Vor 50 Jahren bezwangen Edmund Hillary und der Sherpa Tenzing Norgay als Erste den Mount Everest. Was das in seinem Leben bewirkte, erzählte uns Hillary jetzt zu Hause in Neuseeland.

r ist der bekannteste Kiwi. Sogar in Indien wissen die Kinder, dass er Neuseeländer ist. Und dass es genau 11.30 Uhr war, am 29. Mai 1953, als er als erster Mensch den Mount Everest bezwang und bei 25 Grad unter Null ein paar Fotos schoss, die sehr berühmt wurden. In Nepal, bei den Sherpas, wissen die Kinder noch viel mehr. Sie können ein Bild von ihm malen. Die steile Nase. Die abstehenden Ohren. Die stechenden Augen. Das wuschelige Haar. Die großen Hände. Sie nennen ihn burra sahib , großes Herz. Nur in seinem Heimatland wissen die Nachbarn nicht, dass sie seine Nachbarn sind. Dabei wohnt er seit 50 Jahren in Remuera, einem feinen Stadtteil Aucklands, wo sein Vater bereits als Imker arbeitete. Das Telefonbuch weiß es. Fett gedruckt. Man kann ihn also anrufen, den Bergsteiger und Abenteurer und Wohltäter. Man kann mit ihm reden, ihn vielleicht sogar besuchen und auf dem Sofa sitzen, auf dem Bill Clinton und die echte Elizabeth gesessen haben. "Natürlich. Schauen Sie vorbei." Es ist Sir Edmunds 83-jährige Stimme. Das Taxi kennt den Weg. Simon hat schon viele zu der Einfahrt mit dem verwitterten Briefkasten gebracht, der nicht mehr als Anonymität verrät. "Ja, der Bergsteiger, den kenne ich", sagt Simon. "Nicht persönlich, aber er ist auf unserer 5-Dollar-Note, weil er diesen berühmten Berg erklommen hat." Dieser Berg. Der Mount Everest. Der Saukerl, den er zur Strecke brachte. So hat es Hillary nach dem Abstieg gesagt. Mit Ironie und Humor. Wie die Kiwis halt sind. Bloß nicht viel Staub aufwirbeln. Hillary ist ein bescheidener Kauz. "Der Everest", sagt er, "das ist doch so lange her." Seine Nase ist immer noch so steil wie an dem Tag, als er den Everest erklomm. Zur Begrüßung gibt es das warme, verschmitzte Lächeln, das nur diejenigen haben, die den Boden trotz gewaltiger Höhenflüge nie verlassen haben. "Ich hatte damals gedacht, dass sich meine Berühmtheit etwa drei Jahre halten wird, unter Bergsteigern. Ich bin doch nur ein Mensch mit sehr durchschnittlichen Fähigkeiten." Hillary glaubt bis heute, er sei der einfache Ed von der Straße um die Ecke, der auf einen Berg kletterte und als Sir wieder runterkam. "Ich mag das, wenn die Menschen mich einfach Ed nennen." Etwas müde wirken seine Augen, bedächtig seine Bewegungen. Eine unerschütterliche Ruhe liegt über seinem mächtigen Körper. Wie die Ruhe vielleicht, die er damals zwischen dem Blau des Universums und dem Weiß der Erde gespürt haben muss. "Er ist etwas taub", hatte seine zweite Frau, Lady June, gewarnt. "Schreien Sie ruhig, wenn nötig." Hillarys erste Frau Louise kam mit ihrer Tochter Belinda 1975 bei einem Flugzeugunglück ums Leben. June war die Frau eines tödlich verunglückten Freundes. Sie holte Hillary aus der Depression. 1981 heirateten die beiden. Seitdem managt sie das Leben des Weltenbummlers. Sie arbeitet an einem Computer, ihr Mann benutzt für wenige Briefe immer noch eine alte Schreibmaschine. Er wird immer noch um Vorträge und Interviews gebeten. Gerade jetzt, so kurz vor dem 50. Jahrestag der Everest-Besteigung. Magazine, Zeitungen und Fernsehsender aus aller Welt stehen Schlange in Remuera. "So stellt man sich das Rentnerleben eigentlich nicht vor", sagt Lady June. "Aber sonst wäre es ja auch langweilig." Wer Hillary bei einer Veranstaltung trifft, sieht ihn meist sitzend, umringt von einer Horde Menschen, die sich nach seiner Gesundheit erkundigen. Während seine Frau elegant den Smalltalk übernimmt, nippt Sir Ed am Wein und lächelt, ohne viel zu sagen. Er schüttelt alle Hände, die geschüttelt werden müssen. Ab und zu sagt er: "Das ist nicht meine Welt." Hillary wird das Jubiläum mit Freunden in Nepals Hauptstadt Katmandu feiern. In dem Land, das ihm und seiner Organisation viel zu verdanken hat: Schulen und Krankenhäuser werden vom Hillary Himalayan Trust unterstützt; auch der Sagarmantha-Nationalpark, der 1977 auf Hillarys