Einen Tag in der Woche kümmern sich engagierte Hamburger ehrenamtlich um benachteiligte Kinder.

Die Elbe hatte der sechsjährige Theophilus bis vor Kurzem noch nie gesehen. Obwohl nur einen Katzensprung vom Elbstrand entfernt, lebte er in einer Welt, in der es keine Zeit für Ausflüge und Stadterkundungen gab. Bis Viola Pfordte in sein Leben trat.

Theos Mutter Vivian Oti wohnt seit zehn Jahren in Hamburg. Die 31-Jährige mit den sanften Augen muss allein den Lebensunterhalt für ihre kleine Familie verdienen. Von morgens bis abends putzt sie in Schulen. Wenn sie am Abend gegen acht Uhr nach Hause kommt, schlafen die beiden Kinder meist schon. Kein einfaches Leben für die alleinerziehende Migrantin aus Ghana - und für Theo und seine zehnjährige Schwester Josbel, die viel zu oft auf ihre Mutter verzichten müssen.

Nach der Schule gehen die beiden Kinder in die Kindertagesstätte. Um fünf Uhr am Nachmittag, wenn die meisten Kinder dort abgeholt werden, nimmt Josbel ihren kleinen Bruder an die Hand und bringt ihn in die kleine Wohnung der Familie im Hochhaus gegenüber dem Kinderhort.

Zeit für gemeinsame Stunden gibt es nur am Sonntag, wenn die Familie zusammen den afrikanischen Gottesdienst besucht. Hier hat Vivian von anderen Müttern von dem Projekt der Aktivpatenschaften gehört und für Theo eine Patin gefunden: Viola Pfordte aus Harvestehude.

Die 26-Jährige fährt jeden Mittwoch eine Stunde mit Bus und Bahn von Harvestehude nach Osdorf, um den kleinen Theo von der Kindertagesstätte abzuholen. Dann entführt sie den Jungen für ein paar Stunden in eine Welt, in der es Zeit für die spannenden Dinge eines Kinderlebens gibt: Zeit zum Schwimmen, Toben, Schlittschuhlaufen und für Ausflüge. Das Programm darf Theo mitgestalten. Im Moment ist er ganz wild auf den Besuch des Hallenbads.

Vor drei Jahren hat Ingrid Ehlerding die Initiative "mitKids Aktivpatenschaften" ins Leben gerufen. Die Idee zu dem Projekt entstand aus der positiven Erfahrung mit ihren eigenen fünf Patenkindern. Vor 22 Jahren hat die heute 61-jährige Geschäftsführerin der Ehlerding-Stiftung die Verantwortung für die Kinder einer sozial problematischen türkischen Familie übernommen und sie bis zum heutigen Tag begleitet. Alle "ihre" Kinder haben trotz eines schwierigen Familienumfeldes die Schule absolviert, einen Beruf erlernt und eine Anstellung gefunden. "Eine verlässliche Beziehung ist für einige Kinder der Schlüssel zum Erfolg", sagt Ehlerding, "für andere sogar überlebenswichtig."

Die vielen Fälle von vernachlässigten Kindern, die durch die Medien gingen, waren der Anstoß für Viola Pfordte, selber aktiv zu werden. "Ich bin mit viel Liebe und in großer Geborgenheit aufgewachsen. Ein wenig von meinem Glück möchte ich auf diese Weise weitergeben", sagt die junge Jura-Doktorandin und lächelt Theo liebevoll zu.

"Oft fällt es mir zwar schwer, die Rahmenbedingungen zu akzeptieren. Aber ich habe gelernt zu begreifen, dass ich Theos Welt nicht verändern kann. Ich kann sie nur ein klein wenig verbessern."

Einmal in der Woche spielt Theo jetzt für einige Stunden die Hauptrolle in ihrem Leben. Viola hört ihm zu, spricht mit ihm über die Schule, über seine Erlebnisse und Sorgen und schenkt ihm das kostbarste Gut für Kinder - gemeinsame Zeit!

Wie in der Familie Oti gibt es viele Eltern, vor allem Alleinerziehende und Migranten, die Beruf, Haushalt und Kindererziehung gleichzeitig bewältigen müssen - eine Überforderung, bei der vor allem die Kinder zu kurz kommen.

Neben der Betreuung von Theo steht Pfordte oft auch seiner Mutter Vivian, die kein Wort Deutsch spricht, beratend zur Seite: Welche Schule sollen die Kinder besuchen? Welche Hilfsangebote gibt es für die bedürftige Familie? Weil Theo so gern zum Turnen gehen möchte, versucht Pfordte im Moment einen Sponsoren zu finden, der die Kosten für den Sportverein übernimmt - sieben Euro im Monat.

Jeden Freitag pünktlich um halb drei machen sich auch Stella Liedke und ihre siebenjährige Tochter Mia auf den Weg, um Elli abzuholen. Vor einem halben Jahr haben Mutter und Tochter gemeinsam die Patenschaft für das dreijährige Mädchen übernommen.

"Ich habe das Glück, nicht für meinen Lebensunterhalt arbeiten zu müssen und dadurch die Möglichkeit, einen Teil meiner Zeit zu verschenken", sagt Liedke. Und diese Zeit widmet die gelernte Kinderpflegerin am liebsten Kindern.

Sie backt und spielt mit Mia und Elli, die sich prächtig verstehen. Gemeinsam werden Ausflüge gemacht und die Stadt entdeckt.

Drei kostbare Stunden in der Woche, auf die sich Stella Liedke, Tochter Mia und Patenkind Elli genauso freuen wie Ellis Mutter Heike Weidhase. Im turbulenten Alltag zwischen Hausarbeit und Babyversorgung findet die alleinerziehende Mutter kaum einmal Zeit zum Durchatmen.

"Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen", lautet ein afrikanisches Sprichwort. "Und bestimmt mehr als nur eine Mutter, um meine Mädchen großzuziehen", fügt die 42-jährige Ökotrophologin lächelnd hinzu. "Ich möchte, dass meine Töchter außer mir noch weitere Bezugspersonen haben." Einmal in der Woche ist die kleine Elli jetzt nicht nur Tochter und große Schwester von Baby Anna, sondern einfach Elli - der Mittelpunkt der Familie Liedke.

Die nächsten Verwandten von Heike Weidhase leben dreihundert Kilometer entfernt. "Da ist es auch gut zu wissen, dass es nicht nur jemanden gibt, der dich im Alltag unterstützt, sondern der auch im Notfall zur Stelle ist."

Zusammen mit fünf anderen Patenbegleitern betreut Ingrid Ehlerding die Familien des Projektes. Sie suchen passende Paten für die Kinder und stehen mit Rat und Tat zur Seite. Ob Senioren, Mann oder Frau, kinderlose Paare, Familien - jeder kann sich als Pate bewerben. Um die richtige Wahl für Pate und Kind zu treffen, führen die Begleiter vorab Interviews in der Familie des Kindes und des Paten.

Die ehrenamtlichen Paten haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Zeit und Liebe verschenken zu können und einem Kind auf seinem Lebensweg zu helfen und es zu begleiten, empfinden sie auch als einen großen Gewinn für das eigene Leben.

Vergangene Woche hat der kleine Theo die Elbe gesehen. Zum ersten Mal. Mit großen Augen schaute er staunend den riesigen Frachtschiffen hinterher - auf ihrem Weg in die weite Welt, in der es vielleicht später auch für ihn einen Platz geben wird. Dank seiner Patin.