Sie sind querschnittgelähmt und spielen Rollstuhlrugby. Die Mitglieder des RSC Hamburg haben sich für eine harte Sportart entschieden - und gegen ein Leben im Schongang: Denn das Glück, finden sie, hängt nicht von den Umständen ab, sondern von der Haltung.

Trainer Daniel ist zufrieden mit dem neuen Rollstuhl. Das Sportgerät der Hightech-Klasse ist endlich geliefert, 5100 Euro teuer, ein Sponsorengeschenk. "Da machen wir gleich ein paar Beulen rein", sagt er angriffslustig, "das geht ganz fix."

Was Daniel Budweg (23) damit meint, wird Minuten später klar. Mit lautem Krachen knallen die ersten Rollstühle ineinander, verkeilen sich quietschend, nichts geht mehr, kein Vor, kein Zurück. Birgit versucht, Samir abzudrängen, die Rollstühle kleben aneinander wie beim Autoscooter. "Attacke!" Ein Schrei, Wolfgang fischt sich den Ball und rollt mit kräftigen Armstößen in Richtung Tor. Bevor die anderen gewendet haben und ihn einholen können, hat er den Ball energisch über die Linie gebracht. Was für ein Tor!

Dienstagabend, die Sportler des Rollstuhl-Sportclubs "RSC Hamburg" trainieren in der Halle des Querschnittgelähmtenzentrums im Unfallkrankenhaus Boberg. Zehn Spieler, sechs Männer und vier Frauen, alle querschnittgelähmt, mit unterschiedlichem Schweregrad. "Tetras" nennen sie sich oder "Teddys", eine Koseform von Tetraplegiker : Bei ihnen sind aufgrund einer schweren Verletzung des Rückenmarks im Halswirbelbereich nicht nur Beine, sondern auch Arme und Hände betroffen. An Rollstuhl-Rugby kann teilnehmen, wer an mindestens drei Gliedmaßen eingeschränkt ist, so die Definition des paralympischen Sports. "Wenn das Bein ganz ab ist, zählt es auch mit", sagt Wolfgang Carlsen (40) trocken - der Humor unter Körperbehinderten ist unnachahmlich.

Soeben haben die Hamburger beim Turnier in Köln alle Spiele gewonnen. "Ich bin stolz auf euch", sagt Daniel sanft. Der Trainer hat viel vor: In der kommenden Saison soll das Team endlich in die Zweite Bundesliga aufsteigen.

Allein bis in die Regionalliga war es ein weiter Weg, erzählt Initiatorin Birgit Poley (43), seit einem Autounfall 1984 verrentet. Gab es für Querschnittgelähmte doch nur die üblichen Sportarten wie Tischtennis und Bogenschießen. "Nichts zum Auspowern", bedauerte sie. Und vor allem keine Mannschaftssportart. Jahre vergingen, bis Poley eine Rugby-Gruppe zusammengetrommelt hatte und eine behindertengerechte Halle gefunden war. Mit Parkplätzen, breiten Türen und ohne Schwellen. Das Leben ist kompliziert, wenn man kein "Fußgänger" ist.

Sich anziehen, eine Zahnpastatube aufdrehen, das Bett beziehen, eine Tasse halten. Von einem Tag auf den anderen ist für Querschnittgelähmte, meist sind es Unfallopfer, alles anders. Der Alltag ist feindlich, bis der Behinderte Strategien entwickelt hat, sich sein Stück Freiheit zurück zu erobern. Vieles geht nur mit, manches ohne Hilfe. Einfache Gesten müssen neu gelernt, alles muss organisiert werden. Und nicht-behinderte Helfer brauchen manchmal selber Nachhilfe.

Allein die Fahrt und Vorbereitung zum Training ist ein Kraftakt. Helfer packen an, wenn die Spieler von ihrem Alltagsrollstuhl in den Sport-Rollstuhl wechseln, ihnen allen fehlt die nötige Kraft. "In meinen Händen habe ich keinerlei Sensibilität", sagt Birgit. Sie trägt einen speziellen Gummihandschuh. Der wird mit Klebeband am Handgelenk fixiert und mit Kleister eingesprüht. Nur so kann sie den Ball überhaupt halten und ihn dann mit ihrem nach vorne gebeugten Oberkörper festklemmen. "Ich muss den Ball zuerst mit den Augen greifen."

Weil auch die Bauchmuskeln bei Querschnittgelähmten nicht funktionieren, sind die Spieler mit einem Gurt an ihren Rollstuhl gebunden, sonst würden sie beim Aufeinanderprall herausfallen.

