Im Zeitalter des digitalen Download erlebt die Kassette ihr Comeback: Wer liebt und Stil hat, nimmt Musik analog auf und verschenkt sie. Eine Ausstellung in Hamburg widmet sich jetzt dem Charme der gemixten Bänder.

Die Botschaft ist mit schwarzem Filzstift auf der Kassette verewigt: David + Greta = . Vor fünf Jahren verband die beiden eine große Liebe. Deswegen bleibt die von David gemixte Audiokassette eine Reliquie. "Sie ist unersetzlich für mich", sagt Greta (22). Auf der Hülle stehen so merkwürdige Titel wie das "Kassen-Turm-Komplimente-Lied (James Brown)" und das "Wir-fahren-nach-Hamburg-Lied (Radiohead)". Als es vorbei war mit der Zweisamkeit, hat Greta alles von David weggepackt. Außer die Kassetten. Alte Gefühle wirft man eben nicht über Bord. Jetzt darf man sogar wieder Mixtapes kultivieren, ohne als antiquiert zu gelten. Das analoge Speichermedium, durch CDs und MP3-Dateien längst totgeglaubt, erlebt vierzig Jahre nach seiner Erfindung eine erstaunliche Renaissance. Im Netz werden seit neuestem "Kassis" getauscht, Radio FSK spielt private Tapes in voller Länge, und in Szenebars ist jetzt Kassettenbespielen angesagt: Die Gäste können am Tapedeck die Musik des DJs live mitschneiden. Anderthalb Jahre lang haben sich Gerrit Herlyn und Thomas Overdick in einem Forschungsseminar der Uni Hamburg mit dem Mixtape auseinander gesetzt. 80 Menschen aus ganz Deutschland ließen sich interviewen, 120 Bänder und Hunderte Seiten Texte und Mails gingen am Institut für Volkskunde ein. Die 21 Schönsten sind jetzt in der Ausstellung "Kassettengeschichten. Von Menschen und ihren Mixtapes" zu hören: akustische Autobiografien, die das Gefühl einer bestimmten Zeit gespeichert haben - als "Soundtrack zum Leben". Generation Mixtape: Viele Lebensläufe hat die Kassette entscheidend geprägt. Als es noch keine Alternativen gab, damals in den 80ern, verbrachte man ganze Wochenenden vor dem Rekorder. Und kopierte die Highlights der Plattensammlung auf BASF C 90, zweimal 45 Minuten. Oder die Songs aus dem Radio, wobei die Schwierigkeit darin lag, die Pause- Taste zu drücken, bevor der Moderator reinquasselte. "Was hörst du für Musik?" gehörte zu den Eingangsfragen jedes Flirts; ein Kassettendeck machte das erste Auto erst richtig wertvoll. "Immer wenn mir eine Frau gefallen hat", erinnert sich Steven (33), DJ aus Blankenese, "wenn ich die ganz süß fand und ich vielleicht ein bisschen schüchtern war, dann habe ich versucht, ihr mittels eines Tapes mitzuteilen, dass ich sie gut fand." Noch heute widersteht Steven den Verlockungen der digitalen Welt. Eine gigantische Plattensammlung füllt seine Regale, CDs besitzt er nur wenige - für ihn auch eine Frage des Stils. Musik aufnehmen, das ist eine Welt für sich. Nick Hornby setzte dieser, seiner Ansicht nach genuin männlichen Tätigkeit in dem Roman "High Fidelity" ein literarisches Denkmal. Auch deutsche Popliteraten wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Gasser ("Mein erster Sanyo") oder Florian Illies machten klar: Mit Kompaktkassetten scherzt man nicht. Ein Mann, der liebt, stellt Mixtapes zusammen und schenkt sie seinem Mädchen. Damit beweist er zum einen die Tiefe seiner Gefühle (die so schwer in Worte zu fassen ist) und zum anderen seinen superben Musikgeschmack. Denn auch darum geht es: "Den anderen zu zeigen, das ist echt der heißeste Scheiß, auf den ich steh", gibt Ferenc (31) zu, Mediengestalter aus Hamburg. Seit Ferenc zur Konfirmation ein Doppeltape geschenkt bekam, hat er endlose Stunden mit dem Aufnehmen zugebracht. Erst Radio-Hits, dann ganze LPs, um einen Grundstock zum Mixen zu haben, später Hiphop-Kassetten, "Perlen ohne Schrott dazwischen, zum Autofahren oder zum Zeitungaustragen". Denn bereits Nick Hornby wusste: Ein einziges mieses Lied macht den ganzen Mix kaputt, und man muss komplett von vorne beginnen. Es ist genau diese Mühe, die die Kassette wieder so wertvoll erscheinen lässt und ihr Revival begründet. "Kassetten zu überspielen hat mehr Magie als eine CD zu brennen", findet Markus (23) aus Brackel, der sich gerade zum Landschaftsarchitekten ausbilden lässt. "Wenn man eine CD zusammenstellt, dann ist das nicht so von Herzen zu Herzen wie eine Kassette: Man sitzt die ganze Zeit dabei und muss sich alles in Echtzeit anhören." Auf seinem "Ein Lebenszeichen geben"-Mix für Freunde finden sich Thievery Corporation und Can neben Björk und Rio Reiser, Kraftwerk und Miss X. Zusammenpassen muss ja nichts, das einzige Scharnier ist das Gefühl: offen für verschiedene Interpretationen und doch persönlich genug, um anzurühren. Darum geht es Männern und Frauen gleichermaßen, so das Fazit der Ausstellung, in der mit einem alten Vorurteil aufgeräumt wird. Das Mixtape ist keine Männerdomäne. Auch das Klischee "Frauen verstehen erstens nichts von Musik und hören zweitens nur Kuschelrock" hat sich nicht bestätigt. Bei der Auswahl der Stücke sind keine Geschlechterunterschiede auszumachen. Männer wie Frauen verbindet dieselbe leidenschaftliche Auseinandersetzung mit der Popmusik. Musik ist für sie Selbstverwirklichung und Ausdruck eines Lebensgefühls. "Schenk mir ein Tape, und ich sage dir, wie du dich fühlst", sagt Raphaela (24), Studentin aus Hamburg. Für sie bedeutet ihre Sammlung so viel wie anderen ein Tagebuch oder das Fotoalbum. "Wenn ein Tape verloren geht, wäre das tragisch, weil ein Stück von mir verloren geht." Seit sie elf ist, mixt sie sich ihre Lieblingsabfolgen zusammen. "Wenn man später die Kassetten wieder hört, sind die Assoziationen wieder da." Mixtapes erzählen Geschichten. Von Menschen und ihren Sehnsüchten, von besonderen Begebenheiten und magischen Momenten. Sie leben, bekommen Macken, leiern, und eines Tages, "da sterben sie" (Markus). Vielleicht sogar in großem Stil: 24 Millionen Leerkassetten wurden 2002 in Deutschland verkauft, ein Sechstel des Absatzes von 1991. Die Industrie selber hat kein Interesse daran, den Markt aufrechtzuerhalten. Schon das Kassettendeck ist ein Auslaufmodell und überlebt bestenfalls als Teil der Kompaktanlage. Doch die Liebhaber des Magnetbandes lassen sich einiges einfallen. Zurzeit kursiert in Deutschland und Österreich ein Kettenbrief, mit dem handgemischte Tapes verbreitet werden sollen: Mixe eine Kassette, sende sie zusammen mit diesem Flyer an drei Personen . . .