Ich sah sie über den Strand stolzieren, eine junge Frau und eine ältere, schlanke, die ihre Mutter sein musste. Die beiden parlierten und lachten...

Ich sah sie über den Strand stolzieren, eine junge Frau und eine ältere, schlanke, die ihre Mutter sein musste. Die beiden parlierten und lachten dabei, braun gebraten und vollkommen nackt - das Geschlecht der Mutter war überschwänglich, das der Tochter nur spärlich behaart, eine kleine Bürste, wie einige der Freunde meines Sohnes sie neuerdings auf den Köpfen trugen. Die Alte erzählte was und hielt dabei den Oberarm der Tochter fest umfasst. Die Junge sprang plötzlich in die Luft, als wolle sie die Welt umarmen. Ich konnte nur einzelne Fetzen verstehen, ein "he" und "gi" und "mo", den Rest verschluckte das Rauschen der Gischt. Ich drückte die Schultern durch, atmete ein und sah mit ernster Miene zum Horizont. Als sie vorübergingen, huschte der Blick der Jungen mir kurz in die Augen und dann sofort weg. Ich ging ein Stück weiter, drehte mich nach ihnen um und betrachtete ihre Hinterteile - das der Mutter hager, fast asketisch, das der Tochter breiter und glatt. Zwei Zöpfe wippten, vier Fersen tanzten durch die Brandungszungen. In den Pospalten glitzerten Sandkörner. Dann wieder lautes Lachen. Plötzlich drehte die Mutter sich um, und ihr Blick traf sich mit meinem. Sie zog die Augenbrauen hoch, und diesmal war ich es, der wegsah.

Ich badete kurz und lief dann durch die Dünen zurück zum Hotel. Die Tage waren kürzer geworden; das Dünengras wurde schon braun. Ich hüpfte und freute mich, dass ich seit drei Jahren ins Studio ging und mir inzwischen ein paar Muskeln antrainiert hatte. Ich wollte kein blöder Dackel werden, schwabbelig und feist und gerade noch fähig, hin und wieder ein wenig herumzugeifern.

Das Hotel lag am Hang, ein weiter, weißer Bau wie ein Ozeandampfer mit blauen Markisen und gelben Läden. Ich nahm die Treppen im Sprung. Im Foyer drehte ich eine Pirouette, um zwei Kindern ein Zwinkern zu schenken. Plötzlich rief mir Moritz vom Rezeptionstresen hinterher.

"Herr Gurski?"

Ich drehte mich um.

"Sie haben Post", sagte er.

Ich ging drei Schritt auf ihn zu und nahm den Zettel entgegen: "Lieber Schatz! Du hast mal wieder Dein Handy vergessen ... freust Du Dich eigentlich schon? Morgen früh um acht sind wir bei Dir. Ich bring Deine Badehose mit. Die hast Du auch vergessen! Dein Kater Misch."

Ich hob den Zettel an die Lippen und küsste das Papier, faltete ihn zusammen und schob ihn in die Hosentasche. Ein Schweißtropfen hing an meiner Nase; ich blies ihn einfach weg. Ich fuhr im Fahrstuhl nach oben und goss mir Wasser in ein Glas. Ich sollte noch eine Kurzgeschichte über die Liebe schreiben. Mein Notebook stand aufgeklappt auf dem Schreibtisch. Ich setzte mich hin und schrieb: "Ich sah sie über den Strand stolzieren, eine junge Frau und eine ältere, schlanke, die ihre Mutter sein musste."

Kater Misch, dachte ich.

Ich duschte heiß, frottierte mich ab und legte mich schließlich mit einem Tee auf den von der Spätsommersonne gewärmten Balkon.