Betreiben von Neuseeland und Nepal am Mount Everest gegründet wurde. "Das ist mein größtes Abenteuer - und meine größte Sorge", sagt er. "Viele Menschen haben ihr Leben für meine Stiftung geopfert." Nepal befindet sich seit 1996 quasi im Bürgerkrieg. Hillarys Blick streift durch das Wohnzimmer. Ein Ost-West-Sammelsurium. Bilder und Möbel aus Tibet. Ein Bild mit der Queen. Gipfel-Fotos. Hinter Hillary der Golf von Hauraki, wo zuletzt edle Yachten um den America's Cup segelten. Eine halbe Million US-Dollar muss er jedes Jahr aufbringen, um seine Organisation mit Filialen in Kanada, den USA, England und auch Deutschland am Leben zu halten. Oft genug zahlt er aus der eigenen Tasche dazu. Und oft müssen ihn Freunde davor zurückhalten, seine Flüge selbst zu bezahlen. Vom Everest spricht er nicht sehr oft. "Das ist doch schon 50 Jahre her. Und es war doch nur ein Berg", sagt er. Das ist kein mangelnder Respekt vor dem weißen Riesen, sondern im Gegenteil das Wissen um die Gewalt der Dinge, die der moderne Technokrat besitzen und der altruistische Romantiker erfahren will. Die Stiftung ist zu seinem Leben geworden, "dank des Everest - und meiner Freunde". Und natürlich dank all der Abenteuer, die Hillary bestehen durfte. Wie die Durchquerung der Antarktis mit Traktoren 1956-58, die Suche nach dem Yeti 1961, den Bau der ersten Schule in Khumjung 1961 oder die Reise auf dem Ganges 1977. Den letzten Berg hat er übrigens 1971 bestiegen: den Mount Cook, Neuseelands höchsten Berg, der auch im Epos "Herr der Ringe" zu sehen ist. Dort hat Neuseeland seinem berühmten Sohn gerade ein Denkmal gesetzt. Aber der macht sich nichts aus Ehrungen. Er verstaut alles, einschließlich der Adelsurkunde der britischen Krone, in einer Metallkiste in der Garage. Für eine Ausstellung, die gerade um die Welt zieht, musste die Kiste aufgebrochen werden. Er hatte den Schlüssel verloren. Hillary ist einer der Letzten aus der Zeit, als Telefone Kabel hatten und Lederbälle noch aus Leder waren. Ein träumerischer Abenteuer, der an die Schatzinsel glaubt und Märchen liebt, in denen Drachen mit bloßen Händen besiegt werden. Nicht für Ruhm, sondern weil es sein muss. Den modernen Bergsteigern, sagt er, fehle der Respekt vor der Natur. Er meint, dass die älteren Bergsteiger den Massiven noch mehr Respekt entgegenbrachten. "Wir hatten keine Technik, wir waren auf unser Team und auf uns angewiesen." Technik sei trügerisch, sagt er, sie gaukle Sicherheit nur vor. Hillary hat immer im Team gearbeitet. "Ohne all die wunderbaren Menschen, die mich begleitet haben", sagt er, "hätte ich das nie geschafft." Die Massen-Besteigungen des Everest sieht er mit Skepsis. "Der Everest muss geschützt werden - genau wie die Menschen, die meinen, es mit ihm aufnehmen zu können. Das ist kein Kinderspiel." Dann spricht er über den 1988 verstorbenen Tenzing Norgay, den Bergführer, der bei den Sherpas und Indern eine Legende ist, aber meist nur in Hillarys Huckepack bei der Everest-Expedition genannt wird. Zu Unrecht: "Ohne Norgay wären wir gescheitert." Hillary sagt das seit einem halben Jahrhundert - in der westlichen Welt ungehört. Natürlich wird gerätselt, wer von beiden denn nun den Gipfel zuerst betreten habe. "Fast gleichzeitig", sagt Hillary. Darauf hatten sich die beiden Freunde geeinigt. Nur von Norgay gibt es ein Foto auf dem Dach der Welt. Hillary hat es geschossen. Norgay sieht aus wie ein Außerirdischer, der seine Axt ins Blau des Himmels streckt, während er einen Fuß auf das Weiß des Gipfels stellt wie ein Großwildjäger. "Ich hätte da keine gute Figur gemacht", sagt Hillary auf die Frage, warum er auf keinem Foto auftaucht. "Und Norgay hatte noch nie fotografiert. Der Everest war sicher der falsche Ort, um es ihm zu zeigen." Ich erzähle Sir Ed, dass ein Geschichtsprofessor aus Wuppertal bei "Wer wird Millionär?" die richtige Antwort auf die Frage nach Norgays Namen wusste und eine Million Mark gewann. Er ist erleichtert. "Hätten sie nach meinem Namen gefragt", sagt er und lacht, "hätte er sicher nur ein paar Cent bekommen."