Bandscheibenpatienten trifft man beim Arzt, in der Reha und an Ampeln, krumm wie Bananen. Einer geht wieder gerade: Christian Zaschke. Über die Geschichte seines Rückens sprach er mit Irene Jung, Autorin und Leidensgenossin.

Wir kennen uns nicht. Aber Christian Zaschke und mich und etwa 15 Prozent der anderen Bundesbürger verbindet etwas: Wir haben alle chronische Rückenprobleme. Meine Bandscheiben sind Schrott, die von Zaschke waren sogar noch etwas schrottiger. Deshalb machte er eine dreiwöchige Reha-Kur. Was er dort erlebte, hat er in einem wahnsinnig komischen Buch aufgeschrieben: "Tanz den Fango mit mir".

"Ein Bandscheibenvorfall ist wie ein Hund", schreibt Zaschke. "Wer mit einem Hund rausgeht, findet sich bald in Gespräche mit anderen Hundehaltern verwickelt, die sich um Hunde drehen." Wer mit einem Bandscheibenvorfall rausgeht - in die Arzt-, Röntgen-, Orthopädenpraxen und Reha-Kliniken -, trifft Gleichgesinnte, die sich über Bandscheibenvorfälle unterhalten.

Und zu erzählen gibt es viel. Jeder schleppt eine meist lange, bunte Leidensgeschichte mit sich. Man kann sich schon in Kürzeln verständlich machen. "Auch L 4/5?" "Genau." Bei Zaschke waren es L 3/4 und L 4/5.

L 4/5, das ist der verflixte Übergang vom vierten zum fünften Lendenwirbel. Quasi die Sollbruchstelle der Wirbelsäule: Hier finden die Bewegungen statt, die vom Rumpf ins Becken und in die Beine übergehen.

"Warum klopfst du eigentlich immer auf dein linkes Bein?", wurde Zaschke von Freunden oft gefragt. Für ihn gehörte es schon dazu: Mit dem Klopfen übertönte er den Schmerz, der von seiner vorgefallenen Bandscheibe ins linke Bein zog. "Die Leute hielten das für einen Tick von mir", sagt er.

Die ersten Rückenschmerzen hatte er im Zivildienst, als er mit einem Kollegen Patienten auf der Trage durch Treppenhäuser wuchten musste. Schlimmer erwischte es ihn mit 25, als er in Edinburgh studierte und am Vorabend einer wichtigen Prüfung Fußball spielte. Während des Spiels zog es plötzlich in seinem Rücken, er lief trotzdem weiter, nur etwas krumm. Eine Stunde später noch viel krummer. Am nächsten Morgen musste er sich von Mitbewohnern alles an Schmerzmitteln zusammenschnorren, was es im Haushalt gab. An der Prüfung nahm er wie in Trance teil - und im Stehen.

"Ich habe es viel zu spät ernst genommen", sagt Zaschke. "Anstatt auf meinem Oberschenkel herumzuklopfen, hätte ich Rückentraining machen müssen. Als ich zum ersten Mal das ganze Programm verschrieben bekam - Spritzen, Massagen, Krankengymnastik -, sagte mir die Therapeutin schon: ,Sie müssen jetzt anders leben, anders sitzen, anders Sport treiben.' Aber mit Mitte 20 ist einem das zu blöd."

Mit Anfang 30 auch. Als es mich erwischte, hatte ich ein kleines Kind, das mehrmals täglich aus dem Bett gehoben, herumgetragen, gewickelt und in den Buggy gelegt werden musste. Die Bauchmuskulatur ist nach der Schwangerschaft noch nicht wieder in olympiareifem Zustand. Wenn man gerade das Multitasking lernt ("ich mach das eben auch noch schnell"), überhört man den Rücken.

Dabei müsste uns schon die Sprache warnen. Sie drückt ja aus, welche zentrale Rolle die Wirbelsäule in den Alltagserfahrungen spielt. Wir legen uns krumm für eine Reise oder ein neues Auto. Wir versteifen uns auf ein Thema. Wir wollen selbst bei Genickschlägen im Leben noch Rückgrat zeigen. Wir sind manchmal kreuzunglücklich .

Schon lange wissen Psychosomatiker, dass falsche Haltung oft etwas mit falschem Denken zu tun hat. Jede Gesellschaft hat die Wirbelsäulen, die sie verdient. Wo Untertanen gefragt sind, muss sich niemand über krumme Rücken Gedanken machen. Aber eine Kultur, in der selbstständiges Denken und Handeln notwendig ist, muss ihren Wirbelsäulen die artgerechten Bewegungsspielräume lassen: stehen und auf die Dinge zugehen, sich umdrehen, sich gerade machen - sich aber auch mal beugen und fallen lassen.

