Da irren wir durchs Leben, machen uns Sorgen, fühlen uns bleischwer. Dabei gibt es Abhilfe: Man gehe zu einem Satsang mit Karl oder Torsten oder Christoph. Unser Autor hat's getan.

einen ersten Erleuchteten habe ich im Gemeindesaal der Eimsbütteler Christuskirche erlebt. Er hieß Isaac Shapiro, trottete wie ein abgeschabter Teddybär nach vorn und trank Kaffee aus einem Plastikbecher. Ich wäre nie darauf gekommen, daß er etwas Besonderes darstellte. Er verstrahlte weder auffallenden Charme noch Charisma. Er hätte auch ein bewegungsarmer Computerexperte sein können. Aber er setzte sich auf die Bühne, und ungefähr 300 Leute im Saal starrten ihn ergriffen an.

Die Veranstaltung hieß "Satsang mit Isaac". Das Publikum hätte man auch in einem Eso-Laden oder Öko-Markt treffen können. In einer Trendboutique oder im Mediencafe eher nicht. Die meisten waren zwischen dreißig und fünfzig, etwa zwei Drittel waren Frauen. Ein Baby krähte, ein zweites wurde gestillt, ein Hund schlief. Vor der Bühne hatten anfangs ein paar Mädchen Gitarre gespielt und mit sonniger Miene gesungen. Es war genau die Art von Veranstaltung, die einem auf den Keks geht.

Nach einer Runde Schweigen fragte Isaac Shapiro: "Ist jemand zum ersten Mal beim Satsang?" Einige meldeten sich. Er sagte: "Satsang heißt einfach Zusammensein (sang) in Wahrheit (sat). Wir können sehen, was wirklich ist. Jetzt. Hier. Der Verstand kann zur Ruhe kommen." Vor mir verknotete ein Zuschauer schon mal die Beine zum Lotussitz und richtete seine Wirbelsäule so vorschriftsmäßig auf, daß ich mich zur Seite beugen mußte, um noch etwas zu erkennen.

Eine Frau erklomm die Bühne und setzte sich in einen Sessel für Fragesteller. Sie schien aufgeregt. Sie bemühte sich um ein Lächeln, während sie den Mann ansah, der da seelenruhig in seinem Sessel saß. Ihr Lächeln verschwand langsam. Sie atmete langsamer. Und sah ihm immer in die Augen. So blieb das erst mal. Er sah ihr in die Augen oder ließ sich in die Augen sehen. Und die Leute im Saal sahen den beiden zu, wie sie einander in die Augen sahen.

Endlich sagte die Frau: "Ich habe Angst." Der Teddybär klappte zur Bestätigung seine Augenlider herunter. Sie sagte: "Beinahe immer. Auf der Straße, zu Hause, einfach so, im Leben." Er fragte: "Hast du jetzt Angst?" Sie nickte. Er sagte: "Gut. Dann gehe jetzt zu dieser Angst. Versuche nicht, sie loszuwerden. Fühle sie nur." Man konnte sehen, wie die Frau etwas versuchte, während sie ihm weiter tapfer in die Augen sah. "Jetzt ist die Angst nicht da", sagte sie schließlich. "Jetzt ist da nichts."

"Ja", sagte er. "Da ist nichts. Aber wenn du versuchst, die Angst loszuwerden, beginnt der Verstand zu rattern. Dann verstrickst du dich. Du versuchst, dir die Angst zu erklären, du erzählst dir eine Geschichte dazu. Das gibt ihr Brennstoff. Halte sie statt dessen einfach aus. So verschwindet sie von selbst. Wir alle laufen weg vor der Angst, unser Leben lang. Irgendwann sagen wir: Ich möchte sehen, wovor ich eigentlich weglaufe. Wenn wir ihr dann begegnen, ohne sie weghaben zu wollen, dann löst sie sich auf. Wir sind gewohnt, unangenehme Empfindungen zu analysieren. Einfach Hinsehen ist genug."

Das waren hilfreiche Sätze. Doch sie waren nicht das Entscheidende. Das Entscheidende war augenscheinlich schon vorher geschehen, während die Frau ihn ansah. Es war offensichtlich, daß ihre Angst sich aufgelöst hatte. Ihr Gesicht war aufgehellt. Sie blieb noch eine Weile sitzen, immer den Blick haltend. Dann bedankte sie sich und stieg von der Bühne, leicht, beschwingt. "So etwas hält nicht vor", flüsterte ich meiner Partnerin zu.

In den anderthalb Stunden des sogenannten Satsang ging es immer wieder so: Jemand stieg beklommen nach oben und kam nach zehn oder fünfzehn Minuten gelöst wieder herunter.

