Ein inniger, liebevoller Kontakt zwischen Vater und Sohn - das ist die Ausnahme, behauptet der Autor Steve Biddulph. Er rät daher zur großen Aussprache. Wir sprachen mit zwei Söhnen über den schwierigen Umgang mit ihren Vätern.

Als sein Vater plötzlich starb, war der erste Gedanke, den Martin dazu hatte: "Endlich! Welch eine Erleichterung." Der damals 19-Jährige fühlte sich plötzlich ungebunden, frei von Vorwürfen und hasserfülltem Anschweigen. Endlich war keiner mehr da, der die Erwartungen an ihn hochschraubte, um dessen Anerkennung er buhlen musste. "Meine Mutter hatte ich in der Hand", erinnert sich Martin.

Die Euphorie hielt ein Jahr an, dann kam das schlechte Gewissen. "Ich habe angefangen, mich zu schämen, dass ich damals Freude über den Tod meines Vaters empfunden habe. Diese Scham hat mich jahrelang verfolgt", sagt der heute 49-Jährige, der dennoch behauptet, seinen Vater nie vermisst zu haben. Aber: Das häufige Nachdenken über seinen Vater, die Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe bezeugen das Gegenteil.

Väter und Söhne. Wenn Männer über ihr Verhältnis zu ihrem Vater reden, kommt das Wort Ablehnung häufiger vor als Zuneigung, Nichtverstehen statt Verständnis, Familien-Ernährer statt liebevoller Kamerad. Nur zehn Prozent der Männer, meint der Familienpsychologe und -therapeut Steve Biddulph, haben ein inniges und befriedigendes Verhältnis zu ihrem Vater. Die anderen 90 Prozent befinden sich zwischen kompletter Entfremdung, gespannter Atmosphäre und freundschaftlichem Pflichtgefühl. Doch ein schlechtes Verhältnis zum Vater prägt ein Leben lang, sitzt oftmals wie ein Kloß im Magen der Söhne.

Der australische Buchautor Biddulph ("Das Geheimnis glücklicher Kinder") plädiert deswegen für eine Aussprache zwischen Vater und Sohn. "Ich halte solch ein Gespräch für einen der wichtigsten und befreiendsten Schritte, die ein erwachsener Mensch tun kann", schreibt er im Vorwort seines Bändchens "Mein Vater und ich." Darin gibt der Therapeut ganz praktische Tipps, wie ein Sohn mit seinem Vater ins Gespräch kommen kann. Denn für manche mag es "sogar der Schlüssel zu einem neuen Leben sein, in dem auf einmal alles sehr viel glatter geht", schreibt Biddulph.

Ralf hatte nie eine Aussprache mit seinem Vater. Vielleicht hat sich die Beziehung deshalb vorerst nur von der Entfremdung zum höflich-netten, aber seltenen Umgang entwickelt. Allerdings ist Letzteres erst möglich, seitdem Ralf eine eigene Familie hat und Geschäftsführer einer gut gehenden Firma ist. "Wir haben jetzt ein respektvolles Verhältnis, im Gegensatz zu früher, als mein Vater noch Herrscher über mich war. Früher hat er meine Leistungen und Ideen nie anerkannt", sagt Ralf.

Damals war die grundsätzliche Antwort auf jede Bitte des kleinen Sohnes: "Nein." Emotionen? Liebevolle Umarmungen? "Kannte ich nicht von meinem Vater. Das war in seiner Generation wohl nicht üblich. Er gab sich auch keine Mühe, mich zu verstehen", sagt Ralf verbittert.

Anstand, Fleiß und Ordnung, das waren Werte, mit denen Ralfs Vater wie so viele Kriegskinder aufwuchs. Leistung und Erfolg waren wichtig. Die Traumata des Krieges überwinden, einen normalen Alltag schaffen, ein Häuschen bauen - das waren für diese Vätergeneration die anerkannten Ziele. Als Martin mit 13 Jahren zu seinem Vater sagte, er würde dessen ganzen Stolz, sein Haus, nach seinem Tod verkaufen, wollte der Vater Martin enterben. Der damals Pubertierende versuchte oft zu provozieren.

Nicht nur Verständnis vom Vater einfordern, sondern versuchen, auch den Älteren zu verstehen, damit tun Söhne sich unendlich schwer. Doch wer mehr Nähe möchte, sollte versuchen, sich in die Eltern hineinzuversetzen. "Sie müssen sich klarmachen, dass Sie Ihre Eltern nicht kennen, auch wenn Sie glauben, es zu tun. Von der Geburt an zeigen wir als Eltern unseren Kindern nur einen bestimmten Teil unserer Persönlichkeit - wir nehmen an, das sei die richtige Strategie, um als Eltern erfolgreich zu sein", erklärt Steve Biddulph. Eltern zeigten weder Schwäche noch Ängste, Sexualität sei oftmals ebenso tabu wie von erlebten Enttäuschungen zu sprechen.

Wer die Aussprache sucht, sollte nicht mit bitteren Vorwürfen einsteigen. Denn wer einfach nur seinen Gefühlen Luft machen oder Rache üben möchte, der kann die Hoffnung auf eine Annäherung gleich begraben. "Eltern sind nicht dumm; sie wissen um ihre eigenen Schwächen und Fehler. Ihre Eltern werden ihrerseits nur ihre lang erprobten Verteidigungsmechanismen dagegensetzen." Biddulph rät den Söhnen, die Väter zunächst aufzufordern, von ihrer eigenen Kindheit zu erzählen, traumatische Erlebnisse zu schildern und zu erklären, in welcher emotionalen Situation sie sich als Eltern mit kleinen Kindern befanden.

