Ein Tischler, eine Krankenschwester, eine Pädagogin, ein Ethnologe und ein Psychologe wagten den Neuanfang - mit einem Geschäft in Ottensen.

Draußen eine großzügige Holzterrasse, drinnen nette Musik, alte Sofas und Sessel, Gemüsekisten als Tische und in der Ecke ein Korb mit Decken zum Einkuscheln. Am selbst gemauerten Tresen gibt es Kaffee, frisch gepressten O-Saft, hausgemachten Schokokuchen oder Apfel-Crumble, gegrillte Ciabattini oder für alle, die es rustikaler mögen, Stulle. Bio-Stulle. Zwei Schritte weiter wiegt eine Kundin Kartoffeln ab. Auf einer kleinen Tafel stehen zwei Preise, ein günstiger für Mitglieder und ein Normalpreis für Nichtmitglieder. Das ist das Prinzip dieses "Mitgliederladens".

"Warenwirtschaft" heißt der Bioladen mit dem kleinen, lauschigen Cafe im Stadtteil Ottensen, direkt an der Ecke Große Brunnenstraße/Friedensallee. Ökologisch und fair einkaufen zum Großhandelspreis - wie das geht? Man zahlt einen monatlichen Beitrag von 19 Euro und wird so Mitglied. Aus den Beiträgen werden Löhne und laufende Kosten bezahlt. "So können wir bei unseren Preisen auf große Gewinnspannen verzichten und ein niedriges Preisniveau weit unter dem herkömmlicher Bioläden bieten, ohne dabei auf Methoden zurückgreifen zu müssen, die den ökologischen und sozialen Ansprüchen der Bio-Idee zuwiderlaufen", sagt Florian Frötscher, einer der fünf Betreiber.

Denn die Warenwirtschaft funktioniert als Kollektiv. Und das besteht aus Anne Knauss, Berit Reimer, Florian Frötscher, Michael Reulecke und Nico Czaja. Keiner von ihnen hatte vorher mit der Bio-Lebensmittelbranche etwas zu tun. Aber sie wollten gemeinsam ein Unternehmen schaffen, in dem sie selbstbestimmt arbeiten, hinter dem sie stehen und von dem sie leben können.

Ganz neu ist die Idee nicht. Schon in den frühen Achtzigern gab es sogenannte Food-Coops. Menschen schlossen sich zusammen, um die Mindestbestellmengen bei Bio-Großhändlern aufzubringen. Viele Coops scheiterten aber über kurz oder lang an der ungleichmäßigen Verteilung der ehrenamtlichen Arbeit.

Im Kollektiv der Warenwirtschaft ist jeder ein Chef. Auch wenn das Gehalt längst nicht dem einer Chefposition entspricht. Immerhin können sie sich gegenseitig herumkommandieren, sagen sie und fügen augenzwinkernd hinzu: "Wenn auch vergeblich." Entscheidungen treffen sie gemeinsam. Darum ist der Laden am Mittwochvormittag geschlossen. Besprechungszeit.

Gegenüber konventionellen Bioläden spart ein Mitglied der Warenwirtschaft durchschnittlich 25 bis 30 Prozent. Bei einem Einkauf von rund 55 Euro im Monat rechnet sich der Mitgliedsbeitrag schon. Eine gute Sache, von der bereits 290 Mitglieder profitieren. 600 sollen es werden. In Marburg, wo vier aus dem Kollektiv herkommen, wäre das kein Problem. Da gab es sogar Wartelisten für Mitgliederläden wie ihren. Den Hamburgern ist das Modell noch fremd. "Sie kommen zwar gern und regelmäßig zum Einkaufen, aber vertraglich binden, wollen sich viele nicht", sagt Anne Knauss. Und das bei einer Kündigungsfrist von vier Wochen. Der Hamburger geht eben lieber auf Nummer sicher. Auch wenn er dabei draufzahlt.

Dabei beruht das System gerade auf Vertrauen, und zwar beiderseits. Denn die fünf Warenwirtschaftler müssen sich darauf verlassen können, dass ein Mitglied mit seinem Einkauf nicht den Rest der Großfamilie mitversorgt. Das Modell ist sehr knapp kalkuliert. Für das Überleben des Ladens ist es wichtig, dass alle, die von den Mitgliederpreisen profitieren, auch angemeldet sind. Sonst funktioniert es nicht.

Aber das klappt gut. "Die Kunden kommen sogar von sich aus auf uns zu, um uns zu sagen, dass die Mutter einen Monat zu Besuch kommt und sie deswegen mehr einkaufen", sagt Florian Frötscher. Schließlich kennt man sich. Denn die meisten Kunden kommen aus dem unmittelbaren Umkreis. Vor allem junge Familien und Singles, aber auch viele ältere Menschen kommen gern in den Biomarkt mit dem charmanten Flair eines Tante-Emma-Ladens, um Obst, Gemüse, Milchprodukte und Backwaren einzukaufen. Alles in Bio-Qualität, und wenn möglich aus der Umgebung. Nur eine Fleischtheke sucht man vergeblich. Allerdings können sich Kunden in eine Liste eintragen, um zu festen Terminen Fleisch zu bestellen. Der Service gilt natürlich auch für Nichtmitglieder. Allerdings nicht zum Vorzugspreis.