Die Deutschen sind Heimwerker. Selbermachen ist wieder Volkssport geworden: In der Rezession greifen Männer und Frauen lieber selbst zu Malerrolle, Schleifgerät, Lötkolben und Phasenprüfer - und die Baumärkte werden zu Pilgerstätten.

Beim Anblick des Kostenvoranschlags trifft Peter Breiner fast der Schlag: Mehr als 1500 Euro verlangt die Malerfirma für den Anstrich seines 47 Quadratmeter großen Wohnzimmers. Viel zu teuer für den 36 Jahre alten Bankangestellten. "Machs doch selbst", rät ihm ein Bekannter: "Das wird mindestens um die Hälfte billiger, und du bist anschließend richtig stolz auf dich!" Am Wochenende fährt Peter Breiner zum Baumarkt, versorgt sich mit Pinseln, Rollen und Farbe. Und die anderen sind auch alle da: die Kinderpflegerin auf der Suche nach Gardinenstangen, der Rentner mit dem Schleifpapier und der Student beim Laminat-Vergleich. Deutschland befindet sich im Fräs- und Dübelwahn. 31,4 Millionen Bundesbürger besuchten im vergangenen Jahr die Baumärkte. Eine neue Statistik des Nürnberger Martktforschungs-Instituts "Icon" ergibt, dass in den ersten sechs Monaten des Jahres 2002 bereits 16,9 Millionen Heimwerker in die "Tüftler-Tempel" ( Süddeutsche Zeitung ) zwischen Kiel und Konstanz pilgerten. Vor allem am Wochenende werden die Baumärkte mit ihren endlosen Regal-Schluchten zu Wallfahrtsorten. Der Umsatz ist im Vergleich zu den ersten sechs Monaten des Vorjahres um 3,9 Prozent gestiegen. Immer mehr Hobbybastler entwickeln sich zu Profis im Umgang mit Akkuschraubern, Trennflexen und Stichsägen. Die wachsende Faszination des Werkelns hat mehrere Ursachen. Vielleicht der wichtigste Punkt: Das Geld wird knapper, und der wirtschaftliche Aufschwung ist nicht in Sicht. Hinzu kommt: Wir haben immer mehr Freizeit. Und damit auch viel Zeit, uns um die eigenen vier Wände zu kümmern. Und schließlich gibt es das wachsende Bedürfnis, uns kreativ zu betätigen - denn am Arbeitsplatz sind Experimente in der Rezession nicht so erwünscht. Immer spielt auch der legitime Wunsch eine Rolle, sich sein eigenes kleines Reich zu bauen: Statt der üblichen Einrichtung von der Stange lockt beim "Do it Yourself" die Aussicht auf individuellen und originellen Stil - vom passgenauen CD-Regal über den selbst gebeizten Tisch bis zum begehbaren Schrank. Der Typ des Heimwerkers hat sich in den letzten Jahren stark verändert. War das Heimwerken früher die Domäne handwerklich erfahrener und interessierter Männer zwischen 40 und 60 Jahren, ist der Umgang mit Hobel und Lötkolben heute eine Art Volkssport geworden, quer durch alle gesellschaftlichen Gruppierungen. Der Griff zu Flachzange und Fliesenmörtel ist auch kein geschlechtsspezifisches Phänomen mehr. Das beweist eine Umfrage der Zeitschrift Das Haus . Immer mehr Frauen finden Gefallen am Hämmern, Dübeln und Bohren. Ihr Anteil an der Heimwerkergemeinde beträgt bereits 38 Prozent. Den Trend bestätigt die Fachzeitschrift selber machen . "Wir haben inzwischen 34 Prozent weibliche Leser", weiß Chefredakteur Harald Apelt. "Früher kamen viele Menschen in den Baumarkt, weil ihnen Handwerker zu schlampig oder zu teuer waren", sagt Helge Bauer, Chef der Deutschen Heimwerker-Akademie in Leonberg. "Heute beobachten wir auch ganz andere Typen. Etwa den Kreativen, der nach individuellen Lösungen sucht und sie künstlerisch umsetzt. Oder den Entspannungsbastler, für den der Weg fast so wichtig ist wie das Ziel." Wenn man die Arbeitswelt, die Steuersätze und das Fertigessen schon nicht selbst gestalten kann, dann doch wenigstens Wohnung, Haus und Bastelkeller. "Do it Yourself" ist bei uns nach der Urlaubsreise zum zweitgrößten Freizeitmarkt geworden. 