Am Abend saß ich im Restaurant des Hotels und studierte die Speisekarte, als die Mutter und ihre Tochter plötzlich den Saal betraten und sich an einen winzigen Tisch beim Orchester setzten. Die anderen Gäste sahen auf. Die Mutter trug ein Kleid, das weiß und mit Pailletten besetzt war und bis zum Boden reichte; die Tochter trug einen Leinenanzug und eine grüne Kette. Ich bestellte Salat und Lachs und rauchte erst mal eine Zigarette. Während ich aß, sah ich hin und wieder rüber zu den beiden. Ich erwartete, dass ein Mann käme und sich dazusetzte; zwei gingen vorbei, dann ein dritter, und jeder guckte die Frauen an, aber die Blicke dieser Burschen blieben unerwidert. Die Mutter scherzte, und die Tochter hörte ihr aufmerksam zu. Dann scherzte die Tochter, und die Mutter lachte, als sei sie frisch verliebt. Zwei funkelnde Steine, dachte ich. Ein Topaz und ein Rubin. Sie schwenkten ihre Rotweingläser, brachten Trinksprüche aus, nippten, ließen mit großen Gesten eine Flasche zurückgehen und bestellten schließlich Champagner. Ich aß mein Tiramisu, trank meinen scharfen Grappa leer und starrte die beiden an. Der dritte Platz an ihrem Tisch blieb frei. Plötzlich sah die Tochter rüber; ich tat, als starrte ich an ihr vorbei auf die Dekoration des Büffets, die Plastikhummer und eine geflügelte Skulptur aus Eis. Nun sah auch die Mutter rüber. Die beiden tuschelten; sie lachten, grinsten, giggelten, und ich grinste zurück und wartete, dass sie mir Zeichen gäben, mich zu ihnen zu gesellen.

Plötzlich wandten sie sich ab. Ich zahlte und blieb sitzen, aber die beiden hatten jedes Interesse an mir verloren und schienen sich nun ernsteren Gesprächsthemen zu widmen.

Ich ging durch den Garten zur Toilette. Der Spiegel war ziemlich verschossen. Ich drückte die Brust raus, streckte das Kinn vor und bleckte die Zähne. Ich sah nicht schlecht aus. Ich wollte mich an die Bar setzen und abwarten, was passierte; manchmal kam dort mein alter Bekannter Fietje Mommsen vorbei und erzählte irgendwelche Zoten vom Inselleben. Ich fuhr mir durchs Haar und strich den Kragen meines Hemdes glatt.

Als ich mir gerade die Hände wusch, klopfte es an der Tür.

"Ja", sagte ich.

Es klopfte wieder.

"Immer herein", rief ich.

Die Tür sprang auf, und die beiden Frauen kamen herein.

"Entschuldigung", sagte die Mutter. Ich konnte ihre Augen sehen, die Pupillen gebettet in dunkles Braun und fast perfektes Weiß.

"Ist hier noch was frei? Bei uns nebenan ...", sie kniff die Lider zusammen und hielt sich mit einer übertriebenen Geste die Nase zu.

Ich ließ aus Versehen mein Handtuch fallen.

"Natürlich", sagte ich. "Wollen Sie ... ich meine, soll ich Ihnen ..."

Ich ging zur Kabine und hielt ihr die Tür auf.

"Bitte", sagte ich.

"Warten Sie hier", sagte die Tochter. "Nicht dass ein Mann kommt."

"Okay", sagte ich.

Ich stand bei den Waschbecken. Ich hörte, wie ein Reißverschluss heruntergezogen wurde und jemand sich auf die Klobrille setzte. Die Mutter summte eine Melodie; die Tochter fiel leise ein. Ich glaubte, eine Ouvertüre von Mozart zu erkennen. Kurze Zeit später schlossen sie auf und kamen wieder raus.

"Vielen Dank", sagte die Mutter.

"Sehr gerne", sagte ich.

"Sie sind toll", flötete die Tochter und zwinkerte mir zu. Sie hakte sich bei der Mutter ein. Als sie hinaus waren, konnte ich ihr Gelächter über die Gänge hallen hören.

Am nächsten Morgen kam Kater Misch. Er drückte die Tür auf, stellte die Taschen auf den Boden und kroch zu mir ins Bett. Er schüttelte sich, schnurrte leise und leckte mir übers Gesicht. Dann streckte er seine Tatzen aus und griff mir in den Pyjama.

"Was ist mit den Kindern", sagte ich.

"Sind unten am Strand beim spielen."

"Ertrinken die nicht?"

"Ach was", sagte Misch. "Da sind noch andere dabei."

Kater Misch begann, sich im Liegen den BH, die Bluse und den Rock auszuziehen. Zuletzt das Höschen abzustreifen war meistens meine Sache. Ich betrachtete Kater Misch: die funkelnden Augen, das spitze Kinn - ein fröhlicher Frühaufsteher mit einem Pony im Gesicht.

"Was ist", sagte Misch.

"Nichts", sagte ich. "Alles in Ordnung."

Ich überlegte, wie lange wir uns kannten. Ein Leben lang, dachte ich. Dann zog ich mich aus und dachte für diesen Moment an gar nichts mehr. Nur daran, wie sehr ich Misch liebte. Mehr brauchte ich nicht.


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