Zu besonderer Vorsicht animiert sie das jedenfalls nicht. Tetras gehen nicht zimperlich miteinander um, weder auf dem Spielfeld noch im Leben. "Wir lassen uns gegenseitig nichts durchgehen", sagt Stefan Ebert grinsend. "Mit der Nummer ,Ich bin ja so behindert, ich kann nicht schneller' kommt man bei uns nicht weiter." Seine Eltern hätten ihn jedenfalls nie in Watte gepackt.

Ebert arbeitet als Rechtsanwalt in Bremen und wohnt in Buchholz; demnächst wechselt er nach Hamburg in die Finanzbehörde: "Ich hab die ewige Pendelei satt." Seine Tage sind lang, sein Alltag ist durchorganisiert. Die wenige Freizeit teilt er mit seiner Freundin. "Ich habe immer einen Bogen um mütterliche Frauen gemacht", erzählt er. Seine jetzige ist davon meilenweit entfernt, "die sieht zu, dass ich selbstständig bleibe". Seine Behinderung hat ihn nie daran gehindert, Frauen kennenzulernen. "Die Männer kriegen leichter eine Partnerin als umgekehrt: Frauen sehen den Typen, nicht den Rolli", findet Birgit Poley, die alleinstehend ist, "Männer gucken mehr aufs Äußere." "Kann sein", sagt Wolfgang, der ebenfalls eine Freundin hat. "Ist das so?", fragt Stefan zweifelnd.

Vor 23 Jahren hatte er einen Badeunfall: Er ließ sich von einem Mädchen ins Wasser schubsen, ein Kinderstreich mit schlimmen Folgen. 13 Jahre war er damals. "Kein schlechtes Alter", meint er rückblickend, "ich konnte mich noch entwickeln." Stefan blickt nicht zurück, es ist, wie es ist. "Es hilft nichts, dem Leben hinterherzutrauern. Ich konnte eine Ausbildung machen, ich habe einen festen Freundeskreis, ich hab mir alles erarbeitet." Selbstmitleid liegt ihm fern. Deswegen verließ er auch eine Sportgruppe in Flensburg: "Die waren mir zu weinerlich, ich bin lieber mit Haudrauf-Typen zusammen", sagt er und grinst charmant.

Vom Spielfeld sind Geschrei und das Knirschen von Gummibelägen zu hören. Die Abwehrspieler versuchen die Angreifer aufzuhalten, wieder und wieder knallen die Stoßstangen ihrer Rollstühle den schnellen Stürmern in die Seite. Die Mannschaft kämpft, auch im Training. "Es ist auf jeden Fall ein Ventil", sagt Wolfgang (40).

Er war sein Leben lang sportlich: Fußball, Tennis, Skifahren. Bis zu seinem Autounfall nach der Disco, und "aus war's" mit dem Sport. "Als ich frisch verletzt war, hab ich mich gefragt, wie man das aushält. Und jetzt sitze ich schon 20 Jahre im Stuhl." An Suizid habe er nur die ersten zwei Tage nach seinem Unfall gedacht, dann nie wieder. Schritt für Schritt fand er ins Leben zurück: "Spaß haben wir auch so."

"Man befasst sich nicht jeden Tag mit der Behinderung", sagt Birgit Poley. "Klar denk ich manchmal: Verdammt, jetzt ist mir schon wieder was runtergefallen, oder: Wieso parkt der Kerl auf einem Behindertenparkplatz und ich kann nicht aussteigen?"

Solche Geschichten erleben sie ständig. Stefan kann hinreißend von den Absurditäten der Deutschen Bahn AG erzählen ("Am Dammtor durfte ich nicht aussteigen, weil der Fahrstuhl kaputt war - aber da stand mein Auto!!"). Doch er berichtet auch von vielen aufmerksamen Menschen. "Die meisten sind hilfsbereit", bestätigt Wolfgang, "ich hab noch nie Probleme gehabt. Na gut, die, die unsicher wirken, sprech ich erst gar nicht an."

Sport verbessere das Selbstbewusstsein, heißt es, doch die Schüchternheit der Anfangsjahre haben die Tetras hier längst überwunden. Sie machen Sport, weil er Spaß macht und die Beweglichkeit und körperliche Kraft für den Alltag steigert.

Nach zwei Stunden ist das Training zu Ende. Erschöpfte Gesichter, Lachen, Umarmungen. Auch Birgit Poley hat heute wieder alles gegeben. "Meine Schwester sagt immer: ,Wenn man euch beim Sport zusieht, vergisst man ganz, dass ihr behindert seid.'"

Das Rollstuhl-Rugby-Team nimmt gerne noch Mitspieler auf. Unterstützung durch Sponsoren ist jederzeit willkommen. Training Di 18-20 Uhr, Sporthalle im Unfallkrankenhaus Boberg. Kontakt über www.rollstuhlrugby-hamburg.de. Champions League am 17./18.3. (9-19 Uhr) in Rahlstedt, Schule Kielkoppelstraße.