Die herkömmlichen Verbindungen zum Iran sind nahezu abgerissen. Journalisten vor Ort dürfen nur noch eingeschränkt berichten, und die Telefone der Bevölkerung werden abgehört. E-Mail, Facebook, Twitter und Youtube sind die Medien, mit denen die Iraner im Moment ohne Zensur kommunizieren und den Kontakt zur Außenwelt aufnehmen.

Fardin (29) lebt in Shiraz, einer Metropole mit mehr als einer Million Einwohner, 700 Kilometer von Teheran entfernt. Der Politik-Student hat E-Mails an unsere Reporterin Carola Hoffmeister nach Deutschland geschickt. Es sind Dokumente von Verrat, Willkür und Verzweiflung.

E-Mail vom 14. Juni 2009, 23:54

Liebe Carola. Ich schreib Dir, weil Du wissen musst, was hier geschieht. Ahmadinedschad ist vor zwei Tagen zum Präsidenten gewählt worden. Er bekam 62,2 Prozent der Stimmen, sein Herausforderer Mir Hossein Mussawi erzielte nur 33,8 Prozent. Wie kann das sein? "Wo ist meine Stimme?" steht auf dem Bild, das ich anstelle meines Fotos bei Facebook hochgeladen habe. Freunde von mir haben das auch gemacht. Wir glauben, dass die Wahl manipuliert wurde und fühlen uns betrogen. Vielleicht hätte Mussawi die Wahl nicht gewonnen. Aber niemals im Leben hat er so wenig Stimmen bekommen, wie uns die Regierung glauben machen will. Davon bin ich überzeugt. Wo sind unsere Stimmen? Ich möchte, dass Du der Welt berichtest, was hier geschieht. Danke, Fardin

E-Mail vom 15. Juni 2009, 13:53

Überall auf den Straßen demonstrieren die Menschen gegen die Politik von Ahmadinedschad und Ayatollah Chamenei: in Teheran, Isfahan, Yazd, Rascht und Maschad. Ich war auf einem Protestmarsch in Shiraz. Die Menschen tragen schwarze Kleidung. Grüne Schals und Spruchbänder flattern im Wind. Grün ist die Farbe von Mussawi und die Farbe des Propheten. Glaub mir, die Leute auf der Straße sind friedlich. Alte Frauen, Kinder, gebrechliche Männer und Studenten wie ich. Aber unter die Demonstranten mischen sich Polizisten in Zivil. Sie haben Pistolen am Gürtel, schmeißen Steine und versprühen Tränengas. Sie zetteln Handgemenge an, sodass das Militär eine Legitimation hat, einzugreifen. Ich sah einen Soldaten, der auf eine etwa 65-jährige Frau mit einem Stock einprügelte. Ein anderer Militär warf eine Autoscheibe ein, weil der Fahrer aus Protest die Hupe drückte. Glassplitter flogen in sein Gesicht und zerschnitten seine Haut. Er blutete. Die Kämpfe in Shiraz dauerten bis nachts um drei Uhr an. Ich habe große Angst, wenn ich draußen bin. Aber ich kann nicht zu Hause bleiben und mir die Lügen im iranischen Staatsfernsehen anhören. Die Nachrichtensprecher sagen, es gab keine Wahlmanipulation. Die Menschen, die für Mussawi und Gerechtigkeit protestieren, seien Gangster. Wer sind hier die Gangster?

E-Mail vom 15. Juni 2009, 18:45

Der Geheimdienst hört die Telefongespräche im ganzen Land ab. SMS verschicken funktioniert meistens auch nicht mehr. Deshalb kann ich nicht mit meinen Freunden in Teheran oder Isfahan sprechen. Die einzige Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben, sind E-Mails. Über das Internet informieren wir uns, tauschen uns aus. Vor allem über Twitter, den Nachrichtendienst, bei dem man kurze Blogs hinterlassen und abbonieren kann. Ich lese meistens die Twitter-Meldungen von openiran oder persiankiwi. Ich halte sie für glaubwürdig. Dort steht, dass Militärs Samstagnacht die Universität von Isfahan stürmten. Die Soldaten brachen die Türen zu den Schlafräumen auf und verhafteten 800 Studenten. 70 bis 100 von ihnen sitzen nun im Gefängnis. Keiner weiß, wo sie sind und was mit ihnen geschehen wird. In Teheran gab es Tote auf der Demonstration. Das sind laut Twitter ihre Namen:

Fateme Barati

Kasra Sharafi

Mobina Ehterami

Kambiz Shoaei

Mohsen Imani

E-Mail vom 16. Juni 2009, 0:33

Es ist schrecklich. Heute haben die Milizen die Universität von Shiraz gestürmt und sieben Studenten umgebracht. Ich war dort. Ich hatte mich mit Hadi verabredet, einem Kommilitonen von der Fakultät für Ingenieurswissenschaften. Ich wollte ihn an der Eram Street vor dem Campus treffen und wartete auf ihn, als eine Gruppe von Milizen an mir vorbeilief. Sie liefen auf den Haupteingang der Uni zu. Drinnen sollten sich die Studenten verbarrikadiert haben, hatte mir Hadi erzählt. Er war selber in der Uni, als er mir eine Nachricht schickte. Nachdem die Polizisten im Gebäude verschwunden waren, erklangen Schreie, Schüsse, die Explosion von Handgranaten. Ich rannte so schnell ich konnte. Vorbei an einer Frau, auf die gerade ein Polizist mit einem Stock einprügelte. Ein alter Mann lag auf dem Bordstein. Er war zusammengebrochen, in seinen Händen hielt er eine Gebetskette. Niemand half ihm. Auch ich nicht. Ich rannte weiter zu einem Häuserblock gegenüber vom Campus und klingelte bei einer Freundin an der Tür, die dort in einem Apartment im dritten Stock lebt. Vom Fenster aus beobachteten wir, was draußen auf dem Platz geschieht. Ich schicke die Fotos, die ich mit meinem Handy gemacht habe, damit Du glaubst, was ich schreibe. Hadi kam aus der Universität gerannt. Er ist der Junge in schwarzer Stoffhose, Turnschuhe und dunklem T-Shirt, den ein Polizist verprügelt. Auf einem der Bilder siehst Du, wie ihm ein Mädchen in einem grünen Mantel helfen will. Sie geht auf den Polizisten zu, der Hadi am Arm gepackt hat und sagt etwas, ihre Hände gestikulieren. Der Soldat ignoriert sie. Er schlägt weiter auf Hadi ein, dann führt er ihn ab. Hadi wehrt sich, hat aber keine Chance. Ich stand am Fenster und musste zusehen, ohne etwas tun zu können. Ich weiß nicht, was Hadi verbrochen haben soll und wo er nun ist. Am späten Nachmittag rief mich jemand auf dem Handy an. Es war ein Mann, eine unbekannte Stimme. Er sagte, dass ich abends mein Haus nicht mehr verlassen darf. "Wenn wir dich noch mal draußen sehen, wirst du verhaftet", sagt der Fremde. Ich habe entsetzliche Angst ... Bitte. Bitte erzähl der Welt von den Menschen, die verschwinden. Sie bringen uns um!

E-Mail vom 16. Juni 2009, 4:40 Uhr

Ich kann nicht schlafen. Ich sitze zu Hause am Schreibtisch und muss weinen. Es ist mitten in der Nacht. Draußen auf den Dächern stehen Menschen und rufen Allahu Akbar - Gott ist groß. Wie damals bei der Revolution von 1979, als der Schah ins Exil flüchtete. Die Sprecherchöre klingen gespenstisch in der Stille. Gleichzeitig enthusiastisch und voller Hoffnung. Es sind die Stimmen von Verzweifelten und Betrogenen, die sich nicht zum Schweigen bringen lassen wollen.

E-Mail vom 17. Juni 2009, 14:05 Uhr

Heute bin ich mit drei Freunden zur Polizeistation in Shiraz gegangen. Ein dicker Mann in Uniform sagte uns, er wisse nicht, wo Hadi ist. Hadis Familie macht sich fürchterliche Sorgen. Der Wächterrat hat heute angeordnet, dass ein Teil der Wahlzettel stichprobenartig nochmals gezählt werden soll. Was soll das bringen? Die Helfer, die das letzte Mal die Stimmen ausgezählt haben, machen es nun erneut. Es wird dabei keine objektiven Beobachter geben. Was macht das für einen Unterschied?

E-Mail vom 17. Juni 2009, 19:21 Uhr

Vorhin hat mich ein Freund angerufen. Lilian und der Doktor sind vor einer Stunde in Teheran verhaftet worden. Du erinnerst Dich, Du hast sie bei Deinem letzten Besuch kennen gelernt: Lilian, das Mädchen mit den schwarzen Haaren, das immer Gitarre gespielt hat. Und der Doktor, der an der Universität von Teheran Soziologie unterrichtet. Lilian war gerade in seinem Apartment im Norden der Stadt, als die Bassidschi, die Milizen der Regierung, an die Haustür vom Doktor klopften und beide festnahmen. Angeblich soll der Doktor in irgendwelche politischen Aktionen verwickelt sein. Vielleicht wurden ihre Telefone abgehört.

E-Mail vom 18. Juni 2009, 15:31

Keine Nachricht von Lilian und dem Doktor. Hadi ist frei. Er ist jetzt in einem Dorf in der Nähe von Shiraz. Er versteckt sich. Die Polizisten waren im Haus seiner Eltern und haben die Satellitenschüssel auf dem Dach zertrümmert. Das passiert hier in jeder zweiten Wohnung. Bei uns waren sie noch nicht, aber wenn ich hier bin, schrecke ich bei jedem Geräusch zusammen.