Weil wir leistungsfähig und belastbar sein wollen, kommt das Beugen und Fallenlassen zu kurz. Meine frühere Krankengymnastin beobachtet ein "Durchhaltesyndrom" bei vielen ihrer Patienten. Dazu passt der Fitness-Ehrgeiz: der Glaube, man könnte Rückenschmerzen mit "hartem" Training wegpowern.

In Wahrheit würde eher die Parabel vom Tai-Chi passen: Ein Reiher und eine Schlange kämpfen miteinander. Jeder von beiden windet sich, weicht flexibel aus, sucht immer wieder Stabilität, bevor er von Neuem angreift. Die Bewegungen fließen.

Zaschke hätte beim Fußball einfach aufhören können. Ich hätte einfach eine Mutter-Kind-Kur beantragen können. Haben wir aber nicht.

Stattdessen haben wir gelernt, dass es beim Streit über die vermeintlich beste Therapiemethode häufig um Glaubensfragen geht. Felden-krais, Pilates, Alexandertechnik? Akupunktur oder Cranio-Sacral-Therapie?

Letztere zum Beispiel basiert auf der Idee, dass Gehirn und Rückenmark von einer quasi pulsierenden Flüssigkeit (Liquor) umgeben sind, die bis hinunter in die Füße reicht. Die Massage soll diesen Cranio-Rhythmus ertasten, Blockaden aufspüren und den richtigen Puls wieder reanimieren. Ich bin während der Massage eingeschlafen, aber die Schmerzen blieben.

Oder die "Massai barefoot technology". Das ist ein Schuh mit konvexer (nach unten runder) Sohlenform. Durch den absichtlich weichen und wabbeligen Schuhboden hat der Fuß keinen vorgegebenen Halt, sodass der Körper beim Gehen immer aktiv selbst ausbalanciert werden muss - ein permanentes, tänzelndes Rückentraining.

Angeblich ist das dem Volk der Massai abgeguckt, das mit seinen Rindern durch die ostafrikanischen Savannen zieht. Ich habe Massai in Kenia kennengelernt. Sie zeigten uns stolz ihre selbst gemachten Sandalen: zugeschnitten aus alten Autoreifen. Damit latschten sie durch den Busch. Von wegen tänzeln.

Wahrscheinlich haben halbwegs gesunde Menschen noch die Energie, all das auszuprobieren. Fortgeschrittene Bandscheibenpatienten checken dagegen sehr schnell und nüchtern: Hilft mir das jetzt oder nicht? Einen Chiropraktiker, der Ihnen mit Schwung das Bein hochreißt und munter ruft: "Nahaa, tut das weeeh?", werden Sie nie wieder aufsuchen.

Auch Christian Zaschke erzählt schaurig-schöne Geschichten. In seiner Rehaklinik traf er im Herbst 2007 eine Ansammlung seltsamer Menschen: die fröhlichen Vereinstypen, die stets in Mannschaftsstärke im Fangobad aufkreuzen und dazu noch singen; oder den Dauerfußballgucker, der nach der Ankunft als erstes den Premiere-Decoder anschließt; den einsamen Raucher. Und den Veteranen ("Ist schon meine fünfte Reha - bringt alles nix").

Zaschke brachte es was - vorübergehend. Sowie er die Medikamente absetzte, ging es ihm schlecht. Im Winter jedoch musste er seinen L 4/5 doch operieren lassen.

Seitdem hat er sein Leben wirklich geändert. Mindestens einmal die Woche macht er Rückentraining. Im Büro hat er jetzt einen Stehtisch: "Den kann ich rauf- und runterfahren und zwischendurch immer mal ein Stündchen im Stehen arbeiten." Er kauft keine ganzen Bierkästen mehr: "Ich habe diese trennbaren Kästen, die eigentlich für Frauen entwickelt wurden, weil sie nicht so schwer sind."

Er hebt überhaupt keine schweren Gegenstände mehr. Das führt manchmal zu peinlichen Situationen: "Zum Beispiel wenn meine Frau und ich aus dem Zug steigen und sie den schweren Koffer raushebt. Dann haben mich schon umstehende Herren blöd angemacht: ,Was lässt du die arme Frau den Koffer tragen?' Das ist ein Bild, mit dem die Leute offenbar nicht klarkommen."

Der Gesichtsverlust ist ihm inzwischen egal. Er kann ja nicht jedes Mal erklären: "Also, ich hatte zwei Bandscheibenvorfälle, und nach der letzten Reha ..."

Es sei denn, er träfe auf einen Bandscheibenschaden L 4/5.

Christian Zaschke hat über sein Leiden ein Buch geschrieben: "Tanz den Fango mit mir. Die Geschichte meines Rückens", Goldmann, 188 S., 14,95 Euro.