Frank Schätzing, Bestseller-Autor und Experte für “Schwarm“-Bildungen aller Art, taucht mit einem neuen Buch wieder auf: Es erzählt von der Entstehung des Lebens. Mit vielen dunklen Gestalten und einer Heldin - “Miss Evolution“.

Es gibt Menschen, die schreiben einen Bestseller, absolvieren ihre Lesereise und gehen dann auf die Wiese, um zu grasen. Nicht so Frank Schätzing , 48: "Ich gehöre zu den Menschen, die beim Grasen schon wieder anfangen zu graben." Jüngstes Ergebnis: sein neues Buch "Nachrichten aus einem unbekannten Universum - Eine Zeitreise durch die Meere" (KiWi, 19,90 Euro) mit 528 Seiten.

Die Idee enstand, "weil die Leute immer wissen wollten, was an meinem Buch ,Der Schwarm' Fiktion und was Realität ist", erzählt er. "Da habe ich gesagt: Na gut, dann mache ich jetzt ein kleines Begleitbändchen, vielleicht so hundert Seiten. Aber sobald mich ein Stoff gepackt hat, komme ich vom Hölzchen aufs Stöckchen, ich kann nicht anders. Deshalb wurde das Buch keine Zweitverwertung der ,Schwarm'-Recherchen, sondern die Geschichte, die ich mir selber immer mal erzählen wollte, nämlich die Geschichte der Welt, der Meere und des Lebens."

Für Günter Jauchs "Wer wird Millionär?" eröffnet dieses Sachbuch ganz neue Möglichkeiten. Zum Beispiel könnte mal gefragt werden, was ein "Enthycarcinoide" ist; oder das "Ordovizium"; oder ein "Dunkleosteus" (letzteres war ein riesiger Panzerfisch, benannt nach einem Paläontologen namens Dr. David Dunkle). Aber keine Angst: Die meisten Leser haben ja auch erst durch den "Schwarm" begriffen, was Methanhydrate und Plattentektonik sind, und es trotzdem überlebt.

Und auch der neue Parforceritt durch die Erdgeschichte unterscheidet sich wohltuend von den rein beschreibenden Sachbüchern: Er beginnt vor 13,7 Milliarden Jahren, so um den Urknall herum, beschreibt dann die Herausformung der Erde und die Lebensformen, die sich nach und nach herausbildeten, seit im Präkambrium die ersten Bakterien blick- und wunschlos an den Vulkanschloten der Tiefsee klebten. Das Buch ist eine Art "Making Of": mit Geschichten über Forscher, ihre Thesen und Fehler; mit Rundblicken wie durch eine Kamera auf eine Erde, von der wir in der Schule nie gehört haben. Wir lernen eine "jurassische Guerilla" kennen; oder das urzeitliche Vorbild von Harry Potters Basilisk; oder Sibirien, das nach der Karbon- zum "Schurkenstaat der Perm-Zeit" wurde und wohl so aussah wie Mordor in "Herr der Ringe". Eine Figur kehrt immer wieder: Miss Evolution , die Frau mit der unerschöpflichen Handtasche voller Phantasie, Formen- und Funktionsideen.

JOURNAL: Hat man Sie in der Schule im Biologie-Unterricht so gequält, daß Sie sagten: Ich mache das jetzt lieber selbst?

FRANK SCHÄTZING: Auf jeden Fall. Viele Lehrer, die ich damals hatte, waren einfach nicht in der Lage, uns die Faszination dieser Vorgänge zu vermitteln, sondern da wurden höchst aufregende Geschehnisse dermaßen dröge rübergebracht - das war nicht angemessen. Ich erzähle mir diese Geschichte jetzt quasi selbst. Aber nicht weil ich muß, sondern weil es mir Spaß macht.

JOURNAL: Schade, daß es in dem Buch keine Bilder gibt. Manche urzeitliche Wesen hätte man doch gern gesehen.

SCHÄTZING: Die sehen ja auch klasse aus. Wir haben überlegt, ob wir Bilder zeigen, aber dann kriegt man so einen dicken Wälzer und zahlt sich dumm und dusselig an Rechten. Und sofort würde die Frage auftauchen: Warum zeigt man diese Wesen und nicht andere? Also vertraue ich einfach auf die Vorstellungskraft der Leser.

JOURNAL: Es gibt eine Tabelle der Erdzeitalter, aber die ist ja auch nur vorläufig, wie Sie zeigen.

