Frank Schätzing hat es 2004 geschafft, in einem Thriller komplizierte Wissenschaftsthemen einem Millionenpublikum zu vermitteln. Im Interview erzählt er, was “Der Schwarm“ für ihn selbst in Bewegung brachte.

Zuerst haben sie gedacht, der Mann müsse irgendwie durchgeknallt sein. So ein Kölner, der wohl zu exzessiv Karneval gefeiert hat. Von Stefan Krüger, Professor für Schiffsdesign an der TU Hamburg-Harburg, wollte dieser Kölner wissen, wie Tiere am besten Schiffe zerstören könnten. Einen Offizier der Bundesmarine fragte er, wie er seine Mannschaft mit Killeralgen vergiften würde, und den Frankfurter Eiswurm-Experten Dieter Fiege, ob er sich auch eine besonders zerstörerische Tiefsee-Wurmkreuzung mit Kiefern und Zähnen vorstellen könne.

Dieser Kölner war Frank Schätzing, der gerade für seinen Roman "Der Schwarm" recherchierte. Auf dröge Wissenschaftler stieß er dabei nicht: "Meine Experten haben alle mitgemacht und sich mit herrlich destruktiven Gedankenspielen beteiligt", sagt Schätzing und lacht. Und es hat sich gelohnt. Deutschlands Buchhändler kürten den "Schwarm" offiziell zum "Buch des Jahres" 2004. Unter den "Autoren des Jahres" schaffte es Schätzing auf Platz zwei hinter dem Schriftstellerkollegen Dan Brown. Inzwischen ist sein Thriller 870 000mal verkauft worden, Lizenzen wurden an 19 Länder verkauft, darunter Brasilien, Korea, die USA und Rußland. Und nach 87 Wochen in der "Spiegel"-Bestsellerliste, davon acht Wochen auf Platz 1, steht "Der Schwarm" jetzt immerhin noch auf Platz 16.

Was niemand voraussehen konnte: Durch den Tsunami im Dezember 2004 erhielt der Thriller eine ungeahnte Aktualität - und sein Autor wird nun selbst als Experte für Katastrophenszenarien gehandelt.

JOURNAL: Im Frühjahr 2004 erschien "Der Schwarm", im Dezember geschah das Tsunami-Unglück. Im Jahr 2000 erschien Ihr Roman "lauTlos", in dem es um internationalen Terrorismus ging . . .

FRANK SCHÄTZING: . . . und 2001 passierte 9/11. Ja, ich weiß, das sind schon unglaubliche Zufälle. Inzwischen mußte ich versprechen, daß mein nächstes Buch nicht von einem Meteoriten-Einschlag handelt. Vielleicht sollte ich über den Weltfrieden schreiben, damit der endlich eintrifft.

JOURNAL: In den Medien meldeten sich etliche "Schwarm"-Leser, die nach der Lektüre im Urlaub in Ostasien die Anzeichen des Tsunami erkannt haben.

SCHÄTZING: Nach dem Tsunami wurde ich von Magazinen, Zeitungen und Fernsehsendern angerufen, jeder verlangte ein Statement von mir. Ich wollte nicht aus dem Unglück Kapital schlagen. Aber dann war ich bei Beckmann eingeladen, und dort berichtete eine Familie von dem Moment am Strand, als das Wasser weit zurückging; aus dem Buch wußten sie, was das bedeutet - eine Flutwelle - und retteten sich. Ahnliches erzählte ein österreichisches Ehepaar in der "Galileo"-Sendung. Sie hatten das Tsunami-Kapitel abends gelesen, am nächsten Morgen sahen sie am Strand, wie sich das Meer zurückzog, und dachten: Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Ich habe viele Briefe mit solchen Berichten bekommen, etliche davon sehr bewegend. Unterm Strich sind es ein paar hundert Leute, die ihr Leben retten konnten, nachdem sie das Buch gelesen hatten.

JOURNAL: Haben Sie sich darüber nicht sehr gefreut?

SCHÄTZING: Für mich war das eine zweischneidige Sache. Zum Glück war das Buch schon ein halbes Jahr vorher herausgekommen und auch ohne Tsunami auf Platz eins der "Spiegel"-Bestsellerliste gelandet. Ich hätte ein sehr schlechtes Gefühl gehabt, wenn erst das Unglück zu einer unfreiwilligen Promotion geführt hätte.

JOURNAL: Sie haben auch ein Hörbuch "Der Schwarm" aufgenommen und einen Multimedia-Vortrag dazu ausgearbeitet. Hatten Sie die Idee dazu von Anfang an?

SCHÄTZING: Nein. Aber ich hasse Lesungen. Es kann sehr ermüdend werden, wenn jemand an einem kleinen Tisch mit einer Leselampe sitzt und vorliest. Für mein Buch wollte ich eine Show, ich wollte, daß die Leute ein perfektes Popkonzert bekommen. Ich bin ja auch Musiker. Mit 14 hatte ich mich gerade in Suzy Quattro verliebt und habe akustische Gitarre gelernt, drei Jahre habe ich mir mit klassischer Gitarre die Finger verbogen. Dann fand ich mehr Gefallen an Klaviertasten. Ich spiele Keyboard, ein bißchen Baß und Schlagzeug. Aber in erster Linie komponiere ich. Nachdem ich es in 48 Jahren nicht geschafft habe, ein Popstar zu werden, ziehe ich jetzt gern alle Gründe mit heran, um das doch noch irgendwie hinzukriegen, indem ich zu meinem Buch Musik komponiere und dazu Filme zeige und das mit dem Vorlesen verbinde.