81 Prozent der Haushalte besitzen eine Bohrmaschine, immerhin 47 eine elektrische Säge, 39 ein Schleifgerät. Das hat das Münchner Institut für Freizeitwirtschaft jetzt herausgefunden. Etwa 70 Prozent aller Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten werden inzwischen in Eigenregie oder mit Hilfe von Freunden und Verwandten durchgeführt. Im vergangenen Jahr haben die Baumärkte in Deutschland mehr als 36 Milliarden Euro umgesetzt. Für 2002 rechnet die Branche mit einem "weiteren kräftigen Schluck aus der Pulle", so das Handelsblatt . Heimwerker haben schließlich auch prominente Vorbilder. Etwa den Kabarettisten Wolfgang Stumph ("Ich war Maschinenbau-Ingenieur, mein wichtigstes Utensil ist die komplett ausgestattete Werkbank im Keller"). Oder den Schauspieler Heinz Hoenig ("Beim Bohren, Schneiden oder Sägen entspannt meine Seele, und ich entdecke das Kind im Manne"). Und den Perfektionisten wie WDR-Intendanten Fritz Pleitgen ("Es gibt Prahler, Perfektionisten und Künstler. Ich gehöre zu denen, die beim Werkeln alles hundertprozentig erledigen wollen"). Das Image von "Do it Yourself" als sympathischer Lifestyle-Beschäftigung hat dem Heimwerken in den vergangenen Jahren das Attribut des Spießigen genommen. Aus dem Notbehelf ist eine Massenbewegung geworden. Die "Bohrmaschinen-Connection" (Stern ) ist nicht mehr zu stoppen. Sie hat sogar ihre eigene Fernsehshow: Jeden Sonnabend, am frühen Nachmittag zwischen 14 und 15 Uhr, gibt Moderator Florian Schwarz der Heimwerker-Armada wertvolle Tipps - in der "Vorher-Nachher-Show" beim TV-Sender Neun Live. Vom neuen Selbstbewusstsein der Tüftler zeugt auch der in diesem Jahr ausgeschriebene deutsche Heimwerkerpreis "Do-it". Er wurde im März auf der Kölner Eisenwarenmesse erstmals verliehen. Initiator ist die Deutsche Heimwerker-Akademie in Leonberg. Sie will mit dieser Auszeichnung "das gesellschaftliche Verhältnis zur handwerklichen Eigeninitiative verbessern". Christine von Welck, Sprecherin der Akademie, sagt: "Die Heimwerker sollen ein bisschen zum Stolz auf ihre Arbeit erzogen werden." Ob die eine solche "Erziehung" überhaupt noch nötig haben? Immerhin: Bei der Deutschen Heimwerker-Akademie, die mit Kursen wie "Schweißen leicht gemacht" oder mit Einführungen in "Holzdecken und Wandvertäfelung" dem gemeinen Tüftler höhere Weihen erteilt, holen sich jährlich zwischen 17 000 und 22 000 Bastel-Junkies Rat. Tendenz steigend. Interessant ist außerdem, dass sich die Bastelfreude sogar noch steigert, je weiter östlich man sich befindet. Vor allem die Ostdeutschen schätzen den Spaß am Selbermachen hoch ein. Während die Westdeutschen pro Kopf rund 247 Euro ausgaben, ließen sich die Bastler in den fünf neuen Bundesländern ihr Hobby mit durchschnittlich 331 Euro auffällig mehr kosten. Zum Teil liegt die Ursache dafür wohl in der langen Eigenbau-Tradition in der früheren DDR, zum anderen im unfreiwilligen Renovierungsstau in Zeiten der sozialistischen Mangelwirtschaft. Zu DDR-Zeiten galten Findigkeit beim Organisieren von Baumaterial und Eigeninitiative als oberstes Gebot. Und zum Teil sind auch die wesentlich niedrigeren Durchschnittseinkommen ein Grund. "Jahrzehntelang ist das Auto das Prestige-Objekt der Deutschen gewesen", sinniert Manfred Maus, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Heimwerker (BHB). "Jetzt, in dieser unsicheren, konfliktreichen Welt, werden die eigenen vier Wände wieder viel wichtiger." Die "fünfzölligen Muffelösen" sind eine Erfindung des Satirikers Dietmar Wischmeyer ("Der kleine Tierfreund"). Aber fragen Sie im Baumarkt doch mal nach Doppelsteckmuffen, Blindnietzangen, Pfeifenkopf- schlüsseln und Schwalben- schwanz-Zinkenverbindungen!