Wenn die alten Verhaltensmuster des Vaters stören, kann man auch damit einsteigen. Dabei sollte der Sohn das Verhalten beschreiben und sagen, welche Gefühle es bei ihm ausgelöst hat oder noch immer auslöst. Biddulph nennt ein Beispiel: "Wenn du mich mit meinem Bruder vergleichst, fühle ich mich total minderwertig. Du hast das oft getan, als ich noch Kind war, und es hat mich dazu gebracht, meinen Bruder zu hassen. Ich möchte dich bitten, das nie wieder zu tun."

Manche Väter werden bei solchen Sätzen aufstehen und weggehen. Sie werden vielleicht brüllen oder mit Enterbung drohen. Davon sollte sich der Sohn allerdings nicht verschrecken lassen, sondern immer wieder einen Neuanfang suchen und klarstellen, dass es nicht darum geht, den Vater an den Pranger zu stellen, sondern einfach das Verhältnis zu verbessern.

Der Ort und die Zeit für solch ein klärendes Gespräch sollte sorgsam ausgewählt werden. Am meisten Erfolg verspricht ein Gespräch unter vier Augen, auf neutralem Boden. Vielleicht bei einem Spaziergang oder einem gemeinsamen Wochenendtrip.

Biddulph schildert einen Fall, bei dem der Sohn erst am Totenbett mit seinem Vater ins Gespräch kam. Zuvor hatte der Vater einen Aussprache-Versuch damit beendet, indem er einfach wegfuhr. Der gekränkte Sohn besuchte also Monate später seinen Vater im Krankenhaus. Diesmal konnte der Vater nicht wegrennen, und so prasselte eine Anschuldigung nach der andern auf ihn ein. Der Vater raffte sich noch einmal zu einer Verteidigung auf und erklärte seine Gründe. Das Gespräch wogte hin und her, und als es ruhig im Zimmer wurde, waren Vater und Sohn von einem Gefühl des Friedens erfüllt. Eine Last war von ihnen abgefallen.

Danach fuhr der Sohn nach Hause, dankbar und nachdenklich. Er sah seinen eigenen Sohn, an dem er sonst immer etwas auszusetzen hatte, und umarmte ihn spontan. Durch das Gespräch mit seinem Vater hatte er das Gefühl, auch sein kritisches Verhalten gegenüber seinen Kindern ändern zu können.

Sicherlich ist das Totenbett nicht gerade der beste Ort für so ein klärendes Gespräch, aber zumindest schafft es Erleichterung. Man eröffnet sich damit die Möglichkeit, das neue Vater-Sohn-Verhältnis zu genießen. "Eine frühe Aussprache mit meinem Vater hätte vieles verkürzt. Ich bin eigentlich immer dafür, Dinge aus dem Weg zu räumen. Aber ich hätte mit Anfang 20 einfach nicht die Stärke gehabt, ihn zu stellen", sagt Ralf.

Er ist mit 17 Jahren von zu Hause ausgezogen. "Das war zwar cool, aber hat mich auch traurig gemacht. Ich war völlig auf mich alleine gestellt." Danach herrschte neun Jahre lang Funkstille zwischen den beiden Männern, die erst durchbrochen wurde, als Ralf seine zukünftige Frau vorstellte. "Zu dem Zeitpunkt fühlte ich mich unabhängig genug, auch eine Enttäuschung hinzunehmen, wenn er meine Verlobte nicht akzeptiert hätte." Sie wurde positiv aufgenommen, und das Verhältnis zwischen dem 32-Jährigen und seinem Vater ist seither entspannter, wenn auch noch weit von einer Freundschaft entfernt.

Eigentlich wäre jetzt der ideale Zeitpunkt für eine Aussprache. Denn allzu jung sollte der Sohn sie nicht führen, rät Biddulph. Ein gewisser Grad emotionaler Unabhängigkeit sei dazu ebenso notwendig wie eine gewisse Demut, die bei Jüngeren eher selten sei. "Solange man materiell oder emotional von den Eltern abhängig ist, kann man es sich gewöhnlich nicht leisten, an der Käfigtür zu rütteln", so der Therapeut. Ist der Sohn jedoch in den 30ern, könnte so ein klärendes Gespräch ein wichtiges "Midlife"-Ritual sein - der letzte Schritt zur Vollendung des Erwachsenenseins.

Für Ralf steht zumindest fest, dass er seinen kleinen Sohn ganz anders erziehen möchte. Schließlich gehört er einer neuen Vätergeneration an, die Kinder nicht nur ernähren, sondern auch aktiv erleben möchte.

Heute nehmen Väter Erziehungsurlaub, wechseln Windeln, füttern Grießbrei und gehen abends mit den Kleinen auf Löwen- und Tigerjagd. Auch Ralf schmust, knuddelt und tobt täglich mit seinem Dreijährigen. Wenn dieser allerdings mit seinem Kummer zur Mutter rennt, spürt Ralf jedesmal einen kleinen Stich. "Mit emotionaler Zurückweisung kann ich immer noch nicht leben, da hat mich mein Vater doch zu sehr geprägt."

Zum Weiterlesen: Steve Biddulph: Mein Vater und ich. Die große Aussprache. Beust, 64 Seiten; 9,90 Euro.

Steve Biddulph: Männer auf der Suche. Sieben Schritte zur Befreiung. eust, 288 Seiten; 22,90 Euro.

Simone Schmollack: Ich bin meines Vaters Sohn. Schwarzkopf & Schwarzkopf. 268 Seiten; 12,90 Euro.