SCHÄTZING: Ja, weil die Zeitalter dauernd verschoben werden. Das Ediacarium zum Beispiel existierte vor einigen Jahren noch gar nicht. Man definiert Zeitalter an einschneidenden Ereignissen. Nun stellt man aber fest: Dieser Meteorit ist einige Millionen Jahre früher eingeschlagen, als bisher angenommen, und dann muß man die Tabelle wieder verändern. Deshalb sind es eigentlich nicht feste Zeitabschnitte, sondern eher nebulöse Übergänge.

JOURNAL: Welche Erkenntnisse waren neu für Sie? Müssen wir manche Annahmen über Bord werfen?

SCHÄTZING: Was mir in diesem Ausmaß nicht bewußt war, ist, wie sehr die Vorgänge auf und innerhalb der Erde und in der kosmischen Nachbarschaft miteinander verknüpft sind. Wir leben nicht in einer Verkettung von Ursachen-Wirkungen, sondern in einem Kausalitätenfilz. Wir könnten also die Begriffe "Anfang" und "Ende" über Bord werfen. Oder die Begriffe "das Größte" und "das Kleinste". Wissenschaft ist die Kunst der Annäherung und die Kunst des Einkreisens, und das Bild, das wir letzten Endes erhalten, ist das eines Impressionisten: Aus einer gewissen Distanz sehen wir Farben und Pracht, aber wenn wir näher herangehen, sind es verwaschene Flecken. Tatsächlich ist die ganze Weltgeschichte eine Geschichte der Unschärfen.

JOURNAL: "Miss Evolution ist eine Mutter, die uns nicht liebt", schreiben Sie. Von einer romantischen Schöpfungsgeschichte müssen wir uns also auch verabschieden?

SCHÄTZING: Na ja, es gibt viele Variationen von Schöpfungsgeschichten. Auch in die darwinistische Lehre wollte man eine Art Wertegefüge einbauen, indem man sagte: "Es gab in der Evolution einen Trend zur Komplexität und hin zum wertvolleren Wesen, und die Krone des Ganzen ist der Mensch als das erste wirklich gelungene Experiment." Davon muß man sich verabschieden. Wir sind genauso wie jede andere Spezies irgendwann als eine Ausformung, als Antwort auf etwas anderes entstanden. Die Evolution ist kein bewußt handelndes Wesen. Sie kann durchaus eine Spezies über einen langen Zeitraum fördern. Aber wenn diese Spezies überflüssig geworden ist oder zu viele Probleme macht, dann wird sie aus dem Programm genommen. Wir müssen uns also selber lieben, weil es nichts Höheres gibt, das uns liebt.

JOURNAL: Der "Schwarm" soll ja verfilmt werden. Was gibt es da Neues?

SCHÄTZING: Wir haben die Verträge gerade unterzeichnet. Wenn das Produktionsbudget feststeht, suchen wir einen Regisseur und denken über Schauspieler nach, es gibt bereits eine feste Zusage auf einem hochkarätigen Level. Wir werden auf jeden Fall an Originalschauplätzen in Norwegen und in den USA drehen und sicher auch in der Arktis.

JOURNAL: Wie wär's mit Peter Jackson, dem Regisseur von "Der Herr der Ringe"?

SCHÄTZING: Wir haben bis jetzt noch keine Kontakte zu ihm geknüpft. Ich weiß, daß das Buch bei etlichen Regisseuren kursiert. Ich persönlich fände Peter Jackson phantastisch, könnte mir aber einige andere auch vorstellen.

JOURNAL: Sie tragen ungeheure Materialmengen zusammen und reisen auch viel. Was sagt Ihre Frau dazu, wenn Sie sich beim Grasen verbuddeln?

SCHÄTZING: Ich verbuddele mich für eine Weile, bin aber auch ein Sozialtier. Ich brauche Kontakte, ich liebe es, Freundschaften zu pflegen, vor allem die Beziehung zu meiner Frau. Aber wir waren uns von Anfang an darüber klar, daß wir eine qualitative Partnerschaft der quantitativen vorziehen. Manchmal bin ich tatsächlich für Monate selten präsent, aber in den wichtigen Momenten immer. Meine Frau liegt damit auch gar nicht im Hader, sie unterstützt mich kolossal. Eigentlich sind wir ein Dream Team.

Frank Schätzing stellt mit einem Multimedia-Vortrag sein neues Buch "Nachrichten aus einem unbekannten Universum" vor: am 27. 4., 20 Uhr, Altonaer Theater, Museumstr. 17. Eine Kooperation von Heymann/live und KiWi. Karten: 10 Euro (überall bei Heymann).