In New York, der von Terrorangst und Börsenpleiten gebeutelten Metropole, haben Astrologen, Handleser und Zukunftsberater Hochsaison. Einig sind sie sich in einem: Sie machen ein gutes Geschäft mit dem Schicksal. Wir haben einen Prominentenberater und ein “Medium“ besucht.

Psychic - Medium" steht in blauer Neonschrift in dem kleinen Fenster in der 29. Straße Manhattans. Nach dem Klopfen schaut ein Augenpaar durch die Lamellen der Jalousie.

Brandy, eine schlanke Frau in Trägertop und Jeans, öffnet die Holztür. Die 37-Jährige verspricht einen spirituellen Rundumschlag: Für 10 Dollar liest sie Liebes- und Karrierechancen aus der Hand, für 45 Dollar sagt sie die Zukunft aus Karten und Kristallkugel voraus. "Machs dir bequem", sagt Brandy und deutet auf zwei billige Plastikstühle in dem winzigen Flur mit dem Charme von Linoleum. Auf einem Glastisch warten Steine und Karten auf ihren Einsatz.

Rund 200 "Psychics" wie Brandy gibt es in der New Yorker Metro-Region; die meisten arbeiten in Mini-Shops, in der Nachbarschaft von Nagelstudios und Pfandhäusern.

Am Haus Nummer 39 an der Fifth Avenue weist nichts auf die Dienste eines Sterndeuters hin. Michael Lutin - der in Gold gravierte Name genügt. New Yorks Star-Astrologe empfängt keine Laufkundschaft. Neue Klienten geben telefonisch ihre Geburtsdaten durch und bekommen einen Termin zugewiesen. Preise nach Vereinbarung.

"Seit ich eine eigene Web-Seite habe, rufen mich Leute aus der ganzen Welt an", sagt Lutin. Auch aus Deutschland kommen Anrufe, weil er für die deutsche Ausgabe von "Vogue" Monats- und Jahreshoroskope schreibt. Manche Lutin-Fans fliegen extra nach New York, um ihn für eine Sitzung zu treffen. International bekannt ist der studierte Psychologe, Yale- und Harvard-Absolvent, durch ein Dutzend Bücher, Seminare und Kolumnen, in "Vanity Fair" ebenso wie in japanischen Magazinen.

So berühmt ist Brandy nicht. Sie nimmt die rechte Hand des Klienten und spricht im Stakkato: "Ich sehe, du hast eine lange Lebenslinie. Ich sehe, du hast viele gesunde, starke Jahre vor dir. Ich sehe, du bist für Erfolg geboren, nicht für Niederlagen. Dein Gesicht lächelt, aber dein Herz nicht so sehr." Fünf Minuten "Palm Reading" (Handlesen) sollen Appetit machen auf eine intensivere Sitzung. "Ich sehe da noch was", orakelt Brandy. Sobald die Dollars auf dem Tisch liegen, holt sie die Karten.

Bei Michael Lutin versinkt der Klient zunächst in einem großen Ledersessel. Gegenüber sitzt der Astrologe, lässig in Jeans und Pullover gekleidet. Der Raum ist eine Mischung aus Büro, Wohnzimmer und Museum: ein Schreibtisch mit zwei prall gefüllten Adressenregistern, tibetanische Wandgemälde, ein Zimmerspringbrunnen.

In der nächsten Stunde teilt der Sinnsuchende mit Lutin dann einen Fußhocker - und das Wissen über sich selbst.

