Dierk Strothmann über treue Gefährten und den Dienst am Publikum

Wir schreiben das Jahr 1954: Elvis Presley nimmt seine erste Single auf, Mercedes bringt den 300 SL auf den Markt, in Fuhlsbüttel starten die ersten Lufthansa-Maschinen, und Hamburg wird zur Drehscheibe des niegelnagelneuen Fernsehens: Die "Schölermanns" zeigten, wie "unsere Nachbarn heute Abend" lebten, das Ohnsorg-Theater eroberte die noch ziemlich flimmernde Mattscheibe, und da war noch ein gewisser Peter Frankenfeld, der in großkariertem Jackett kleine Propeller ins Publikum schoss. Wer sie fing, durfte mitmachen: einen Luftballon rasieren oder andere drollige Spielchen treiben.

"1 : 0 für Sie" war der Titel der Sendung, und es war der erste ganz große Publikumserfolg des Deutschen Fernsehens - eine durch und durch Hamburgische Sendung, die mal aus der Musikhalle kam, mal aus Harburg oder in Planten un Blomen aufgezeichnet wurde.

Und es gab auch etwas zu gewinnen, zwar keine Million wie bei Jauch, aber immerhin kleine hübsche Aufmerksamkeiten, und da brauchte Frankenfeld dringend einen Glücksboten. Da er ein Genie war, entdeckte er ihn eines morgens höchstpersönlich. Es war, naheliegend zwar, aber da muss man erst einmal drauf kommen, der Postbote von Lokstedt. Er hieß Walter Spahrbier.

Walter Spahrbier war ein Beamter wie aus dem Bilderbuch, ein aufrichtiger, gradliniger, ordentlicher Mitbürger, der in stoischer Ruhe, Bescheidenheit und hölzerner Würde mehr als 20 Jahre lang wie ein Perpetuum Mobile einen Job machte, der eigentlich gar keiner war. Er stolzierte auf den Bildschirm, tippte an seine hoch aufragende Postlermütze und überreichte Briefumschläge, fast immer stumm und mit geschäftsmäßiger Miene.

Das machte er aber mit so treuherziger Aufrichtigkeit, dass niemand auf die Idee kam, sich über ihn lustig zu machen - noch nicht einmal Peter Frankenfeld, dem sonst nicht viel heilig war. Spahrbier blieb ein "running gag", der unverzichtbare "Postillon de la fortune", zunächst bei Frankenfeld in mehreren Sendungen und später bei Wim Thoelke im "Großen Preis". Das machte ihn bei mehr als 80 Prozent der Bevölkerung bekannt. Kurz: Er war ein Star.

Und was hatte er davon? Er tat unverdrossen seine Pflicht als Briefträger, drehte jeden Tag seine Runde, verteilte Briefe und Päckchen. Die einzige Vergünstigung, die ihm sein Arbeitgeber zugestand, waren (nach zehn Jahren Fernsehkarriere) vier freie Tage, wenn er zum Dreh musste. Er lebte vom Gehalt eines Postboten und bekam noch ein Almosen vom Fernsehen, anfangs gerade einmal 60 Mark im Monat, die im Laufe der Jahre zu 1000 Mark aufgestockt wurden.

Spahrbier beklagte sich nicht, trat ohne zu Murren bei Thoelke in historischen Postuniformen auf (gelegentlich sogar mit falschem Bart) und freute sich, wenn er als "Inbegriff der Zuverlässigkeit" bezeichnet wurde. 1980 sammelte er Geld. Insgesamt 100 000 Mark kamen zusammen, aber nicht für ihn, sondern für die "Aktion Sorgenkind". Dafür verlieh ihm dann der Bundespräsident das Bundesverdienstkreuz am Bande. Das ist für den Staat relativ preiswert, denn das wird nicht dotiert.

Spahrbier war, wie Autor Manfred Riepe in seinem Buch schreibt: "Platzhalter für einen Typen, der rundherum funktioniert (deutsche Wertarbeit im Bereich des Charakters). Das Besondere an ihm war, dass er wie kein zweiter des Amtes waltete, für das er beamtet war."

Der Tod holte Walter Spahrbier am 31. Juli 1982 im Alter von 77 Jahren.