E-Mail vom 18. Juni 2009, 16:53

Hier schicke ich Dir eine Rundmail. Es ist eine Mail, die das Student Solidarity Movement versendet, eine Organisation von Studenten, zu der ungefähr 600 Mitglieder aus den verschiedenen iranischen Provinzen gehören.

Ein Bild ist besonders schrecklich. Einer schwangeren Frau wurde während einer Demonstration in Teheran am 15. Juni in den Bauch geschossen. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht und operiert. Die Ärzte holten ein totes Kind aus ihrem Bauch. Die Kugel hatte es in den Rücken getroffen. Auch seine Mutter starb kurz nach der Operation. Die Mail sagt auch, wie viele Menschen seit den Protesten nach der Wahl umgekommen sind. Die Zahlen sind nicht gesichert, aber es sollen 250 Tote sein.

E-Mail vom 19. Juni 2009, 17:15

Heute hat Ayatollah Chamenei in der Teheraner Universität die Freitagspredigt gehalten. Er sagte, Fehler in der Wahlauszählung seien nicht möglich. Am Ende weinte er. Er sprach zu dem 12. Imam und sagte: Ich will so sterben, wie du starbst. Er hintergeht die Menschen schon wieder! Ich hasse ihn. Ich hasse ihn wirklich. Der Iran ist kein Ort mehr, an dem ich leben möchte.

E-Mail vom 21. Juni 2009, 00:30

Trotz des Demonstrationsverbots haben sich heute Tausende auf Teherans Straßen versammelt, um für eine Neuwahl und Mussavi zu demonstrieren. Ich bin mir sicher, dass dabei mindestens zehn Leute umgekommen sind. Ich sah viele Videos auf Youtube. Es ist schrecklich. In Shiraz sind die Straßen voller Soldaten. Aber die Menschen demonstrieren weiter und rufen Parolen: Allahu Akbar - Gott ist am größten. Die Militärs knüppeln jeden nieder, der schwarze Kleidung trägt und nicht so schnell laufen kann wie Jackie Chan.

E-Mail vom 23. Juni 2009, 6:58

Ich weine. So viele Menschen sind tot. Die Soldaten und das Militär tragen Zivil. Sie haben Waffen. Sie benutzen sie ... überall ... In Shiraz sah ich eine tote Person. Die Militärs zerbrechen die Fensterscheiben der Wohnungen von den Menschen, die nachts auf den Dächern stehen und rufen. Sie sperren alle Menschen ein, die schwarze oder grüne Kleidung tragen. Am Himmel kreisen Helikopter, die irgendeine Substanz auf die Menschen sprühen, die unterwegs sind, ich weiß nicht, was es ist. Ich bin verzweifelt. Was glaubst Du? Was wird mit uns geschehen?

E-Mail vom 25. Juni 2009, 16:25

Ich sehe mir immer wieder das Youtube-Video von Neda an, dem Mädchen, das während einer Demonstration in Teheran erschossen wurde. Die Arme! Sie war erst 27 Jahre alt, ungefähr so alt wie ich.

Wir haben das Informationsministerium angerufen, um zu fragen, wo der Doktor ist. Sie sagen, sie wissen es nicht. Er sei nicht verhaftet worden. Das kann nicht stimmen, denn seine Freundin Lilian war ja dabei, als die Polizisten ihn abholten. Es ist eine Taktik. Sie stellen sich dumm, für den Fall, dass dem Doktor etwas passiert. Dann gibt es keine Beweise, dass die Regierung schuld ist.

E-Mail vom 28. Juni 2009, 17:30

Die Regierung hat acht Angehörige der britischen Botschaft in Teheran verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie die Proteste gegen den Wahlbetrug angeheizt haben. Gerade wurden im Fernsehen Iraner gezeigt, die während den Demonstrationen festgenommen wurden. Sie bestätigen die Meldung, dass die Engländer sie zu den Protesten angestachelt hätten. Ich will nicht wissen, wie oft man sie geschlagen hat, damit sie diese öffentliche Falschaussage machen.

E-Mail vom 29. Juni 2009, 14:36

Heute hat der Doktor bei Lilian angerufen. Das Gespräch dauerte nur zehn Sekunden. Er sitzt in Evin, dem Gefängnis, in das politische Gefangene gebracht und gefoltert werden. Er wusste nicht, dass Lilian in Sicherheit ist. Kannst Du Dir vorstellen, wie viele Sorgen er sich um sie gemacht hat? Und kannst Du Dir vorstellen, wie sehr wir uns um ihn sorgen?

E-Mail vom 30. Juni 2009, 11:30

Ich wünschte, ich könnte fliehen. Einfach raus aus dem Chaos im Iran. Aber kein Land der Welt wird mir eine Aufenthaltsgenehmigung geben. Hast Du aufgeschrieben, was ich Dir erzählt habe? Ich vermiss Dich, Fardin

Carola Hoffmeister schreibt gerade an einem Buch über den Iran. Es erscheint nächstes Jahr im Picus-Verlag.