Dierk Strothmann über Ersatzkriege, Underdogs und Tore auf der falschen Seite

Mit Hamburg hat er eigentlich nicht viel am Hut. Nur, dass er einmal meinte, wenn auf einem Grabstein nur "Hamburg 1974" eingemeißelt werde, dann wüsste jeder, "wer da in der Kiste liegt". 1974? Hamburg? Blättern wir einmal nach. Helmut Schmidt wird Bundeskanzler, Hans-Ulrich Klose löst Peter Schulz als Bürgermeister ab, die Köhlbrandbrücke wird freigegeben. Alles wichtige Ereignisse, aber für einen Grabstein unpassend.

Nein, es war etwas ganz anderes. Es passierte am 22. Juni, drei Minuten nach neun Uhr abends, im Volksparkstadion. Eine bräsige, arrogante und lustlose bundesdeutsche Fußballnationalmannschaft um Legenden wie Beckenbauer, Meier, Breitner, Vogts, Netzer, Hoeneß und Müller fing im letzten Gruppenspiel der Fußballweltmeisterschaft ein Tor ein.

Jürgen Sparwasser aus Magdeburg schießt es, und er ist der mit dem Spruch über den Grabstein. Peinlich, peinlich. Der Underdog aus der DDR besiegt den WM-Favoriten im eigenen Wohnzimmer. Das war sportlich zwar an sich nicht schlimm, denn die Bundesrepublik wurde später trotzdem Weltmeister, und die DDR schied in der zweiten Runde aus, aber es war eine empfindliche Niederlage. Eine Schlappe im Kampf der Systeme.

So was war in den 70er-Jahren zwar nicht gang und gäbe, aber zwei Jahre zuvor, 1972, hatte es schon in einer Sportart ein "Match des Jahrhunderts" gegeben, einen "Ersatzkrieg" zwischen dem Amerikaner Bobby Fisher und dem Russen Boris Spasski. Die Weltmächte standen einander auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges waffenstarrend gegenüber, und weil Schach nach dem Zweiten Weltkrieg ausschließlich von Russen beherrscht worden war, spielte ein einzelner US-Supermann gegen ein ganzes Schach-Imperium. Das Ereignis wurde zu einem Wettkampf der Ideologien, die Sowjets wollten die Überlegenheit des Kommunismus bewiesen wissen, die Amerikaner das Gegenteil. Das sollten nun ein sensibler Grübler aus Leningrad und ein unberechenbarer Sonderling aus Chicago austragen. Schließlich gewann Fisher nach 21 Partien. Hier also hatte der "Richtige" gewonnen.

In Deutschland war die Situation auch in dieser Beziehung anders. Die Regierung Brandt hatte das Verhältnis zum "Bruderstaat" im Osten aufgeweicht und sogar völkerrechtlich verbindliche Verträge geschlossen. Sonst hätte die Beckenbauerelf gar nicht gegen Sparwasser und Co spielen können, denn nach den Regeln der Hallstein-Doktrin gab es die DDR ja gar nicht. Und gegen etwas, das es nicht gibt, kann man auch nicht Fußball spielen.

Die Amerikaner hatten mehr Glück in diesen "Ersatzkriegen" als wir Westdeutschen. 1980 bei den Olympischen Spielen schlugen die US-Boys die als unbesiegbaren geltenden Eishockey-"Sputniks" und gewannen Gold. Das war das "Wunder von Lake Placid".

Einmal gab es nach einem Fußballspiel sogar richtigen Krieg. Im Juli 1969, als El Salvador Honduras im entscheidenden WM-Qualifikationsspiel für Mexiko mit 3 : 2 schlug. Da kochte die Volksseele hoch, allerdings hatte sich die Lage zuvor schon zwischen den beiden Nachbarstaaten wegen illegaler Einwanderung zu einem explosiven Hexenkessel hochgeschaukelt. Daran sieht man, was passieren kann, wenn auf der falschen Seite ein Tor fällt ...