Zu einem Mann, der mit seiner Partnerschaft unzufrieden war, sagte Isaac: "Keine Beziehung kann dich glücklich machen. Wir lassen uns auf jemanden ein und meinen, dieser andere sei der Ursprung der Liebe. Wir bleiben nicht bei der Quelle der Liebe selbst. Wir projizieren sie auf jemand anderen und haben dann Angst, daß sie uns mit diesem anderen abhanden kommen könnte. Solange wir meinen, etwas von außerhalb mache uns glücklich, versuchen wir es für uns zu sichern. Wir nennen es Liebe, doch es ist Brauchen. Wenn du mehr an der Wahrheit interessiert bist als an deinen Vorstellungen von Beziehungen, dann wird die Beziehung dir helfen aufzuwachen."

So viel geredet wurde selten. Auf die Fragen antwortete Isaac meist mit schlichten Gegenfragen: "Was ist jetzt? Wo ist das jetzt?" Und auch das nur nach Schweigepausen. Dieses Schweigen, verbunden mit dem Blicktausch, hatte es in sich. Etwas passierte da. Etwas wirkte, und nach meinem Eindruck auf alle im Saal. Obwohl die Stühle unbequem waren und die Luft im Minutentakt schlechter wurde, sickerten sogar in mich Ruhe und Leichtigkeit ein. Als der Teddybär sich nach anderthalb Stunden mit aneinandergelegten Händen verabschiedete, verließ ich den Raum gelassener, als ich gekommen war.

Draußen wurde es richtig komisch. Da lagen Zettel aus. Und sie zeugten von einer beginnenden Inflation. Satsang mit Torsten, Satsang mit Daniel. Torsten! Daniel! Deutsche Erleuchtete?! Wenn ich eines wußte, dann dies: Jemand, der Torsten heißt, kann unmöglich erleuchtet sein! Das Vergnügen eines Besuchs wollte ich mir aber nicht nehmen lassen.

Ich habe also Torsten besucht, der in einer Wohnung am Schlump zum Satsang einlädt. Und Daniel, der das Gleiche bei der Apostelkirche tut. Ich habe zwei Jahre lang alle Erleuchteten besucht, die in Hamburg zum Satsang bitten oder die auf der Durchreise hier ein Gastspiel geben.

Und ich muß sagen, es ist was dran. Ausprobieren lohnt sich. Zunächst einmal ist Satsang die preisgünstige Art, eine Dosis Frieden zu bekommen. Denn der Typ da vorne - es kann auch eine Frau sein - mag heftig abstreiten, erleuchtet oder sonst etwas Spezielles zu sein. Er hat doch etwas, das ihn hervorhebt und strahlt: eine Aura von Stille, Güte, Mitgefühl, von innerem Frieden. Und dieser Frieden sickert in die anderen ein.

Wer an einem Satsang teilnimmt, wird in Stille getaucht. Jedesmal ein bißchen mehr. Und das hängt damit zusammen, daß der Satsanglehrer selbst ungewöhnlich still ist. Nicht notwendigerweise äußerlich. Es kann sein, daß er viel schweigt. Kann auch sein, daß er viel redet. Egal, er strahlt Stille aus. Er oder sie hat eine Erfahrung gemacht, die Lao Tse oder Buddha, Meister Eckhart oder Sokrates und etliche Heilige ebenfalls gemacht haben. Die Erfahrung, daß sie weit mehr sind als Körper und Geist. Weit mehr als das, was sie bis dahin für ihre Persönlichkeit gehalten haben. Und mit dieser Erfahrung verbunden ist nichts Geringeres als die Erkenntnis, daß Leiden eine Illusion ist.

Das ist mindestens erstaunlich. Deshalb lohnt es sich, die Leute mal genauer in Augenschein zu nehmen. Meist kostet das zehn Euro Eintritt. Manchmal wird nur um eine Spende gebeten. Zu tun gibt es sonst nichts. Keine Voraussetzungen sind erforderlich. Man muß kein Wort sagen, muß seine Adresse nicht hinterlassen, niemanden verehren, keine Lehre, keinen Glaubenssatz über sich ergehen lassen. Es könnte nur sein, daß Lehren und Glaubenssätze sich auflösen im Satsang.

Das Wort Satsang kommt aus dem Indischen. Aber es geht nicht indisch zu. Schon deshalb nicht, weil die Leute da vorn Westler sind. Sie heißen Torsten und Christoph und Karl. Es sind ziemlich normale berufstätige Leute, die ein kleines, entscheidendes Aha-Erlebnis gehabt haben. Der Buddha hat dieses Erlebnis Erleuchtung genannt, mit der Anmerkung, es sei das Ende allen Leidens.

Das Ende allen Leidens? Her damit!

ALLES SELBST PROBIERT

Zwei Jahre lang, sagt der Autor Dietmar Bittrich (Foto), habe er selbst alle Erleuchteten abgeklappert, die in Hamburg zum Satsang luden. Seine Erfahrungen flossen in ein witzig zu lesendes Buch. Das Fazit: Satsang ist eine preisgünstige Art, seinen Seelenfrieden wiederzufinden. Dietmar Bittrich, Christian Salvesen: Die Erleuchteten kommen. Satsang - Antworten auf die wichtigen Fragen des Lebens. Goldmann, 284 Seiten; 8,90 Euro.