JOURNAL: Der Wissenschaftsjournalist Thomas Orthmann hat Sie verklagt: Sie hätten von seiner Website ozeane.de abgeschrieben. Was ist daraus geworden?

SCHÄTZING: Er hat mich öffentlich des Plagiats bezichtigt. Ich hatte aus seiner Website zwei Sätze über ein amerikanisches Sonarsystem und die Besondung von Walen zitiert. Das waren Sachinformationen, die es auch in anderen Quellen nachzulesen gab. Aber er ließ seine Anwälte schreiben, ich hätte auch meinen Romanhelden Anawak auf seinen Recherchen aufgebaut. Das war natürlich Quatsch. Ich habe angeboten, seine Website unter den Danksagungen am Ende des Buchs zu erwähnen. Er wollte aber an den Einnahmen des Buchs beteiligt werden. Als wir das ablehnten, hat er sich an die dpa gewandt und mich schließlich bei der Staatsanwaltschaft verklagt. Die haben das Verfahren inzwischen niedergeschlagen. Seither habe ich nichts mehr davon gehört.

JOURNAL: Erst durch den "Schwarm" hat ein Massenpublikum etwas über Methanhydrate erfahren. Das hat die Methanforscher sicher enorm gefreut.

SCHÄTZING: Das stimmt. Dr. Gerhard Bohrmann vom Geomar-Forschungszentrum in Kiel, der ja in meinem Buch eine Action-Rolle spielt, ist mittlerweile zum Bruce Willis der Meeresgeologie geworden. Ihm verdanke ich den Großteil meines Wissens über Methanhydrate. Ich selbst bin ein Wissenschaftsromantiker, mich faszinieren die Dinge in der Wissenschaft, die eine spannende Entwicklung versprechen. Ich erfinde die ja nicht, aber ich spüre, daß sie demnächst relevant werden könnten. Wie Methanhydrate - das Wort klingt ja erst mal völlig unerotisch. Dabei macht man sich schon Gedanken, wie man sie fördern könnte, sie könnten zur Energiequelle der Zukunft werden. Durch das Buch bekommt Professor Bohrmann auf seine Arbeit jetzt sehr viel mehr Resonanz.

JOURNAL: Ihr "Schwarm" ist ein großer Ausflug in die Erdgeologie und Meeresforschung. Sind die Menschen heute sensibler für Umweltthemen, oder flacht das Interesse wieder ab?

SCHÄTZING: Ich glaube schon, daß die Leute sensibler werden, aus einer Notwendigkeit heraus: Sie kriegen die Natur so um die Ohren gehauen - vom Tsunami bis hin zu den jüngsten Wirbelstürmen -, daß sie sehr verunsichert sind und Erklärungen verlangen.

JOURNAL: Haben die Hurrikan-Katastrophen, vor allem in New Orleans, das Umweltbewußtsein auch in den USA vorangebracht?

SCHÄTZING: Der Mensch ist ein Weltmeister im Verdrängen. Wenn wir über zwei, drei Generationen in relativer Sicherheit gelebt haben, dann neigen wir dazu, Bedrohungen grundsätzlich auszuklammern, und legen sie in die Statistik ab. Das hat einen Mann wie George Bush auch in die Lage versetzt, eine so dramatische Umweltpolitik zu betreiben. Zur Zeit passiert etwas, worauf die USA überhaupt nicht vorbereitet waren: daß durch Naturkatastrophen auch gewaltige soziale Konflikte aufbrechen können - wie in New Orleans. Jetzt hört man aus dem Weißen Haus ganz neue Töne.

JOURNAL: Komplizierte Umweltthemen werden heute gerade durch Krimis vermittelt. Der amerikanische Bestsellerautor Michael Crichton hat die globale Klima-Erwärmung in seinem neuen Roman allerdings gerade als "Panikmache" abgetan.

SCHÄTZING: Auch die Wissenschaftler sind ja vielfach instrumentalisiert oder interessengeleitet. Heute sagt einer: Ja, das Eis der Polkappen schmilzt - eine Woche später kommt ein anderer Wissenschaftler und sagt: Das ist Quatsch. Als Laie kann ich nicht überprüfen, welche These stimmt. Hinzu kommt: Durch die enorme Spezialisierung unter den Wissenschaftlern haben wir zwar lauter Experten für Spezialfragen. Aber die große Welterklärung - wie funktioniert eigentlich der Golfstrom, das Klima, die Kugel, auf der ich hier lebe? - geht immer mehr verloren. Danach dürsten die Leute aber.

Ich bin auch nicht dafür, Dinge zu hysterisieren nach dem Motto: Der Mensch ist an allem schuld und macht unsere Welt kaputt. Denn viele Naturkatastrophen treten auch ohne unser Zutun auf; wenn man es erdgeologisch in größerem Maßstab sieht, sogar zyklisch. Das heißt aber nicht, daß wir Menschen von der Mitverantwortung frei wären, die Welt nach Kräften zu schützen.

JOURNAL: Mehrere Ihrer Romane sind im Gespräch für eine Verfilmung. Wie weit ist das gediehen?

SCHÄTZING: "Mordshunger" wird nächstes Jahr als Serie bei RTL gedreht. Mit "Der Schwarm" stehen wir kurz vor einem Abschluß mit einer Filmgesellschaft in Übersee. Mehr möchte ich nicht sagen. Ich habe mir nur eine Bedingung ausgebeten.

JOURNAL: Welche?

SCHÄTZING: Ich möchte in einer ganz, ganz kleinen Rolle mitspielen.