"Die Menschen kennen sich selbst besser, als ich es je könnte", sagt Lutin, "sie müssen es nur artikulieren." Das "Chart", die persönliche Planeten-Konstellation des Klienten, zeigt er nur auf Anfrage. Lutin vermeidet jegliche Astro-Fachbegriffe. "Es ist wie beim Arzt. Du willst doch nur wissen, ob der Knochen in Ordnung ist oder nicht." Am Anfang einer Sitzung hört er immer die gleichen Fragen nach Karriere, Geld, Gesundheit und Liebe. Für ihn sei jedoch das Unterbewusstsein des Klienten wichtiger: "Eigentlich geht es darum, dass er sich von Blockaden befreit, die aus der Kindheit stammen." Er versteckt alles in Entertainment: "Wenn der Klient über sich lachen kann, hat er weniger Angst, in tiefer liegende Gebiete seiner Psyche vorzudringen." Gegen Wahrsagerei grenzt sich Lutin ab: "Ich habe keine seherischen Qualitäten. Ich kann Menschen nicht sagen, wo sie ihre Uhr vergessen haben."

Brandy meint hingegen: "Das Hellsehen liegt mir im Blut, es ist eine Gabe, die sich seit Jahrhunderten durch die Familie zieht." Sie legt abgegriffene Karten auf dem Tisch aus. Ihre Hände arbeiten wie automatisch, sie haben nie etwas anderes gelernt.

Brandys Eltern kamen vor 35 Jahren aus Rumänien nach New York, wo 100 000 der insgesamt eine Million "Rom Americanos" oder "Gypsies" leben. Unter den "Psychics" stellen sie den größten Teil. Manche haben sich gar auf Exorzismus spezialisiert. Im Staat New York ist es zwar gesetzlich verboten, Bannflüche gegen Gebühr auszutreiben, doch verfolgt wird dieses Delikt kaum.

Die Botschaften, die Brandy aus den Karten liest, gleichen den Textbausteinen ihrer Handlesekunst Wort für Wort. Es folgen Allgemeinplätze ("Die Arbeit sollte nicht die größte Rolle spielen, sonst sehe ich Konflikte mit deinem Liebesleben"). Ansonsten: eine Hochzeit, zwei Kinder. Sie bietet gegen Aufpreis noch Kristalle an - die für 160 Dollar seien selbstredend wirkungsvoller als die für 100.

"Seit dem 11. September 2001 kommen deutlich mehr Leute zu mir, sie brauchen mehr Antworten", sagt Brandy. Die von Terrorangst und Börsenpleiten gebeutelten Bewohner der Mega-Stadt entspannen bei Astro-Sitzungen auch von Stress und Kontrollzwang. "Das ist oft besser als ein Beruhigungsmittel", sagt der Journalist und Szene-Experte Marc Jacobson.

Michael Lutin meint, die Welt erlebe eine neue Ära der Astrologie, ähnlich wie in der Renaissance: "Die Gesellschaften heute sind sehr chaotisch, die westlichen Religionen stecken in einer tiefen Krise." Seine Stimme klingt ein bisschen pathetisch, wenn er sagt: "Ich will, dass meine Klienten lernen, ihren eigenen Instinkten wieder zu vertrauen." Ist jemand unzufrieden im Job, sucht Lutin nach den Ursachen: "Magst du keine Autoritäten? Hast du Probleme mit deiner Mutter? Leidest du unter Klaustrophobie?" Beim Reden kreist er langsam mit den Armen, zieht das Gegenüber in seinen Bann, lässt dann die Hände wieder vor dem Bauch ruhen wie der goldene Buddha neben ihm.

Astrologie ist für Lutin eine Mischung aus Kunst, Wissenschaft, Sensibilität und dem Gefühl, auserwählt zu sein. Der Autodidakt, der nach der Uni in einem kleinen Downtown-Apartment lebte und Bücher über Sterndeutung las, ist heute unter anderem Präsident der Vereinigung "National Council for Geocosmis Research", deren New Yorker Abteilung allein 500 Mitglieder hat.

Lutin empfängt höchstens vier Kunden pro Tag. Der Society-Mann bezeichnet seine Klientel als "educated crowd", als gut gebildet: Politiker, Banker und Schauspieler gehören dazu. Früher waren es zu 95 Prozent Frauen. Seit einigen Jahren aber suchen auch immer mehr Männer seinen Rat. Lutin hat dafür eine Erklärung: "Das klassische Patriarchat stirbt aus."