Hamburg präsentiert ihre selbst entworfenen Schuhe, die sie umweltbewusst ganz ohne Leder herstellt. Sie nutzt Baumwollsatin und Hightech-Produkte für die Herstellung. "Hightech-Produkte sind industrielle Fabrikate, die ohne schädliche Nebenwirkungen für die Natur hergestellt werden", sagt Inga Thomas. "Sie geben keine Giftstoffe ab." Die Designerin war schon als Kind von Schuhen begeistert. "Ich sparte mein Taschengeld, um mir Schuhe kaufen zu können", erzählt die Besitzerin des Ladenateliers an der Marktstraße. Die Nachfrage für ihre Schuhe steigt, auch im Ausland. Die Internetseite verzeichnet Zugriffe aus Finnland und Neuseeland - bei Preisen ab 300 Euro pro Paar.

Die nachhaltig produzierte Mode ist ein neuer Trend. Discounter wie Aldi und Norma haben Öko-Textilen schon länger im Verkauf, doch auch da geht es um die Kennzeichnung: Sie weisen nur als Endprodukt keine Chemikalien mehr auf. Aber auch der deutsche Textil-Einzelhandel gibt sich einen grünen Anstrich. So hat das Unternehmen C&A angekündigt, den Anteil von Bio-Baumwolle in seinen Produkten zu erhöhen und hat sich eine Umweltstrategie unter dem griffigen Titel "We C&A re" verpasst. Auch H&M zeigt sich ökologisch: Die Ware sei sozial und umweltschützend produziert. Nur zwei Beispiele von vielen. Ökomoden-Pionier Hessnatur arbeitet schon lange nach strengem internationalen Standard, fair und kontrolliert.

Die Männer und Frauen in ihren weißen Overalls tragen jetzt politische Aussagen auf dem Laufsteg spazie-ren: "Keine Glühbirnen mehr" heißt es da auf einem Pappschild oder "Weniger Auto fahren". Bananenblätter aus Pappe vor dem Gesicht stehen für ein Produkt, das für die Herstellung grüner Mode bedeutsam ist - Bananenfaser.

Auch Caroline Raffauf nutzt diesen Rohstoff für ihre Kollektion. Die Designerin hat sich auf Regenkleidung spezialisiert und verarbeitet Naturmaterialien wie bienengewachste Bio-Baumwollstoffe und eben Bananenfasern. "Grüne Mode ist für mich eine Kombination aus umweltfreundlicher Herstellung und Sozialverträglichkeit", sagt die Unternehmerin. Ihre Produkte sollen auch für faire Arbeitsbedingungen stehen. Ein Plädoyer gegen Kinderarbeit, die in der Branche immer noch verbreitet ist. Im Nischensektor grüne Mode hat die Designerin ihren Platz gefunden. Mit ihrem Konzept der "Urban Outdoor Collection" schafft Raffauf Kleidung für draußen. Sie hält grüne Mode für einen längerfristigen Trend, sagt, dass es ihn schon seit 20 Jahren gebe. Aus der Branche sei er jetzt nicht mehr wegzudenken. "Die neuen Designer bringen wieder Bewegung in die Szene", freut sich Raffauf, die sich seit acht Jahren auf Regenkleidung spezialisiert hat.

Große Bewegung in der Nachfrage nach grüner Mode können die Hersteller noch nicht bestätigen. Und doch schielen sie auf die Lebensmittelbranche und deren Bioprodukte, die das Bewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit eindeutig belegen.

Grüne Mode ist in den Köpfen der Menschen noch nicht angekommen. Eine Onlinestudie des Marktforschers Skopos hat ergeben, dass von 1000 Befragten mehr als 40 Prozent keine Angaben zu nachhaltiger Mode machen konnten. Der Rest sprach sich naheliegend für Sozialverträglichkeit und ökologisch hergestellte Mode aus.

"Das Image der Öko-Mode ist problematisch", sagt Silvia Stahlhut. "Man denkt dabei höchstens an den Weihnachtsmarkt oder die Regenbogensocken." Die Hamburgerin betreibt einen Schmuckladen an der Schanzenstraße. Seit Anfang August hat sie Öko-Mode in ihrem Sortiment. "Ich habe mich auf Kleider der Marke 'Cultivate' spezialisiert", sagt Stahlhut. Dieser Hersteller bezieht seine Stoffe aus Portugal. "Ich würde gern noch mehr anbieten, aber das würde zu teuer werden." Den Standort Deutschland sieht sie da sogar als Nachteil: "Hierzulande produzierte Ware ist unbezahlbar." Kleider von "Cultivate" kosten zwischen 105 und 129 Euro.

Nett anzusehen, politisch korrekt, aber nicht überwältigend. Überschwängliche Begeisterung erntet die grüne Modegala nicht. Kerstin Bürgel ist enttäuscht. "Ich fand die Mode unspektakulär und einfallslos", sagt die Artdirektorin. Immerhin gäbe es solche Kleidung schon bei H&M. "Ein paar Höhepunkte wären schön gewesen." Andy Weigt, ein Kaufmann, hätte sich gewünscht, dass die Stoffe besser erklärt würden. "Man sollte den Hintergrund mehr rüberbringen, dass es hier um Nachhaltigkeit geht", sagt er.

Denn noch gilt der Leitsatz: Eine Hose wird gekauft, weil sie gut aussieht und passt. Seit Designer wie Stella McCartney auf Öko-Mode setzen, muss das kein Hindernis sein.